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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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über den Verlust eines solchen Schülers ganz in Verzweiflung ge¬
rathen, war eben nach Haus gekommen, nachdem er unnütz alle
Straßen Harlems durchlaufen. Als Hals den Deserteur erblickte,
befahl er ihm, halb wüthend halb froh und mit rauhem Tone, in
seine Werkstätte zurückzukehren, indem er ihm, wenn er sich je wieder
einen solchen Streich erlaubte, die derbste Tracht Schlage versprach,
die je auf die Schultern eines Taugenichts gefallen wäre.

Um dem Geschrei und den Schimpfworten von Halsens Frau
zu entgehen, die sich über die Undankbarkeit dieses Unglücklichen
beklagte, der ihre Sorgfalt so schlecht belohne, eilte Brauer, der
einen düstern Horizont von Kopfnüssen und Fußstößen vor sich sah,
in seine Bodenkammer. Halsens Freund warf seinem Meister indeß
sein unverantwortliches Benehmen gegen ein Kind vor, das zum
Lohne für diese kostbare Arbeit schlechter als ein Dienstbote behandelt
werde. Er gab ihm zu verstehen, daß eine Fortsetzung dieser schlech¬
ten Behandlung ihn nicht allein für immer seines Schülers be¬
rauben, sondern ihm auch noch eine strenge Bestrafung zuziehen
könne.

Diese Vorwürfe hatten einen außerordentlichen Erfolg. Am
andern Morgen, da der arme Bursche glaubte, die Zeit sei gekom¬
men, wo sein Meister von gestern her mit ihm rechnen werde, wie
erstaunt war er da nicht, als dieser in aller Sanftmuth mit ihm
sprach. Halsens Frau schien ihre giftige Zunge verloren zu haben.
Zum ersten Mal in seinem Leben frühstückte Brauer. Herz, was be¬
gehrst du? Man ließ ihm zu selner größten Verwunderung die
Wahl zwischen Fleisch und Fisch. Diese gänzliche Revolution än¬
derte seinen ganzen Jdeenkreis. Wie wurde ihm aber erst, als gegen
Mittag Hals ihm sagte, er habe neue Kleidungsstücke für ihn
kommen lassen! Brauer glaubte toll vor Freude zu werden, selbst da
er sah, daß diese neuen Kleider nur alte beim Trödler aufgekaufte
Sachen waren, die ihm nach allen Dimensionen hin nicht paßten.
Aber Hals und seine Frau sprachen Wunder wie viel darüber, wie
gut er sich darin ausnehme, und so kehrte er mit fröhlichem Herzen
zu seiner Arbeit zurück und arbeitete fleißig darauf los, um seinem
Meister eine reichliche Thalerernte zu verschaffen.

Unerhört! Brauer war der einzige, der sein Talent nicht kannte.
Die Verachtung und schlechte Behandlung, die sein Meister ihm an-


über den Verlust eines solchen Schülers ganz in Verzweiflung ge¬
rathen, war eben nach Haus gekommen, nachdem er unnütz alle
Straßen Harlems durchlaufen. Als Hals den Deserteur erblickte,
befahl er ihm, halb wüthend halb froh und mit rauhem Tone, in
seine Werkstätte zurückzukehren, indem er ihm, wenn er sich je wieder
einen solchen Streich erlaubte, die derbste Tracht Schlage versprach,
die je auf die Schultern eines Taugenichts gefallen wäre.

Um dem Geschrei und den Schimpfworten von Halsens Frau
zu entgehen, die sich über die Undankbarkeit dieses Unglücklichen
beklagte, der ihre Sorgfalt so schlecht belohne, eilte Brauer, der
einen düstern Horizont von Kopfnüssen und Fußstößen vor sich sah,
in seine Bodenkammer. Halsens Freund warf seinem Meister indeß
sein unverantwortliches Benehmen gegen ein Kind vor, das zum
Lohne für diese kostbare Arbeit schlechter als ein Dienstbote behandelt
werde. Er gab ihm zu verstehen, daß eine Fortsetzung dieser schlech¬
ten Behandlung ihn nicht allein für immer seines Schülers be¬
rauben, sondern ihm auch noch eine strenge Bestrafung zuziehen
könne.

Diese Vorwürfe hatten einen außerordentlichen Erfolg. Am
andern Morgen, da der arme Bursche glaubte, die Zeit sei gekom¬
men, wo sein Meister von gestern her mit ihm rechnen werde, wie
erstaunt war er da nicht, als dieser in aller Sanftmuth mit ihm
sprach. Halsens Frau schien ihre giftige Zunge verloren zu haben.
Zum ersten Mal in seinem Leben frühstückte Brauer. Herz, was be¬
gehrst du? Man ließ ihm zu selner größten Verwunderung die
Wahl zwischen Fleisch und Fisch. Diese gänzliche Revolution än¬
derte seinen ganzen Jdeenkreis. Wie wurde ihm aber erst, als gegen
Mittag Hals ihm sagte, er habe neue Kleidungsstücke für ihn
kommen lassen! Brauer glaubte toll vor Freude zu werden, selbst da
er sah, daß diese neuen Kleider nur alte beim Trödler aufgekaufte
Sachen waren, die ihm nach allen Dimensionen hin nicht paßten.
Aber Hals und seine Frau sprachen Wunder wie viel darüber, wie
gut er sich darin ausnehme, und so kehrte er mit fröhlichem Herzen
zu seiner Arbeit zurück und arbeitete fleißig darauf los, um seinem
Meister eine reichliche Thalerernte zu verschaffen.

Unerhört! Brauer war der einzige, der sein Talent nicht kannte.
Die Verachtung und schlechte Behandlung, die sein Meister ihm an-


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[0115] über den Verlust eines solchen Schülers ganz in Verzweiflung ge¬ rathen, war eben nach Haus gekommen, nachdem er unnütz alle Straßen Harlems durchlaufen. Als Hals den Deserteur erblickte, befahl er ihm, halb wüthend halb froh und mit rauhem Tone, in seine Werkstätte zurückzukehren, indem er ihm, wenn er sich je wieder einen solchen Streich erlaubte, die derbste Tracht Schlage versprach, die je auf die Schultern eines Taugenichts gefallen wäre. Um dem Geschrei und den Schimpfworten von Halsens Frau zu entgehen, die sich über die Undankbarkeit dieses Unglücklichen beklagte, der ihre Sorgfalt so schlecht belohne, eilte Brauer, der einen düstern Horizont von Kopfnüssen und Fußstößen vor sich sah, in seine Bodenkammer. Halsens Freund warf seinem Meister indeß sein unverantwortliches Benehmen gegen ein Kind vor, das zum Lohne für diese kostbare Arbeit schlechter als ein Dienstbote behandelt werde. Er gab ihm zu verstehen, daß eine Fortsetzung dieser schlech¬ ten Behandlung ihn nicht allein für immer seines Schülers be¬ rauben, sondern ihm auch noch eine strenge Bestrafung zuziehen könne. Diese Vorwürfe hatten einen außerordentlichen Erfolg. Am andern Morgen, da der arme Bursche glaubte, die Zeit sei gekom¬ men, wo sein Meister von gestern her mit ihm rechnen werde, wie erstaunt war er da nicht, als dieser in aller Sanftmuth mit ihm sprach. Halsens Frau schien ihre giftige Zunge verloren zu haben. Zum ersten Mal in seinem Leben frühstückte Brauer. Herz, was be¬ gehrst du? Man ließ ihm zu selner größten Verwunderung die Wahl zwischen Fleisch und Fisch. Diese gänzliche Revolution än¬ derte seinen ganzen Jdeenkreis. Wie wurde ihm aber erst, als gegen Mittag Hals ihm sagte, er habe neue Kleidungsstücke für ihn kommen lassen! Brauer glaubte toll vor Freude zu werden, selbst da er sah, daß diese neuen Kleider nur alte beim Trödler aufgekaufte Sachen waren, die ihm nach allen Dimensionen hin nicht paßten. Aber Hals und seine Frau sprachen Wunder wie viel darüber, wie gut er sich darin ausnehme, und so kehrte er mit fröhlichem Herzen zu seiner Arbeit zurück und arbeitete fleißig darauf los, um seinem Meister eine reichliche Thalerernte zu verschaffen. Unerhört! Brauer war der einzige, der sein Talent nicht kannte. Die Verachtung und schlechte Behandlung, die sein Meister ihm an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/115>, abgerufen am 23.07.2024.