"Es geht halt nix über das Ditsche!" platzte es heraus. Der Franzose fragte: Warum? "weil ich die Welsche nit lide kann" -- antwortete es rasch, "sie sin all so falsch." Der Franzose zuckte mit den Nasenflügeln, behauptete, es müßte in einen Franzosen verliebt gewesen sein. "O nai, erwiederte es, die Welsche wissen jo gar nit wo man einen gern hat." Die ganze Gesellschaft lachte. Ich stellte jedoch den Frieden zwischen meinem Freunde und dem sehr interessanten Mädel bald wieder her und sie reichte ihm sogar die Hand zur Versöhnung.
Nun bin ich in Straßburg, und sehe vor Allem die beiden Statuen Kle¬ bers und Gutenbergs an. Welch ein Unterschied zwischen dem elsässischen und dem pariser Künstler! Ich habe Davids Gutenberg gestochen gesehen, er schien mir sehr genial, das Original aber lehrte mich, keinem Kupferstich mehr zu trauen; denn es ist unter aller Kritik schlecht. Da ist auch nicht eine Ahnung von Weihe. Ein junges, unbedeutendes Gesicht, wenn auch hager, eine Klei¬ dung, die den ganzen Körper älter macht, und nicht mit dem Kopfe harmonirt, das linke Bein, wie Ludwig der Vierzehnte, offen und hervorstechend, jener König war stolzer auf seine Waden, als auf Moliere, hier aber sind weder Schenkel, noch Bein ausgezeichnet, obschon ein Gutenberg selten fett ist. Und nun noch die Comödiantenstellung, wo Gutenberg eine Probe von der Bibel untersucht, die Worte aber "und es ward Licht" so dem Publikum zeigt, daß er sie gar nicht sehen kann. Nein, so unbescheiden war ein Gutenberg nicht, er glaubte wohl an die Wichtigkeit seiner Mission, aber hier scheint es, als prahle er damit. Das Ganze ist ächt parisisch, wo die Bescheidenheit als linkisch dumm betrachtet wird, und sich jeder in Gyps formen läßt, um seine Züge der Nachwelt aufzubewahren. Von den Hunderten berühmter Gypsköpfe im Passage Panorama werden nicht drei in die Nachwelt übergehen, und wenn David nichts Besseres geleistet hätte, als diesen Gutenberg, so stünde es übel um seinen Ruhm. Besser, kühner, gelungener ist der Kleber, aber wozu Sta¬ tuen in einer Stadt, die bloß eine Citadelle genannt werden kann. Ist nicht ein Satrap aus Paris da, der unumschränkte Macht hat, alles zu billigen oder zu vernichten, was die Stadt für ihr Heil und Nutzen will? Frankreich ist das Land, wo seit dem Schach Napoleon, persische Regierungssitzen im streng¬ sten Sinne des Wortes herrschen. O Elsaß, wie lange noch wird es dauern, bis du einsiehest, daß Frankreich deiner, du aber nicht seiner nöthig hast.
Doch schließen Sie nicht daraus, daß die Elsässer unter den jetzigen Ver¬ hältnissen deutsch werden wollen, unter zwei Uebeln wählt man das kleinste.
Man verwechsele ja nie den Wunsch des Herzens, seine Poesie, mit der prosaischen, politischen Wirklichkeit. Ich will Ihnen ein lebendiges Beispiel davon geben.
„Es geht halt nix über das Ditsche!“ platzte es heraus. Der Franzose fragte: Warum? „weil ich die Welsche nit lide kann“ — antwortete es rasch, „sie sin all so falsch.“ Der Franzose zuckte mit den Nasenflügeln, behauptete, es müßte in einen Franzosen verliebt gewesen sein. „O nai, erwiederte es, die Welsche wissen jo gar nit wo man einen gern hat.“ Die ganze Gesellschaft lachte. Ich stellte jedoch den Frieden zwischen meinem Freunde und dem sehr interessanten Mädel bald wieder her und sie reichte ihm sogar die Hand zur Versöhnung.
Nun bin ich in Straßburg, und sehe vor Allem die beiden Statuen Kle¬ bers und Gutenbergs an. Welch ein Unterschied zwischen dem elsässischen und dem pariser Künstler! Ich habe Davids Gutenberg gestochen gesehen, er schien mir sehr genial, das Original aber lehrte mich, keinem Kupferstich mehr zu trauen; denn es ist unter aller Kritik schlecht. Da ist auch nicht eine Ahnung von Weihe. Ein junges, unbedeutendes Gesicht, wenn auch hager, eine Klei¬ dung, die den ganzen Körper älter macht, und nicht mit dem Kopfe harmonirt, das linke Bein, wie Ludwig der Vierzehnte, offen und hervorstechend, jener König war stolzer auf seine Waden, als auf Moliere, hier aber sind weder Schenkel, noch Bein ausgezeichnet, obschon ein Gutenberg selten fett ist. Und nun noch die Comödiantenstellung, wo Gutenberg eine Probe von der Bibel untersucht, die Worte aber „und es ward Licht“ so dem Publikum zeigt, daß er sie gar nicht sehen kann. Nein, so unbescheiden war ein Gutenberg nicht, er glaubte wohl an die Wichtigkeit seiner Mission, aber hier scheint es, als prahle er damit. Das Ganze ist ächt parisisch, wo die Bescheidenheit als linkisch dumm betrachtet wird, und sich jeder in Gyps formen läßt, um seine Züge der Nachwelt aufzubewahren. Von den Hunderten berühmter Gypsköpfe im Passage Panorama werden nicht drei in die Nachwelt übergehen, und wenn David nichts Besseres geleistet hätte, als diesen Gutenberg, so stünde es übel um seinen Ruhm. Besser, kühner, gelungener ist der Kleber, aber wozu Sta¬ tuen in einer Stadt, die bloß eine Citadelle genannt werden kann. Ist nicht ein Satrap aus Paris da, der unumschränkte Macht hat, alles zu billigen oder zu vernichten, was die Stadt für ihr Heil und Nutzen will? Frankreich ist das Land, wo seit dem Schach Napoleon, persische Regierungssitzen im streng¬ sten Sinne des Wortes herrschen. O Elsaß, wie lange noch wird es dauern, bis du einsiehest, daß Frankreich deiner, du aber nicht seiner nöthig hast.
Doch schließen Sie nicht daraus, daß die Elsässer unter den jetzigen Ver¬ hältnissen deutsch werden wollen, unter zwei Uebeln wählt man das kleinste.
Man verwechsele ja nie den Wunsch des Herzens, seine Poesie, mit der prosaischen, politischen Wirklichkeit. Ich will Ihnen ein lebendiges Beispiel davon geben.
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Warum? „weil ich die Welsche nit lide kann“ — antwortete es rasch, „sie sin
all so falsch.“ Der Franzose zuckte mit den Nasenflügeln, behauptete, es
müßte in einen Franzosen verliebt gewesen sein. „O nai, erwiederte es, die
Welsche wissen jo gar nit wo man einen gern hat.“ Die ganze Gesellschaft
lachte. Ich stellte jedoch den Frieden zwischen meinem Freunde und dem
sehr interessanten Mädel bald wieder her und sie reichte ihm sogar die Hand
zur Versöhnung.
Nun bin ich in Straßburg, und sehe vor Allem die beiden Statuen Kle¬
bers und Gutenbergs an. Welch ein Unterschied zwischen dem elsässischen und
dem pariser Künstler! Ich habe Davids Gutenberg gestochen gesehen, er schien
mir sehr genial, das Original aber lehrte mich, keinem Kupferstich mehr zu
trauen; denn es ist unter aller Kritik schlecht. Da ist auch nicht eine Ahnung
von Weihe. Ein junges, unbedeutendes Gesicht, wenn auch hager, eine Klei¬
dung, die den ganzen Körper älter macht, und nicht mit dem Kopfe harmonirt,
das linke Bein, wie Ludwig der Vierzehnte, offen und hervorstechend, jener
König war stolzer auf seine Waden, als auf Moliere, hier aber sind weder
Schenkel, noch Bein ausgezeichnet, obschon ein Gutenberg selten fett ist. Und
nun noch die Comödiantenstellung, wo Gutenberg eine Probe von der Bibel
untersucht, die Worte aber „und es ward Licht“ so dem Publikum zeigt, daß
er sie gar nicht sehen kann. Nein, so unbescheiden war ein Gutenberg nicht,
er glaubte wohl an die Wichtigkeit seiner Mission, aber hier scheint es, als prahle
er damit. Das Ganze ist ächt parisisch, wo die Bescheidenheit als linkisch
dumm betrachtet wird, und sich jeder in Gyps formen läßt, um seine Züge der
Nachwelt aufzubewahren. Von den Hunderten berühmter Gypsköpfe im
Passage Panorama werden nicht drei in die Nachwelt übergehen, und wenn
David nichts Besseres geleistet hätte, als diesen Gutenberg, so stünde es übel
um seinen Ruhm. Besser, kühner, gelungener ist der Kleber, aber wozu Sta¬
tuen in einer Stadt, die bloß eine Citadelle genannt werden kann. Ist nicht
ein Satrap aus Paris da, der unumschränkte Macht hat, alles zu billigen oder
zu vernichten, was die Stadt für ihr Heil und Nutzen will? Frankreich ist
das Land, wo seit dem Schach Napoleon, persische Regierungssitzen im streng¬
sten Sinne des Wortes herrschen. O Elsaß, wie lange noch wird es dauern,
bis du einsiehest, daß Frankreich deiner, du aber nicht seiner nöthig hast.
Doch schließen Sie nicht daraus, daß die Elsässer unter den jetzigen Ver¬
hältnissen deutsch werden wollen, unter zwei Uebeln wählt man das kleinste.
Man verwechsele ja nie den Wunsch des Herzens, seine Poesie, mit der
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/66>, abgerufen am 23.07.2024.
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