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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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etwas Gutes zu leisten. Ostade, erzürnt über diese feige Grausam¬
keit, welche das Opfer, das sie plünderte, noch obendrein verläumdete,
täuschte noch einmal die strenge Wachsamkeit Halsens und seiner
würdigen Gattin, drang bis zu Brauer und rieth ihm, aus diesem
Zwangsaufenthalt zu fliehen, wo man dem Sclaven, dessen Pinsel
Schatze erzeugte, sogar daS trockne Brod verweigerte. Ostade fügte
hinzu, das ganze Atelier sei bereit, seine Flucht zu begünstigen, und
die Ersparnisse seiner Gefährten, so wie die seinigen würden ihm
die ersten Mittel verschaffen, für seine Eristenz zu sorgen; das Wei¬
tere würde schon sein Talent thun.

Das aufs Höchste gestiegene Elend deS ausgehungerten und
halb nackten Brauer ließ ihm nur die Wahl zwischen Flucht oder
Verzweiflung. Er machte sich einen Tag, wo Hals abwesend war,
zu Nutze und entfloh glücklich seinem abscheulichen Kerker. Aber
wie er nun im Freien war, wußte unser arme Künstler nicht, was
er mit seiner Freiheit beginnen sollte. Die Sclaverei schien seine
Seele erstarrt zu haben. Er zweifelte an sich, an seinem Talent,
an seiner Zukunft. Die Lobeserhebungen seiner Werkstättgenossen
tauchten ihm einen Augenblick Spöttereien, von denen er sich habe
zum Narren halten lassen.

Da jedoch der Hunger eins seiner vorzüglichsten Leiden gewesen
war, so war der erste Gebrauch, den er von seiner Freiheit und
dem wenigen Geld, das er besaß, machte, der, daß er zu einem
Pfefferkuchmhandler ging und einen reichlichen Vorrath an Lebens¬
mitteln sich einkaufte, die er verschlang, indem er dabei die Stadt
durchlief. Da ihn der Tod seiner Mutter jeglicher Zuflucht und
allen Schutzes beraubt hatte und er nicht wußte noch hatte, wo
sein Haupt hinlegen, suchte er bei einbrechender Nacht einen Zu¬
fluchtsort in der Karhedralkirche.

Daselbst versteckte er sich unter dem Positiv der Orgel und, in
seinen Lumpen zusammengekauert, fing Brauer an über die Mittel
nachzudenken, wie er einen Stand verlassen könnte, in dem er nicht
einmal Brod gewann und wie er aus einer Lage sich herausrisse,
in welcher er geistig und leiblich das Eigenthum eines gierig ihn
ausbeutenden Herrn geworden. Seine Zukunft und seine Gegen¬
wart schienen ihm gleich düster, und er konnte sich nicht erwehren
bitterlich zu weinen, als seine Gedanken unwillkürlich zu den glück-


etwas Gutes zu leisten. Ostade, erzürnt über diese feige Grausam¬
keit, welche das Opfer, das sie plünderte, noch obendrein verläumdete,
täuschte noch einmal die strenge Wachsamkeit Halsens und seiner
würdigen Gattin, drang bis zu Brauer und rieth ihm, aus diesem
Zwangsaufenthalt zu fliehen, wo man dem Sclaven, dessen Pinsel
Schatze erzeugte, sogar daS trockne Brod verweigerte. Ostade fügte
hinzu, das ganze Atelier sei bereit, seine Flucht zu begünstigen, und
die Ersparnisse seiner Gefährten, so wie die seinigen würden ihm
die ersten Mittel verschaffen, für seine Eristenz zu sorgen; das Wei¬
tere würde schon sein Talent thun.

Das aufs Höchste gestiegene Elend deS ausgehungerten und
halb nackten Brauer ließ ihm nur die Wahl zwischen Flucht oder
Verzweiflung. Er machte sich einen Tag, wo Hals abwesend war,
zu Nutze und entfloh glücklich seinem abscheulichen Kerker. Aber
wie er nun im Freien war, wußte unser arme Künstler nicht, was
er mit seiner Freiheit beginnen sollte. Die Sclaverei schien seine
Seele erstarrt zu haben. Er zweifelte an sich, an seinem Talent,
an seiner Zukunft. Die Lobeserhebungen seiner Werkstättgenossen
tauchten ihm einen Augenblick Spöttereien, von denen er sich habe
zum Narren halten lassen.

Da jedoch der Hunger eins seiner vorzüglichsten Leiden gewesen
war, so war der erste Gebrauch, den er von seiner Freiheit und
dem wenigen Geld, das er besaß, machte, der, daß er zu einem
Pfefferkuchmhandler ging und einen reichlichen Vorrath an Lebens¬
mitteln sich einkaufte, die er verschlang, indem er dabei die Stadt
durchlief. Da ihn der Tod seiner Mutter jeglicher Zuflucht und
allen Schutzes beraubt hatte und er nicht wußte noch hatte, wo
sein Haupt hinlegen, suchte er bei einbrechender Nacht einen Zu¬
fluchtsort in der Karhedralkirche.

Daselbst versteckte er sich unter dem Positiv der Orgel und, in
seinen Lumpen zusammengekauert, fing Brauer an über die Mittel
nachzudenken, wie er einen Stand verlassen könnte, in dem er nicht
einmal Brod gewann und wie er aus einer Lage sich herausrisse,
in welcher er geistig und leiblich das Eigenthum eines gierig ihn
ausbeutenden Herrn geworden. Seine Zukunft und seine Gegen¬
wart schienen ihm gleich düster, und er konnte sich nicht erwehren
bitterlich zu weinen, als seine Gedanken unwillkürlich zu den glück-


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[0113] etwas Gutes zu leisten. Ostade, erzürnt über diese feige Grausam¬ keit, welche das Opfer, das sie plünderte, noch obendrein verläumdete, täuschte noch einmal die strenge Wachsamkeit Halsens und seiner würdigen Gattin, drang bis zu Brauer und rieth ihm, aus diesem Zwangsaufenthalt zu fliehen, wo man dem Sclaven, dessen Pinsel Schatze erzeugte, sogar daS trockne Brod verweigerte. Ostade fügte hinzu, das ganze Atelier sei bereit, seine Flucht zu begünstigen, und die Ersparnisse seiner Gefährten, so wie die seinigen würden ihm die ersten Mittel verschaffen, für seine Eristenz zu sorgen; das Wei¬ tere würde schon sein Talent thun. Das aufs Höchste gestiegene Elend deS ausgehungerten und halb nackten Brauer ließ ihm nur die Wahl zwischen Flucht oder Verzweiflung. Er machte sich einen Tag, wo Hals abwesend war, zu Nutze und entfloh glücklich seinem abscheulichen Kerker. Aber wie er nun im Freien war, wußte unser arme Künstler nicht, was er mit seiner Freiheit beginnen sollte. Die Sclaverei schien seine Seele erstarrt zu haben. Er zweifelte an sich, an seinem Talent, an seiner Zukunft. Die Lobeserhebungen seiner Werkstättgenossen tauchten ihm einen Augenblick Spöttereien, von denen er sich habe zum Narren halten lassen. Da jedoch der Hunger eins seiner vorzüglichsten Leiden gewesen war, so war der erste Gebrauch, den er von seiner Freiheit und dem wenigen Geld, das er besaß, machte, der, daß er zu einem Pfefferkuchmhandler ging und einen reichlichen Vorrath an Lebens¬ mitteln sich einkaufte, die er verschlang, indem er dabei die Stadt durchlief. Da ihn der Tod seiner Mutter jeglicher Zuflucht und allen Schutzes beraubt hatte und er nicht wußte noch hatte, wo sein Haupt hinlegen, suchte er bei einbrechender Nacht einen Zu¬ fluchtsort in der Karhedralkirche. Daselbst versteckte er sich unter dem Positiv der Orgel und, in seinen Lumpen zusammengekauert, fing Brauer an über die Mittel nachzudenken, wie er einen Stand verlassen könnte, in dem er nicht einmal Brod gewann und wie er aus einer Lage sich herausrisse, in welcher er geistig und leiblich das Eigenthum eines gierig ihn ausbeutenden Herrn geworden. Seine Zukunft und seine Gegen¬ wart schienen ihm gleich düster, und er konnte sich nicht erwehren bitterlich zu weinen, als seine Gedanken unwillkürlich zu den glück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/113>, abgerufen am 23.07.2024.