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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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lichen Tagen zurückkehrten, die er bei seiner Mutter verbracht, Tagen
der Muße und der freien Laune, der Schelmenstreiche und der ge¬
räuschvollen Spiele. Während er in diese Gedanken vertieft war, hörte
er -- und ein Schauer durchlief seine Glieder -- eine Stimme, die
seinen Namen murmelte, während gleichzeitig eine Hand sich auf
seine Schulter legte.

Das Elend und die bisherige rauhe Behandlung hatten Brauer'S
Seele gebeugt; er zitterte anfangs vor Furcht, diese Stimme möchte
die seines unbarmherzigen Quälgeistes sein. Da aber sein Name
ein zweites Mal mit einem Ton der Güte ausgesprochen ward, an
den er bisher nicht gewöhnt gewesen, wagte es der arme Sclave,
sein von Thränen gebadetes Haupt in die Höhe zu heben. Der
Mann, der vor ihm stand, war einer von Halsens Freunden und
ein fleißiger Besucher seines Ateliers, der nun nicht wenig erstaunt
war, Brauer unter dem Orgelpositiv versteckt zu finden, während
einige Stücke Pfefferkuchen um ihn her lagen, die vollends zu ver¬
zehren sein überwältigender Schmerz ihn abgehalten.

Gerührt von einem solchen Schauspiel, frug Halsens Freund
den jungen Menschen um die Ursache des tiefen Kummers, der ihn
zu bedrücken schien. Diese in einem Ton voll Herzlichkeit an ihn
gerichtete Frage war der Tropfen, der, in ein volles Gefäß geschüttet,
es zum Ueberströmen bringt. Brauer, in Thränen zerschmelzend,
erzählte nun, welche schlechte Behandlung er bei seinem Meister er¬
dulden müssen, und wie dieser sich nicht damit begnüge, sich die
Früchte von Brauer's Arbeit anzueignen, sondern ihn aus Geiz auch
noch nackt und halb Hungers sterben lasse. Das abgezehrte und
hungerbleiche Aussehen, so wie die scheußlichen Lumpen, mit denen der
Künstler bekleidet war, bestätigten die vollkommne Wahrheit dieser
Erzählung. Halsens Freund versprach dem jungen Manne seine
fernere Theilnahme und seine Vermittlung, um diesem hassenswerther
Benehmen ein Ende zu machen, wenn er mit ihm zu seinem Meister
zurückkehren wolle.

Der trostlose Flüchtling, der wie alle durch die Unterdrückung
ihrer moralischen Kraft beraubten Sclaven von der Freiheit, die er
sich eben erst erworben, keinen Gebrauch zu machen wußte, nahm das
Anerbieten seines Beschützers an und kehrte mit gesenktem Haupte
zurück, um von Neuem seine Ketten zu tragen. Franz Hals, der


lichen Tagen zurückkehrten, die er bei seiner Mutter verbracht, Tagen
der Muße und der freien Laune, der Schelmenstreiche und der ge¬
räuschvollen Spiele. Während er in diese Gedanken vertieft war, hörte
er — und ein Schauer durchlief seine Glieder — eine Stimme, die
seinen Namen murmelte, während gleichzeitig eine Hand sich auf
seine Schulter legte.

Das Elend und die bisherige rauhe Behandlung hatten Brauer'S
Seele gebeugt; er zitterte anfangs vor Furcht, diese Stimme möchte
die seines unbarmherzigen Quälgeistes sein. Da aber sein Name
ein zweites Mal mit einem Ton der Güte ausgesprochen ward, an
den er bisher nicht gewöhnt gewesen, wagte es der arme Sclave,
sein von Thränen gebadetes Haupt in die Höhe zu heben. Der
Mann, der vor ihm stand, war einer von Halsens Freunden und
ein fleißiger Besucher seines Ateliers, der nun nicht wenig erstaunt
war, Brauer unter dem Orgelpositiv versteckt zu finden, während
einige Stücke Pfefferkuchen um ihn her lagen, die vollends zu ver¬
zehren sein überwältigender Schmerz ihn abgehalten.

Gerührt von einem solchen Schauspiel, frug Halsens Freund
den jungen Menschen um die Ursache des tiefen Kummers, der ihn
zu bedrücken schien. Diese in einem Ton voll Herzlichkeit an ihn
gerichtete Frage war der Tropfen, der, in ein volles Gefäß geschüttet,
es zum Ueberströmen bringt. Brauer, in Thränen zerschmelzend,
erzählte nun, welche schlechte Behandlung er bei seinem Meister er¬
dulden müssen, und wie dieser sich nicht damit begnüge, sich die
Früchte von Brauer's Arbeit anzueignen, sondern ihn aus Geiz auch
noch nackt und halb Hungers sterben lasse. Das abgezehrte und
hungerbleiche Aussehen, so wie die scheußlichen Lumpen, mit denen der
Künstler bekleidet war, bestätigten die vollkommne Wahrheit dieser
Erzählung. Halsens Freund versprach dem jungen Manne seine
fernere Theilnahme und seine Vermittlung, um diesem hassenswerther
Benehmen ein Ende zu machen, wenn er mit ihm zu seinem Meister
zurückkehren wolle.

Der trostlose Flüchtling, der wie alle durch die Unterdrückung
ihrer moralischen Kraft beraubten Sclaven von der Freiheit, die er
sich eben erst erworben, keinen Gebrauch zu machen wußte, nahm das
Anerbieten seines Beschützers an und kehrte mit gesenktem Haupte
zurück, um von Neuem seine Ketten zu tragen. Franz Hals, der


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[0114] lichen Tagen zurückkehrten, die er bei seiner Mutter verbracht, Tagen der Muße und der freien Laune, der Schelmenstreiche und der ge¬ räuschvollen Spiele. Während er in diese Gedanken vertieft war, hörte er — und ein Schauer durchlief seine Glieder — eine Stimme, die seinen Namen murmelte, während gleichzeitig eine Hand sich auf seine Schulter legte. Das Elend und die bisherige rauhe Behandlung hatten Brauer'S Seele gebeugt; er zitterte anfangs vor Furcht, diese Stimme möchte die seines unbarmherzigen Quälgeistes sein. Da aber sein Name ein zweites Mal mit einem Ton der Güte ausgesprochen ward, an den er bisher nicht gewöhnt gewesen, wagte es der arme Sclave, sein von Thränen gebadetes Haupt in die Höhe zu heben. Der Mann, der vor ihm stand, war einer von Halsens Freunden und ein fleißiger Besucher seines Ateliers, der nun nicht wenig erstaunt war, Brauer unter dem Orgelpositiv versteckt zu finden, während einige Stücke Pfefferkuchen um ihn her lagen, die vollends zu ver¬ zehren sein überwältigender Schmerz ihn abgehalten. Gerührt von einem solchen Schauspiel, frug Halsens Freund den jungen Menschen um die Ursache des tiefen Kummers, der ihn zu bedrücken schien. Diese in einem Ton voll Herzlichkeit an ihn gerichtete Frage war der Tropfen, der, in ein volles Gefäß geschüttet, es zum Ueberströmen bringt. Brauer, in Thränen zerschmelzend, erzählte nun, welche schlechte Behandlung er bei seinem Meister er¬ dulden müssen, und wie dieser sich nicht damit begnüge, sich die Früchte von Brauer's Arbeit anzueignen, sondern ihn aus Geiz auch noch nackt und halb Hungers sterben lasse. Das abgezehrte und hungerbleiche Aussehen, so wie die scheußlichen Lumpen, mit denen der Künstler bekleidet war, bestätigten die vollkommne Wahrheit dieser Erzählung. Halsens Freund versprach dem jungen Manne seine fernere Theilnahme und seine Vermittlung, um diesem hassenswerther Benehmen ein Ende zu machen, wenn er mit ihm zu seinem Meister zurückkehren wolle. Der trostlose Flüchtling, der wie alle durch die Unterdrückung ihrer moralischen Kraft beraubten Sclaven von der Freiheit, die er sich eben erst erworben, keinen Gebrauch zu machen wußte, nahm das Anerbieten seines Beschützers an und kehrte mit gesenktem Haupte zurück, um von Neuem seine Ketten zu tragen. Franz Hals, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/114>, abgerufen am 23.07.2024.