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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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in dieselbe Lage, in welcher sich die Domänialbauern der Krone
gegenüber befinden. Es ward ihnen weder persönliche Unabhängig¬
keit noch bürgerliche Freiheit noch Zulässigkeit zu öffentlichen Aem¬
tern, ja selbst nicht einmal die Erlaubniß gewährt, ihre Kinder in
solche Staatsschulen zu schicken, die einen höhern Rang als die Ele¬
mentarschulen haben: der Ukas erhob nur die Bauern aus dem Stande
arbeitender, an die Scholle gefesselter Leibeigenen, deren jeder für
den Eigenthümer einen Handelsgegenstand von etwa tausend Papier¬
rubeln (eben so viel Francs) Werth und gewöhnlichen Verkaufspreis
ausmacht, in den Stand von leibeigenen Pächtern, indem sie durch
dieses Factum der entmenschenden Herabwürdigung entzogen wurde,
daß man sie gleich den Negern verkaufen konnte.

Diese so gemäßigte und in allen Beziehungen weise und poli¬
tische Maßregel der Humanität hat im Senat einen solchen Sturm
erregt; und obgleich sie am Tage nach ihrer Erlassung zurückgenom¬
men wurde, hat sie dennoch unter den Adeligen eine ungeheure Auf¬
regung verursacht; denn diese nennen Alles, was nicht Leibeigenschaft
ist, Revolution, Demokratie, ja sogar Jakobinismus. Aber auch im
Bürgerstande hat dieser Ukas bedeutendes Aussehen erregt; denn
dieser ist zwar nicht gleich den Bauern vom Adel unterdrückt,
steht aber doch in einem sehr demüthigenden Verhältniß zu dem¬
selben. Die Emancipation der Bauern würde daher, indem sie
eine gewisse Demüthigung des Adels herbeiführte, für den Bürger¬
stand ein sehr glückliches Ereigniß sein; es wäre für ihn ein Denk¬
mal socialer und politischer Erhöhung. Daher der tiefe Eindruck,
den die Erscheinung des kaiserlichen Ukas auf ihn gemacht.

Der jetzt regierende Kaiser hat der Bürgerschaft eine ziemlich
starke Organisation gegeben: sie ist reich; denn alles bewegliche
Vermögen Rußlands, d. h. die großen Capitale, sind fast allein in
ihren Händen: sie ist eine Macht, auf die man im Falle der Noth
sich stützen könnte; aber sie allein vermag noch nichts zu erfüllen;
denn sie ist ohne allen Einfluß auf die Massen deö russischen Volks!
der Bauer kennt sie ganz und gar nicht: und in ihrer Mitte ist
noch zu wenig Gemeingeist, als daß sie die Initiative in irgend
etwas ergreifen könnte. Seit einigen Jahren jedoch ist der Gemein-
geist, der Sinn für das Allgemeine bedeutend im Bürgerstande wach
geworden; d. h. er murrt nicht etwa gegen das Bestehende oder


in dieselbe Lage, in welcher sich die Domänialbauern der Krone
gegenüber befinden. Es ward ihnen weder persönliche Unabhängig¬
keit noch bürgerliche Freiheit noch Zulässigkeit zu öffentlichen Aem¬
tern, ja selbst nicht einmal die Erlaubniß gewährt, ihre Kinder in
solche Staatsschulen zu schicken, die einen höhern Rang als die Ele¬
mentarschulen haben: der Ukas erhob nur die Bauern aus dem Stande
arbeitender, an die Scholle gefesselter Leibeigenen, deren jeder für
den Eigenthümer einen Handelsgegenstand von etwa tausend Papier¬
rubeln (eben so viel Francs) Werth und gewöhnlichen Verkaufspreis
ausmacht, in den Stand von leibeigenen Pächtern, indem sie durch
dieses Factum der entmenschenden Herabwürdigung entzogen wurde,
daß man sie gleich den Negern verkaufen konnte.

Diese so gemäßigte und in allen Beziehungen weise und poli¬
tische Maßregel der Humanität hat im Senat einen solchen Sturm
erregt; und obgleich sie am Tage nach ihrer Erlassung zurückgenom¬
men wurde, hat sie dennoch unter den Adeligen eine ungeheure Auf¬
regung verursacht; denn diese nennen Alles, was nicht Leibeigenschaft
ist, Revolution, Demokratie, ja sogar Jakobinismus. Aber auch im
Bürgerstande hat dieser Ukas bedeutendes Aussehen erregt; denn
dieser ist zwar nicht gleich den Bauern vom Adel unterdrückt,
steht aber doch in einem sehr demüthigenden Verhältniß zu dem¬
selben. Die Emancipation der Bauern würde daher, indem sie
eine gewisse Demüthigung des Adels herbeiführte, für den Bürger¬
stand ein sehr glückliches Ereigniß sein; es wäre für ihn ein Denk¬
mal socialer und politischer Erhöhung. Daher der tiefe Eindruck,
den die Erscheinung des kaiserlichen Ukas auf ihn gemacht.

Der jetzt regierende Kaiser hat der Bürgerschaft eine ziemlich
starke Organisation gegeben: sie ist reich; denn alles bewegliche
Vermögen Rußlands, d. h. die großen Capitale, sind fast allein in
ihren Händen: sie ist eine Macht, auf die man im Falle der Noth
sich stützen könnte; aber sie allein vermag noch nichts zu erfüllen;
denn sie ist ohne allen Einfluß auf die Massen deö russischen Volks!
der Bauer kennt sie ganz und gar nicht: und in ihrer Mitte ist
noch zu wenig Gemeingeist, als daß sie die Initiative in irgend
etwas ergreifen könnte. Seit einigen Jahren jedoch ist der Gemein-
geist, der Sinn für das Allgemeine bedeutend im Bürgerstande wach
geworden; d. h. er murrt nicht etwa gegen das Bestehende oder


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[0130] in dieselbe Lage, in welcher sich die Domänialbauern der Krone gegenüber befinden. Es ward ihnen weder persönliche Unabhängig¬ keit noch bürgerliche Freiheit noch Zulässigkeit zu öffentlichen Aem¬ tern, ja selbst nicht einmal die Erlaubniß gewährt, ihre Kinder in solche Staatsschulen zu schicken, die einen höhern Rang als die Ele¬ mentarschulen haben: der Ukas erhob nur die Bauern aus dem Stande arbeitender, an die Scholle gefesselter Leibeigenen, deren jeder für den Eigenthümer einen Handelsgegenstand von etwa tausend Papier¬ rubeln (eben so viel Francs) Werth und gewöhnlichen Verkaufspreis ausmacht, in den Stand von leibeigenen Pächtern, indem sie durch dieses Factum der entmenschenden Herabwürdigung entzogen wurde, daß man sie gleich den Negern verkaufen konnte. Diese so gemäßigte und in allen Beziehungen weise und poli¬ tische Maßregel der Humanität hat im Senat einen solchen Sturm erregt; und obgleich sie am Tage nach ihrer Erlassung zurückgenom¬ men wurde, hat sie dennoch unter den Adeligen eine ungeheure Auf¬ regung verursacht; denn diese nennen Alles, was nicht Leibeigenschaft ist, Revolution, Demokratie, ja sogar Jakobinismus. Aber auch im Bürgerstande hat dieser Ukas bedeutendes Aussehen erregt; denn dieser ist zwar nicht gleich den Bauern vom Adel unterdrückt, steht aber doch in einem sehr demüthigenden Verhältniß zu dem¬ selben. Die Emancipation der Bauern würde daher, indem sie eine gewisse Demüthigung des Adels herbeiführte, für den Bürger¬ stand ein sehr glückliches Ereigniß sein; es wäre für ihn ein Denk¬ mal socialer und politischer Erhöhung. Daher der tiefe Eindruck, den die Erscheinung des kaiserlichen Ukas auf ihn gemacht. Der jetzt regierende Kaiser hat der Bürgerschaft eine ziemlich starke Organisation gegeben: sie ist reich; denn alles bewegliche Vermögen Rußlands, d. h. die großen Capitale, sind fast allein in ihren Händen: sie ist eine Macht, auf die man im Falle der Noth sich stützen könnte; aber sie allein vermag noch nichts zu erfüllen; denn sie ist ohne allen Einfluß auf die Massen deö russischen Volks! der Bauer kennt sie ganz und gar nicht: und in ihrer Mitte ist noch zu wenig Gemeingeist, als daß sie die Initiative in irgend etwas ergreifen könnte. Seit einigen Jahren jedoch ist der Gemein- geist, der Sinn für das Allgemeine bedeutend im Bürgerstande wach geworden; d. h. er murrt nicht etwa gegen das Bestehende oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/130>, abgerufen am 23.07.2024.