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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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vielen seiner dortigen Landsleute in Verbindung stand. Die Beraubung
seines Eigenthums, die er gewissermaßen durch Castil-Blase erlitten, hatte
ihn gegen die Franzosen eingenommen; doch war dieß nicht das erstemal,
daß er Gelegenheit fand, seine feindseligen Gesinnungen gegen diese Nation
zu äußern. Aufgebracht über die Unterdrückung, welche sein Vaterland
durch Napoleon's Kriegsheere erdulden mußte, hatte er Volksgesänge verfer¬
tigt, welche dazu bestimmt waren, in Chören und ohne Musikbegleitung
gesungen zu werden. Diese Lieder hatten gewissermaßen das Zeichen zum
allgemeinen Ausstand der deutschen Jugend wider die französische Oberherr¬
schaft gegeben, und die Wahrheit zu gestehen, war ihr Ausdruck so ener¬
gisch, daß sie die bezweckte Wirkung hervorbringen mußten. Wie dem auch
sei, er überwand seinen Widerwillen und nahm seinen Weg über Paris, wo
er am 25. Februar anlangte. Er sah sich daselbst alsbald von einer Menge
Bewunderer umgeben; Rossini, der bekanntlich in systematisch-musikalischer
Hinsicht sein Gegner war, besaß Lebensart genug, um ihn auszusuchen und
mit der größten Herzlichkeit zu behandeln. Dies schien vorteilhaft auf ihn
gewirkt und seine Vorurtheile etwas geschwächt zu haben; wenigstens schrieb
er Folgendes an seine Frau: Ich will's nicht versuchen, Dir zu beschreiben,
wie man mich hier behandelt; wollte ich Dir Alles melden, was mir die
größten Künstler sagen, mein Papier selbst würde schamroth darüber werden
müssen. Ich werde von Glück sagen müssen, wenn meine Eigenliebe diesen
tüchtigen Stoß überstanden haben wird." -- Obgleich Weber nun mit den
seinem Talente gebührenden Huldigungen wie überschüttet wurde, und seine'
physischen Kräfte sich wieder herzustellen schienen, so wurde er doch von
jener Melancholie verzehrt, die ihn so oft befiel, als er von den Seinen
entfernt war, und er hatte es sich schon vorgenommen, in der Folge nie wieder
eine so lange Reise außer in Begleitung seiner Familie zu unternehmen. Er
reiste am 2. März von Paris ab, schiffte sich am 4. zu Calais ein und
erreichte nach einer Ueberfahrt von wenigen Stunden die englische Küste zu
Dover. Hier ward er auf's ehrenvollste empfangen, man wollte ihm weder
seinen Reisepaß abnehmen und bis zu seiner Rückkehr aufbewahren, noch bei
der englischen Mauthbehördc sein Gepäck einer Inspektion unterwerfen, welche
Begünstigung nicht einmal Leuten aus den höchsten Ständen zu Theil wird.
Einer jener eleganten.öffentlichen Wägen, die nirgends ihres Gleichen haben,
und die einander jeden Augenblick auf den englischen Heerstraßen durchkreuzen,
brachte ihn von Dover nach London im Galopp mit vier trefflichen Rossen.
Sir George Smart, der Director der Concerte, hatte ihn abgewartet, und
führte ihn sogleich in seine eigene Behausung, wo Zimmer zu seiner Bewoh-
nung in Bereitschaft waren. Schon vor seiner Ankunft waren viele Leute
gekommen, sich zum Besuche bei ihm einschreiben zu lassen, unter andern

vielen seiner dortigen Landsleute in Verbindung stand. Die Beraubung
seines Eigenthums, die er gewissermaßen durch Castil-Blase erlitten, hatte
ihn gegen die Franzosen eingenommen; doch war dieß nicht das erstemal,
daß er Gelegenheit fand, seine feindseligen Gesinnungen gegen diese Nation
zu äußern. Aufgebracht über die Unterdrückung, welche sein Vaterland
durch Napoleon's Kriegsheere erdulden mußte, hatte er Volksgesänge verfer¬
tigt, welche dazu bestimmt waren, in Chören und ohne Musikbegleitung
gesungen zu werden. Diese Lieder hatten gewissermaßen das Zeichen zum
allgemeinen Ausstand der deutschen Jugend wider die französische Oberherr¬
schaft gegeben, und die Wahrheit zu gestehen, war ihr Ausdruck so ener¬
gisch, daß sie die bezweckte Wirkung hervorbringen mußten. Wie dem auch
sei, er überwand seinen Widerwillen und nahm seinen Weg über Paris, wo
er am 25. Februar anlangte. Er sah sich daselbst alsbald von einer Menge
Bewunderer umgeben; Rossini, der bekanntlich in systematisch-musikalischer
Hinsicht sein Gegner war, besaß Lebensart genug, um ihn auszusuchen und
mit der größten Herzlichkeit zu behandeln. Dies schien vorteilhaft auf ihn
gewirkt und seine Vorurtheile etwas geschwächt zu haben; wenigstens schrieb
er Folgendes an seine Frau: Ich will's nicht versuchen, Dir zu beschreiben,
wie man mich hier behandelt; wollte ich Dir Alles melden, was mir die
größten Künstler sagen, mein Papier selbst würde schamroth darüber werden
müssen. Ich werde von Glück sagen müssen, wenn meine Eigenliebe diesen
tüchtigen Stoß überstanden haben wird.〟 — Obgleich Weber nun mit den
seinem Talente gebührenden Huldigungen wie überschüttet wurde, und seine'
physischen Kräfte sich wieder herzustellen schienen, so wurde er doch von
jener Melancholie verzehrt, die ihn so oft befiel, als er von den Seinen
entfernt war, und er hatte es sich schon vorgenommen, in der Folge nie wieder
eine so lange Reise außer in Begleitung seiner Familie zu unternehmen. Er
reiste am 2. März von Paris ab, schiffte sich am 4. zu Calais ein und
erreichte nach einer Ueberfahrt von wenigen Stunden die englische Küste zu
Dover. Hier ward er auf's ehrenvollste empfangen, man wollte ihm weder
seinen Reisepaß abnehmen und bis zu seiner Rückkehr aufbewahren, noch bei
der englischen Mauthbehördc sein Gepäck einer Inspektion unterwerfen, welche
Begünstigung nicht einmal Leuten aus den höchsten Ständen zu Theil wird.
Einer jener eleganten.öffentlichen Wägen, die nirgends ihres Gleichen haben,
und die einander jeden Augenblick auf den englischen Heerstraßen durchkreuzen,
brachte ihn von Dover nach London im Galopp mit vier trefflichen Rossen.
Sir George Smart, der Director der Concerte, hatte ihn abgewartet, und
führte ihn sogleich in seine eigene Behausung, wo Zimmer zu seiner Bewoh-
nung in Bereitschaft waren. Schon vor seiner Ankunft waren viele Leute
gekommen, sich zum Besuche bei ihm einschreiben zu lassen, unter andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/314>, abgerufen am 17.05.2024.