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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Ich sah in der Redaction des "Elsasses" einen jungen Mann, der mit
Uebersetzen ins Deutsche beschäftigt war. Ich erkundigte mich nach seinem Na¬
men, er hieß Candidus, und hat recht artige deutsche lyrische Gedichte geschrie¬
ben. Ich machte die traurige Bemerkung, daß die Elsässer Talente alle ver¬
stümmelt werden, um als Uebersetzer zu dienen. Es sind Eunuchen, die das
Serail der beiden Sprachen bewachen. Abends ging ich mit diesem jungen
Manne, einem Studiosus der Theologie, spazieren. Ich schlug mehrere Saiten
an, er erwiderte, er habe jetzt für nichts Interesse. Das Uebersetzen thäte er
bloß provisorisch, er müsse trachten, etwas für seine Existenz zu thun, müsse sein
Examen machen, und verstehe dazu noch nicht französisch genug. Von poli¬
tisch nationalem Streben kein Zeichen, er wolle nichts von Politik wissen, halte
es mit Frankreich, sogar mit der Regierung. Aber warum können Sie denn
nicht französisch genug? fragte ich ihn. -- Ja, weil ich immer deutsch gelesen
und geschrieben, jetzt aber schreibe und dichte ich nichts mehr, ich bin ganz ver¬
dumpft, nur oft, wenn ich eine Kritik in der Allgemeinen Zeitung lese, laufen
mir die Augen über, klopft mir das Herz, dann möchte ich auch etwas thun,
aber ich muß mein Examen machen. Das Geständniß ist sehr naiv, aber
traurig. Candidus hat Gedichte zu den Elsässer Sagen, die bei Schüler er¬
schienen sind, geliefert. Ich fragte ihn, ob sich in Strasburg nicht ein deut¬
sches Journal erhalten könnte? -- Folgendes sagte er mir, was mir Schüler
und andere noch bestätigten. Es sind im Elsaß mehr deutsche Elemente, als
man glaubt, doch schlafen sie, und der sogenannte gebildete Kaufmannsstand,
überall der Affenstand, erklärt ihnen täglich den Krieg. Im Casino wurden
alle deutschen Blätter, bis auf die allgemeine Zeitung abgeschafft, und es ist um
so merkwürdiger, daß das Elsaß in diesem Augenblicke mehr als zwölf deutsche
Lyriker und Schriftsteller zählt, da sie ganz von der deutschen literarischen Jour¬
nalistik abgeschnitten sind, und nicht ein einziges deutsches belletristisches Journal
zur Hand bekommen. Um ein Journal zu stiften, müßte man -- nach franzö¬
sischem Gesetz -- die Caution leisten können, die Kosten auf ein Jahr gesichert ha¬
ben, um es gratis im ganzen Elsaß auszutheilen; dann aber werde es gewiß
Theilnahme erregen, und könnte in einigen Jahren von der höchsten Wichtigkeit
werden. Der Redakteur müsse übrigens ein Elsasser und ein Mann von Muth
sein, weil die Regierung in Paris ihn verfolgen würde, und die hiesigen Stutzer,
die französischen Dummköpfe, ihm allerlei Unannehmlichkeiten bereiten würden.
Je mehr ich in das Herz des jungen Menschen drang, fand ich, daß er durch
und durch Deutsch ist, und zwar wider seinen Willen, durch die Kraft und
Poesie der Muttersprache. Ach, sagte er mir im Fortgehen, die deutsche Sprache
läßt sich nicht so leicht vertreiben. -- Ich weiß auch etwas davon zu erzählen,
erwiderte ich, und überließ mich meinen Träumereien. -- -- --



Ich sah in der Redaction des „Elsasses“ einen jungen Mann, der mit
Uebersetzen ins Deutsche beschäftigt war. Ich erkundigte mich nach seinem Na¬
men, er hieß Candidus, und hat recht artige deutsche lyrische Gedichte geschrie¬
ben. Ich machte die traurige Bemerkung, daß die Elsässer Talente alle ver¬
stümmelt werden, um als Uebersetzer zu dienen. Es sind Eunuchen, die das
Serail der beiden Sprachen bewachen. Abends ging ich mit diesem jungen
Manne, einem Studiosus der Theologie, spazieren. Ich schlug mehrere Saiten
an, er erwiderte, er habe jetzt für nichts Interesse. Das Uebersetzen thäte er
bloß provisorisch, er müsse trachten, etwas für seine Existenz zu thun, müsse sein
Examen machen, und verstehe dazu noch nicht französisch genug. Von poli¬
tisch nationalem Streben kein Zeichen, er wolle nichts von Politik wissen, halte
es mit Frankreich, sogar mit der Regierung. Aber warum können Sie denn
nicht französisch genug? fragte ich ihn. — Ja, weil ich immer deutsch gelesen
und geschrieben, jetzt aber schreibe und dichte ich nichts mehr, ich bin ganz ver¬
dumpft, nur oft, wenn ich eine Kritik in der Allgemeinen Zeitung lese, laufen
mir die Augen über, klopft mir das Herz, dann möchte ich auch etwas thun,
aber ich muß mein Examen machen. Das Geständniß ist sehr naiv, aber
traurig. Candidus hat Gedichte zu den Elsässer Sagen, die bei Schüler er¬
schienen sind, geliefert. Ich fragte ihn, ob sich in Strasburg nicht ein deut¬
sches Journal erhalten könnte? — Folgendes sagte er mir, was mir Schüler
und andere noch bestätigten. Es sind im Elsaß mehr deutsche Elemente, als
man glaubt, doch schlafen sie, und der sogenannte gebildete Kaufmannsstand,
überall der Affenstand, erklärt ihnen täglich den Krieg. Im Casino wurden
alle deutschen Blätter, bis auf die allgemeine Zeitung abgeschafft, und es ist um
so merkwürdiger, daß das Elsaß in diesem Augenblicke mehr als zwölf deutsche
Lyriker und Schriftsteller zählt, da sie ganz von der deutschen literarischen Jour¬
nalistik abgeschnitten sind, und nicht ein einziges deutsches belletristisches Journal
zur Hand bekommen. Um ein Journal zu stiften, müßte man — nach franzö¬
sischem Gesetz — die Caution leisten können, die Kosten auf ein Jahr gesichert ha¬
ben, um es gratis im ganzen Elsaß auszutheilen; dann aber werde es gewiß
Theilnahme erregen, und könnte in einigen Jahren von der höchsten Wichtigkeit
werden. Der Redakteur müsse übrigens ein Elsasser und ein Mann von Muth
sein, weil die Regierung in Paris ihn verfolgen würde, und die hiesigen Stutzer,
die französischen Dummköpfe, ihm allerlei Unannehmlichkeiten bereiten würden.
Je mehr ich in das Herz des jungen Menschen drang, fand ich, daß er durch
und durch Deutsch ist, und zwar wider seinen Willen, durch die Kraft und
Poesie der Muttersprache. Ach, sagte er mir im Fortgehen, die deutsche Sprache
läßt sich nicht so leicht vertreiben. — Ich weiß auch etwas davon zu erzählen,
erwiderte ich, und überließ mich meinen Träumereien. — — —



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[59/0067] Ich sah in der Redaction des „Elsasses“ einen jungen Mann, der mit Uebersetzen ins Deutsche beschäftigt war. Ich erkundigte mich nach seinem Na¬ men, er hieß Candidus, und hat recht artige deutsche lyrische Gedichte geschrie¬ ben. Ich machte die traurige Bemerkung, daß die Elsässer Talente alle ver¬ stümmelt werden, um als Uebersetzer zu dienen. Es sind Eunuchen, die das Serail der beiden Sprachen bewachen. Abends ging ich mit diesem jungen Manne, einem Studiosus der Theologie, spazieren. Ich schlug mehrere Saiten an, er erwiderte, er habe jetzt für nichts Interesse. Das Uebersetzen thäte er bloß provisorisch, er müsse trachten, etwas für seine Existenz zu thun, müsse sein Examen machen, und verstehe dazu noch nicht französisch genug. Von poli¬ tisch nationalem Streben kein Zeichen, er wolle nichts von Politik wissen, halte es mit Frankreich, sogar mit der Regierung. Aber warum können Sie denn nicht französisch genug? fragte ich ihn. — Ja, weil ich immer deutsch gelesen und geschrieben, jetzt aber schreibe und dichte ich nichts mehr, ich bin ganz ver¬ dumpft, nur oft, wenn ich eine Kritik in der Allgemeinen Zeitung lese, laufen mir die Augen über, klopft mir das Herz, dann möchte ich auch etwas thun, aber ich muß mein Examen machen. Das Geständniß ist sehr naiv, aber traurig. Candidus hat Gedichte zu den Elsässer Sagen, die bei Schüler er¬ schienen sind, geliefert. Ich fragte ihn, ob sich in Strasburg nicht ein deut¬ sches Journal erhalten könnte? — Folgendes sagte er mir, was mir Schüler und andere noch bestätigten. Es sind im Elsaß mehr deutsche Elemente, als man glaubt, doch schlafen sie, und der sogenannte gebildete Kaufmannsstand, überall der Affenstand, erklärt ihnen täglich den Krieg. Im Casino wurden alle deutschen Blätter, bis auf die allgemeine Zeitung abgeschafft, und es ist um so merkwürdiger, daß das Elsaß in diesem Augenblicke mehr als zwölf deutsche Lyriker und Schriftsteller zählt, da sie ganz von der deutschen literarischen Jour¬ nalistik abgeschnitten sind, und nicht ein einziges deutsches belletristisches Journal zur Hand bekommen. Um ein Journal zu stiften, müßte man — nach franzö¬ sischem Gesetz — die Caution leisten können, die Kosten auf ein Jahr gesichert ha¬ ben, um es gratis im ganzen Elsaß auszutheilen; dann aber werde es gewiß Theilnahme erregen, und könnte in einigen Jahren von der höchsten Wichtigkeit werden. Der Redakteur müsse übrigens ein Elsasser und ein Mann von Muth sein, weil die Regierung in Paris ihn verfolgen würde, und die hiesigen Stutzer, die französischen Dummköpfe, ihm allerlei Unannehmlichkeiten bereiten würden. Je mehr ich in das Herz des jungen Menschen drang, fand ich, daß er durch und durch Deutsch ist, und zwar wider seinen Willen, durch die Kraft und Poesie der Muttersprache. Ach, sagte er mir im Fortgehen, die deutsche Sprache läßt sich nicht so leicht vertreiben. — Ich weiß auch etwas davon zu erzählen, erwiderte ich, und überließ mich meinen Träumereien. — — —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/67>, abgerufen am 18.12.2024.