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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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bin! Brauer fand fortan diese Lebensweise so vernünftig, daß er
beisie bis zu seinem Tode beihielt.

Dieser erste Eindruck war zu stark gewesen, als daß er fortan
em geordnetes, arbeitsames Leben zu führen vermocht hätte. Er
verbrachte seine Tage in Kneipen und Bordellen, wo er seine Palette
mit tausend komischen und tragischen Episoden bereicherte, während
zugleich sein Geist und sein Herz stufenweise sanken. Wenn aber
eine glückliche Inspiration mit ihren Fittigen ihn umschattete, dann
erwachte in ihm das ganze Feuer seines Genies; seine Stirn, der
die Orgie ihren scheußlichen Stempel aufgedrückt, strahlte alsdann;
sein Auge belebte sich mit seltsamem Glänze und sein Pinsel streifte
über die Leinewand mit unerhörtem Eifer und merkwürdiger Leich¬
tigkeit hin. Diese letzte Eigenschaft aber war eS gerade, die ihn auf
die gleitenden Wege zum Abgrunde noch rascher dahintrieb. Ein
Tag reichte für ihn hin, ein Gemälde zu beendigen, das die Liebha¬
ber mit Gold bedeckten, und dieses Gold ward bald von dem glü¬
henden Schlunde der Ausschweifung verschlungen. Die Tavernen
wurden seine Malerwerkstätte; krummbeinigte Schemel oder oft auch
die Schultern einer Courtisane waren seine Staffelei; und in den
lichten Zwischenräumen eines trunkenen Lanzenknechtlebenö schuf er
seine Meisterwerke.

So führte Brauer in den wenigen Jahren, die er in Amster¬
dam verbrachte, ein wahrhaft verzehrendes Leben, das unmöglich
lange Bestand haben konnte. "Viel gewinnend, aber noch mehr
verschwendend und niemals seine Schulden bezahlend,, sagt Descamps
(einer seiner Biographen), "sah er sich bald genöthigt in heimlicher
Flucht den Schauplatz seiner fröhlichen Gelage zu verlassen."

Er ging aus Amsterdam, wie er dort angekommen war, arm
an Geld, aber reich an Talent; doch war seine Einbildungskraft
durch die vielen mannigfachen Ausschweifungen der letzten Jahre
schwächer und matter geworden. Unkundig aller weltlichen Angele¬
genheiten, wie ein Künstler, der sich nie um etwas Anderes als um
den Preis der spanischen Weine bekümmert hatte, wußte Brauer
nicht, daß die spanischen Niederlande mit den vereinigten Provinzen
Hollands im Kriege begriffen waren. Er erfuhr es auf seine Un¬
kosten in Antwerpen. Denn als er an den Thoren dieser Stadt
anlangte, ward er für einen Spion gehalten und da er weder einen


bin! Brauer fand fortan diese Lebensweise so vernünftig, daß er
beisie bis zu seinem Tode beihielt.

Dieser erste Eindruck war zu stark gewesen, als daß er fortan
em geordnetes, arbeitsames Leben zu führen vermocht hätte. Er
verbrachte seine Tage in Kneipen und Bordellen, wo er seine Palette
mit tausend komischen und tragischen Episoden bereicherte, während
zugleich sein Geist und sein Herz stufenweise sanken. Wenn aber
eine glückliche Inspiration mit ihren Fittigen ihn umschattete, dann
erwachte in ihm das ganze Feuer seines Genies; seine Stirn, der
die Orgie ihren scheußlichen Stempel aufgedrückt, strahlte alsdann;
sein Auge belebte sich mit seltsamem Glänze und sein Pinsel streifte
über die Leinewand mit unerhörtem Eifer und merkwürdiger Leich¬
tigkeit hin. Diese letzte Eigenschaft aber war eS gerade, die ihn auf
die gleitenden Wege zum Abgrunde noch rascher dahintrieb. Ein
Tag reichte für ihn hin, ein Gemälde zu beendigen, das die Liebha¬
ber mit Gold bedeckten, und dieses Gold ward bald von dem glü¬
henden Schlunde der Ausschweifung verschlungen. Die Tavernen
wurden seine Malerwerkstätte; krummbeinigte Schemel oder oft auch
die Schultern einer Courtisane waren seine Staffelei; und in den
lichten Zwischenräumen eines trunkenen Lanzenknechtlebenö schuf er
seine Meisterwerke.

So führte Brauer in den wenigen Jahren, die er in Amster¬
dam verbrachte, ein wahrhaft verzehrendes Leben, das unmöglich
lange Bestand haben konnte. „Viel gewinnend, aber noch mehr
verschwendend und niemals seine Schulden bezahlend,, sagt Descamps
(einer seiner Biographen), „sah er sich bald genöthigt in heimlicher
Flucht den Schauplatz seiner fröhlichen Gelage zu verlassen."

Er ging aus Amsterdam, wie er dort angekommen war, arm
an Geld, aber reich an Talent; doch war seine Einbildungskraft
durch die vielen mannigfachen Ausschweifungen der letzten Jahre
schwächer und matter geworden. Unkundig aller weltlichen Angele¬
genheiten, wie ein Künstler, der sich nie um etwas Anderes als um
den Preis der spanischen Weine bekümmert hatte, wußte Brauer
nicht, daß die spanischen Niederlande mit den vereinigten Provinzen
Hollands im Kriege begriffen waren. Er erfuhr es auf seine Un¬
kosten in Antwerpen. Denn als er an den Thoren dieser Stadt
anlangte, ward er für einen Spion gehalten und da er weder einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/120>, abgerufen am 23.07.2024.