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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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lische Taktik. Sie zankten sich um das Schutzrecht über diese Unabhängig¬
keit die gegen ihren Willen erklärt und beschlossen worden war.

"Alsbald vereinigten sich unsre Beschützer zu leugnen, daß unser neuer
König und seine Armee fähig seien, die Befreiung des Landes zu vollenden.
Neun Jahre später listeten uns diese Feinde*) zwei Stücke unseres Landes
ab, und raubten sie uns in Uebereinstimmung mit der damals erschöpften
Nation, welche später gewiß erklären wird, daß sie nur wegen dieser Er-
schöpfung dazu ihre Zustimmung gegeben.

"Auf einem also mit diplomatischen Winkelzügen erschwerten Wege, im
Labyrinthe dieser zahllosen Protokolle, gestachelt und übel zugerichtet von
innern Kämpfen, von verschiedenen Anmaßungen hin und wieder gezerrt,
stets besorgt für unsere Zukunft, zum Zeitvertreib in den Staub gezogen von
denen, die sich unsere Schützer nannten, sind wir zehn Jahre lang gewan¬
delt, ein schmerzliches Märtyrerthum, welches allein hinlänglich Zeugniß
von dem starten Glauben an unsere Selbstständigkeit ablegt, für die wir so
vieles erduldet.

"Nun am Ende dieses Schmerzenspfades, wohin sind wir gekommen?

"Ist nicht Belgiens Boden fruchtbar geblieben, trägt er keine reiche
Saaten, keine blühende Städte und Dörfer, keine compacte Bevölkerung
fleißiger Ackersleute und Handwerker mehr? Ja, aber so befanden wir
uns auch 1830, und im Frieden haben die Wunden, die wir eben geschil¬
dert haben, wohl vernarben können. Die Nachbarvölker haben auch pro-
sperirt, wir theilen die Vortheile des ganzen mittleren und westlichen Eu-
ropa's.

"Ganz wohl! Aber wie ist es mit den so schnell hergestellten Eisen¬
bahnen, worin wir es dem ganzen Continente zuvor thaten, den neuen
Gewerbszweigen, die mit Glück die englische Concurrenz bestehen? Erfül¬
len unsere Künstler, unsere Virtuosen nicht ganz Europa mit dem Glanz
ihres Namens, scheint nicht, die höchste Blüthenzeit der flamändischen Ma-
lerschule neu zu erstehen? Woher besonders diese tiefe Ruhe bei so ausge¬
dehnter Freiheit?

"Dieß Alles beweist uns, daß Belgien jetzt, wo es endlich aus freier
Kehle athmet, nach so vielen Jahren fremdartiger, nichtnationaler Strebun¬
gen wirklich im Vollgenuß seiner Kräfte und fähig geworden ist, seine Be¬
stimmung zu erfüllen. Und bei so bewandten Umständen dürfen wir kühn

*) Man verzeihe dem Republikaner von 1830 diese Sprache.    Anmerk. d. Red.

lische Taktik. Sie zankten sich um das Schutzrecht über diese Unabhängig¬
keit die gegen ihren Willen erklärt und beschlossen worden war.

"Alsbald vereinigten sich unsre Beschützer zu leugnen, daß unser neuer
König und seine Armee fähig seien, die Befreiung des Landes zu vollenden.
Neun Jahre später listeten uns diese Feinde*) zwei Stücke unseres Landes
ab, und raubten sie uns in Uebereinstimmung mit der damals erschöpften
Nation, welche später gewiß erklären wird, daß sie nur wegen dieser Er-
schöpfung dazu ihre Zustimmung gegeben.

"Auf einem also mit diplomatischen Winkelzügen erschwerten Wege, im
Labyrinthe dieser zahllosen Protokolle, gestachelt und übel zugerichtet von
innern Kämpfen, von verschiedenen Anmaßungen hin und wieder gezerrt,
stets besorgt für unsere Zukunft, zum Zeitvertreib in den Staub gezogen von
denen, die sich unsere Schützer nannten, sind wir zehn Jahre lang gewan¬
delt, ein schmerzliches Märtyrerthum, welches allein hinlänglich Zeugniß
von dem starten Glauben an unsere Selbstständigkeit ablegt, für die wir so
vieles erduldet.

"Nun am Ende dieses Schmerzenspfades, wohin sind wir gekommen?

"Ist nicht Belgiens Boden fruchtbar geblieben, trägt er keine reiche
Saaten, keine blühende Städte und Dörfer, keine compacte Bevölkerung
fleißiger Ackersleute und Handwerker mehr? Ja, aber so befanden wir
uns auch 1830, und im Frieden haben die Wunden, die wir eben geschil¬
dert haben, wohl vernarben können. Die Nachbarvölker haben auch pro-
sperirt, wir theilen die Vortheile des ganzen mittleren und westlichen Eu-
ropa's.

"Ganz wohl! Aber wie ist es mit den so schnell hergestellten Eisen¬
bahnen, worin wir es dem ganzen Continente zuvor thaten, den neuen
Gewerbszweigen, die mit Glück die englische Concurrenz bestehen? Erfül¬
len unsere Künstler, unsere Virtuosen nicht ganz Europa mit dem Glanz
ihres Namens, scheint nicht, die höchste Blüthenzeit der flamändischen Ma-
lerschule neu zu erstehen? Woher besonders diese tiefe Ruhe bei so ausge¬
dehnter Freiheit?

"Dieß Alles beweist uns, daß Belgien jetzt, wo es endlich aus freier
Kehle athmet, nach so vielen Jahren fremdartiger, nichtnationaler Strebun¬
gen wirklich im Vollgenuß seiner Kräfte und fähig geworden ist, seine Be¬
stimmung zu erfüllen. Und bei so bewandten Umständen dürfen wir kühn

*) Man verzeihe dem Republikaner von 1830 diese Sprache.    Anmerk. d. Red.
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[262/0270] lische Taktik. Sie zankten sich um das Schutzrecht über diese Unabhängig¬ keit die gegen ihren Willen erklärt und beschlossen worden war. "Alsbald vereinigten sich unsre Beschützer zu leugnen, daß unser neuer König und seine Armee fähig seien, die Befreiung des Landes zu vollenden. Neun Jahre später listeten uns diese Feinde *) zwei Stücke unseres Landes ab, und raubten sie uns in Uebereinstimmung mit der damals erschöpften Nation, welche später gewiß erklären wird, daß sie nur wegen dieser Er- schöpfung dazu ihre Zustimmung gegeben. "Auf einem also mit diplomatischen Winkelzügen erschwerten Wege, im Labyrinthe dieser zahllosen Protokolle, gestachelt und übel zugerichtet von innern Kämpfen, von verschiedenen Anmaßungen hin und wieder gezerrt, stets besorgt für unsere Zukunft, zum Zeitvertreib in den Staub gezogen von denen, die sich unsere Schützer nannten, sind wir zehn Jahre lang gewan¬ delt, ein schmerzliches Märtyrerthum, welches allein hinlänglich Zeugniß von dem starten Glauben an unsere Selbstständigkeit ablegt, für die wir so vieles erduldet. "Nun am Ende dieses Schmerzenspfades, wohin sind wir gekommen? "Ist nicht Belgiens Boden fruchtbar geblieben, trägt er keine reiche Saaten, keine blühende Städte und Dörfer, keine compacte Bevölkerung fleißiger Ackersleute und Handwerker mehr? Ja, aber so befanden wir uns auch 1830, und im Frieden haben die Wunden, die wir eben geschil¬ dert haben, wohl vernarben können. Die Nachbarvölker haben auch pro- sperirt, wir theilen die Vortheile des ganzen mittleren und westlichen Eu- ropa's. "Ganz wohl! Aber wie ist es mit den so schnell hergestellten Eisen¬ bahnen, worin wir es dem ganzen Continente zuvor thaten, den neuen Gewerbszweigen, die mit Glück die englische Concurrenz bestehen? Erfül¬ len unsere Künstler, unsere Virtuosen nicht ganz Europa mit dem Glanz ihres Namens, scheint nicht, die höchste Blüthenzeit der flamändischen Ma- lerschule neu zu erstehen? Woher besonders diese tiefe Ruhe bei so ausge¬ dehnter Freiheit? "Dieß Alles beweist uns, daß Belgien jetzt, wo es endlich aus freier Kehle athmet, nach so vielen Jahren fremdartiger, nichtnationaler Strebun¬ gen wirklich im Vollgenuß seiner Kräfte und fähig geworden ist, seine Be¬ stimmung zu erfüllen. Und bei so bewandten Umständen dürfen wir kühn *) Man verzeihe dem Republikaner von 1830 diese Sprache. Anmerk. d. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/270>, abgerufen am 25.11.2024.