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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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unbekannte Kraft der Einbildung, Naivetät und Manier offenbarten,
machte damals den Stoff der Unterhaltungen in allen Malerateliers
aus. Adrian von Ostade, der den fröhlichen und schelmischen Zög¬
ling liebgewonnen hatte, schlich sich eines Tages während einer Ab¬
wesenheit von Hals bis zum Söller hinauf, in welchem die Hab¬
sucht des Meisters unsern Brauer eingeschlossen hatte. Ostade klet¬
terte bis zu einem kleinen Dachfenster, durch welches dieser erbärm¬
liche Aufenthalt beleuchtet wurde, und da sah er zu seinem größten
Erstaunen, daß dieser unbekannte und geheimnißvolle Meister, dessen
Arbeiten sich Franz Hals mit Gold aufwiegen ließ, kein anderer
als sein Freund Brauer war. Dieser beklagte sich bei Ostade über
die schlechte Behandlung, die er von Hals erfuhr, der ihn mit Ar¬
beit überhäufte und ihm nur dann zu essen gab, wenn er eine be¬
stimmte Ausgabe vollendet hatte. Er zeigte ihm seine zerlumpten
Kleider und schilderte' ihm seine Leiden in so wahren und naiven
Ausdrücken, daß ihm Ostade, um sein Elend einigermaßen zu er¬
leichtern, vorschlug, er solle ihm die fünf Sinne malen.zu vier
Sols das Stück. Brauer nahm es an und mußte nun mit noch
größerem Eifer arbeiten, um seinem gierigen Tyrannen zu verbergen,
daß er einen Theil seiner Zeit sür sich verwende. Als die fünf
Sinne zur allgemeinen Zufriedenheit der Werkstätte geendigt wa¬
ren, verlangte ein anderer Schüler die zwölf Monate von Brauer
zu demselben Preis. Der arme Zögling nahm auch dieses an, um
sich eine gesündere und hauptsächlich eine reichhaltigere Nahrung zu
verschaffen, und endigte bald sein Dutzend Allegorien, das ihm hin¬
reichend Brod für einen Monat verschaffte.

Aber der Dämon der Habgier und des Geizes wachte über
Brauer. Bald glaubte Hals zu bemerken, sein Sklave pro-
duzire nicht mehr so viel als früher. Halsens Frau besonders,
eine Art aus der Hölle aufgestiegener Harpye, übernahm es,
Brauer sorgfältig zu überwachen und seine Arbeit zu verdop¬
peln, während sie zu gleicher Zeit seine ohnedieß schon sehr
beschränkte Nahrung noch mehr verringerte. Den anderen Zög¬
lingen ward es nun so schwer, zu dem Gefangenen sich Zutritt
zu verschaffen, daß sie es nicht mehr wagten. Franz Hals äußerte
sich von Tag zu Tag verächtlicher über Brauer's Talent und schil¬
derte ihn seinen Zöglingen, als würde er nicht im Stande sein, je


unbekannte Kraft der Einbildung, Naivetät und Manier offenbarten,
machte damals den Stoff der Unterhaltungen in allen Malerateliers
aus. Adrian von Ostade, der den fröhlichen und schelmischen Zög¬
ling liebgewonnen hatte, schlich sich eines Tages während einer Ab¬
wesenheit von Hals bis zum Söller hinauf, in welchem die Hab¬
sucht des Meisters unsern Brauer eingeschlossen hatte. Ostade klet¬
terte bis zu einem kleinen Dachfenster, durch welches dieser erbärm¬
liche Aufenthalt beleuchtet wurde, und da sah er zu seinem größten
Erstaunen, daß dieser unbekannte und geheimnißvolle Meister, dessen
Arbeiten sich Franz Hals mit Gold aufwiegen ließ, kein anderer
als sein Freund Brauer war. Dieser beklagte sich bei Ostade über
die schlechte Behandlung, die er von Hals erfuhr, der ihn mit Ar¬
beit überhäufte und ihm nur dann zu essen gab, wenn er eine be¬
stimmte Ausgabe vollendet hatte. Er zeigte ihm seine zerlumpten
Kleider und schilderte' ihm seine Leiden in so wahren und naiven
Ausdrücken, daß ihm Ostade, um sein Elend einigermaßen zu er¬
leichtern, vorschlug, er solle ihm die fünf Sinne malen.zu vier
Sols das Stück. Brauer nahm es an und mußte nun mit noch
größerem Eifer arbeiten, um seinem gierigen Tyrannen zu verbergen,
daß er einen Theil seiner Zeit sür sich verwende. Als die fünf
Sinne zur allgemeinen Zufriedenheit der Werkstätte geendigt wa¬
ren, verlangte ein anderer Schüler die zwölf Monate von Brauer
zu demselben Preis. Der arme Zögling nahm auch dieses an, um
sich eine gesündere und hauptsächlich eine reichhaltigere Nahrung zu
verschaffen, und endigte bald sein Dutzend Allegorien, das ihm hin¬
reichend Brod für einen Monat verschaffte.

Aber der Dämon der Habgier und des Geizes wachte über
Brauer. Bald glaubte Hals zu bemerken, sein Sklave pro-
duzire nicht mehr so viel als früher. Halsens Frau besonders,
eine Art aus der Hölle aufgestiegener Harpye, übernahm es,
Brauer sorgfältig zu überwachen und seine Arbeit zu verdop¬
peln, während sie zu gleicher Zeit seine ohnedieß schon sehr
beschränkte Nahrung noch mehr verringerte. Den anderen Zög¬
lingen ward es nun so schwer, zu dem Gefangenen sich Zutritt
zu verschaffen, daß sie es nicht mehr wagten. Franz Hals äußerte
sich von Tag zu Tag verächtlicher über Brauer's Talent und schil¬
derte ihn seinen Zöglingen, als würde er nicht im Stande sein, je


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[0112] unbekannte Kraft der Einbildung, Naivetät und Manier offenbarten, machte damals den Stoff der Unterhaltungen in allen Malerateliers aus. Adrian von Ostade, der den fröhlichen und schelmischen Zög¬ ling liebgewonnen hatte, schlich sich eines Tages während einer Ab¬ wesenheit von Hals bis zum Söller hinauf, in welchem die Hab¬ sucht des Meisters unsern Brauer eingeschlossen hatte. Ostade klet¬ terte bis zu einem kleinen Dachfenster, durch welches dieser erbärm¬ liche Aufenthalt beleuchtet wurde, und da sah er zu seinem größten Erstaunen, daß dieser unbekannte und geheimnißvolle Meister, dessen Arbeiten sich Franz Hals mit Gold aufwiegen ließ, kein anderer als sein Freund Brauer war. Dieser beklagte sich bei Ostade über die schlechte Behandlung, die er von Hals erfuhr, der ihn mit Ar¬ beit überhäufte und ihm nur dann zu essen gab, wenn er eine be¬ stimmte Ausgabe vollendet hatte. Er zeigte ihm seine zerlumpten Kleider und schilderte' ihm seine Leiden in so wahren und naiven Ausdrücken, daß ihm Ostade, um sein Elend einigermaßen zu er¬ leichtern, vorschlug, er solle ihm die fünf Sinne malen.zu vier Sols das Stück. Brauer nahm es an und mußte nun mit noch größerem Eifer arbeiten, um seinem gierigen Tyrannen zu verbergen, daß er einen Theil seiner Zeit sür sich verwende. Als die fünf Sinne zur allgemeinen Zufriedenheit der Werkstätte geendigt wa¬ ren, verlangte ein anderer Schüler die zwölf Monate von Brauer zu demselben Preis. Der arme Zögling nahm auch dieses an, um sich eine gesündere und hauptsächlich eine reichhaltigere Nahrung zu verschaffen, und endigte bald sein Dutzend Allegorien, das ihm hin¬ reichend Brod für einen Monat verschaffte. Aber der Dämon der Habgier und des Geizes wachte über Brauer. Bald glaubte Hals zu bemerken, sein Sklave pro- duzire nicht mehr so viel als früher. Halsens Frau besonders, eine Art aus der Hölle aufgestiegener Harpye, übernahm es, Brauer sorgfältig zu überwachen und seine Arbeit zu verdop¬ peln, während sie zu gleicher Zeit seine ohnedieß schon sehr beschränkte Nahrung noch mehr verringerte. Den anderen Zög¬ lingen ward es nun so schwer, zu dem Gefangenen sich Zutritt zu verschaffen, daß sie es nicht mehr wagten. Franz Hals äußerte sich von Tag zu Tag verächtlicher über Brauer's Talent und schil¬ derte ihn seinen Zöglingen, als würde er nicht im Stande sein, je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/112>, abgerufen am 23.07.2024.