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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Paß noch Empfehlungsschreiben an irgend Jemand bei sich hatte,
so führte man ihn trotz seiner Protestationen ins Gefängniß der
Citadelle.

Zu Brauer's Glück war damals der Herzog von Aremberg
ebenfalls ein Gefangener in der Antwerpener Citadelle, wo derselbe
die Freiheit genoß, in Begleitung zweier spanischer Soldaten in den
innern Höfen spazieren gehen zu dürfen. Auf einem dieser Spazier¬
gänge vernahm der Herzog eines Tages eine Stimme, die aus einem
vergitterten Kerker drang und ihn um ein Gespräch von einigen
Augenblicken bat. Der Herzog trat zu dem Gefangenen hin, der
Niemand anders als Brauer war und, da er den Herzog für den
Gouverneur der Citadelle hielt, dringend bat, man möchte ihn in
Freiheit setzen, indem er bald zu beweisen sich erbot, daß er wirklich
ein Maler sei, der von Amsterdam komme, um sich in Antwerpen
niederzulassen, nicht aber ein erbärmlicher Spion. Dem Herzog
schien Nichts leichter, als der Wahrheit in dieser Sache auf den
Grund zu kommen. Er ließ Rubens, der ihn jeden Tag besuchte,
sofort um eine Palette, Leinewand und Pinsel bitten und überließ
Brauer die Sorge, sich durch sein Werk zu rechtfertigen.

Während unser Maler sich den Kopf anstrengte, um einen
passenden Stoss zu finden, bemerkte er im Hofe, durch das Gitter
seines Gefängnisses hindurch, eine Gruppe spanischer Soldaten, die
auf den Fersen niedergekauert, mit jener spanischen Gravität, die auch
in die komischsten Körperstellungen eine gewisse Würde zu legen
weiß, Karten spielten. Ein alter Reitersmann, dessen breiter, nar-
bigter Mund nur noch zwei Zähne enthielt, lang und gelb wie die
Hauer eines vierzigjährigen Ebers, schien die Rolle deö Kampfrichters
in diesem unblutigen Streite zu spielen. Die Freude des Gewinnes,
die Angst des Verlustes, das Interesse, die Neugier der Spieler und
die umstehenden Zuschauer, das Alles stellte Brauer bald mit einer
unvergleichlichen Lebhaftigkeit der Einbildungskraft dar. In einer
Ecke sah man einen selten- 8"I6"t1o, in einer Stellung niedergekauert,
die über seine Beschäftigung keinen Zweifel zuließ, während sein
Gesicht so schmerzhaft komische Empfindungen ausdrückte, daß man
sich bei seinem Anblick unmöglich des Lachens enthalten konnte.
Dieses ganze Gemälde trug unverkennbar den Stempel des Genies
an sich und es lebte in demselben eine solche ungestüme Kraft, daß


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Paß noch Empfehlungsschreiben an irgend Jemand bei sich hatte,
so führte man ihn trotz seiner Protestationen ins Gefängniß der
Citadelle.

Zu Brauer's Glück war damals der Herzog von Aremberg
ebenfalls ein Gefangener in der Antwerpener Citadelle, wo derselbe
die Freiheit genoß, in Begleitung zweier spanischer Soldaten in den
innern Höfen spazieren gehen zu dürfen. Auf einem dieser Spazier¬
gänge vernahm der Herzog eines Tages eine Stimme, die aus einem
vergitterten Kerker drang und ihn um ein Gespräch von einigen
Augenblicken bat. Der Herzog trat zu dem Gefangenen hin, der
Niemand anders als Brauer war und, da er den Herzog für den
Gouverneur der Citadelle hielt, dringend bat, man möchte ihn in
Freiheit setzen, indem er bald zu beweisen sich erbot, daß er wirklich
ein Maler sei, der von Amsterdam komme, um sich in Antwerpen
niederzulassen, nicht aber ein erbärmlicher Spion. Dem Herzog
schien Nichts leichter, als der Wahrheit in dieser Sache auf den
Grund zu kommen. Er ließ Rubens, der ihn jeden Tag besuchte,
sofort um eine Palette, Leinewand und Pinsel bitten und überließ
Brauer die Sorge, sich durch sein Werk zu rechtfertigen.

Während unser Maler sich den Kopf anstrengte, um einen
passenden Stoss zu finden, bemerkte er im Hofe, durch das Gitter
seines Gefängnisses hindurch, eine Gruppe spanischer Soldaten, die
auf den Fersen niedergekauert, mit jener spanischen Gravität, die auch
in die komischsten Körperstellungen eine gewisse Würde zu legen
weiß, Karten spielten. Ein alter Reitersmann, dessen breiter, nar-
bigter Mund nur noch zwei Zähne enthielt, lang und gelb wie die
Hauer eines vierzigjährigen Ebers, schien die Rolle deö Kampfrichters
in diesem unblutigen Streite zu spielen. Die Freude des Gewinnes,
die Angst des Verlustes, das Interesse, die Neugier der Spieler und
die umstehenden Zuschauer, das Alles stellte Brauer bald mit einer
unvergleichlichen Lebhaftigkeit der Einbildungskraft dar. In einer
Ecke sah man einen selten- 8»I6»t1o, in einer Stellung niedergekauert,
die über seine Beschäftigung keinen Zweifel zuließ, während sein
Gesicht so schmerzhaft komische Empfindungen ausdrückte, daß man
sich bei seinem Anblick unmöglich des Lachens enthalten konnte.
Dieses ganze Gemälde trug unverkennbar den Stempel des Genies
an sich und es lebte in demselben eine solche ungestüme Kraft, daß


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[0121] Paß noch Empfehlungsschreiben an irgend Jemand bei sich hatte, so führte man ihn trotz seiner Protestationen ins Gefängniß der Citadelle. Zu Brauer's Glück war damals der Herzog von Aremberg ebenfalls ein Gefangener in der Antwerpener Citadelle, wo derselbe die Freiheit genoß, in Begleitung zweier spanischer Soldaten in den innern Höfen spazieren gehen zu dürfen. Auf einem dieser Spazier¬ gänge vernahm der Herzog eines Tages eine Stimme, die aus einem vergitterten Kerker drang und ihn um ein Gespräch von einigen Augenblicken bat. Der Herzog trat zu dem Gefangenen hin, der Niemand anders als Brauer war und, da er den Herzog für den Gouverneur der Citadelle hielt, dringend bat, man möchte ihn in Freiheit setzen, indem er bald zu beweisen sich erbot, daß er wirklich ein Maler sei, der von Amsterdam komme, um sich in Antwerpen niederzulassen, nicht aber ein erbärmlicher Spion. Dem Herzog schien Nichts leichter, als der Wahrheit in dieser Sache auf den Grund zu kommen. Er ließ Rubens, der ihn jeden Tag besuchte, sofort um eine Palette, Leinewand und Pinsel bitten und überließ Brauer die Sorge, sich durch sein Werk zu rechtfertigen. Während unser Maler sich den Kopf anstrengte, um einen passenden Stoss zu finden, bemerkte er im Hofe, durch das Gitter seines Gefängnisses hindurch, eine Gruppe spanischer Soldaten, die auf den Fersen niedergekauert, mit jener spanischen Gravität, die auch in die komischsten Körperstellungen eine gewisse Würde zu legen weiß, Karten spielten. Ein alter Reitersmann, dessen breiter, nar- bigter Mund nur noch zwei Zähne enthielt, lang und gelb wie die Hauer eines vierzigjährigen Ebers, schien die Rolle deö Kampfrichters in diesem unblutigen Streite zu spielen. Die Freude des Gewinnes, die Angst des Verlustes, das Interesse, die Neugier der Spieler und die umstehenden Zuschauer, das Alles stellte Brauer bald mit einer unvergleichlichen Lebhaftigkeit der Einbildungskraft dar. In einer Ecke sah man einen selten- 8»I6»t1o, in einer Stellung niedergekauert, die über seine Beschäftigung keinen Zweifel zuließ, während sein Gesicht so schmerzhaft komische Empfindungen ausdrückte, daß man sich bei seinem Anblick unmöglich des Lachens enthalten konnte. Dieses ganze Gemälde trug unverkennbar den Stempel des Genies an sich und es lebte in demselben eine solche ungestüme Kraft, daß 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/121>, abgerufen am 23.07.2024.