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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Verlegenheit, in welche die Provinzialversammlung durch den Antrag
kam, dadurch zu mindern, daß man die Berathung auf unbestimmte
Zeit vertagte, und den Vorschlag in etwas Vages und Unbe-
stimmtes gar verwandelte, wodurch man sich zu nichts verpflichtete.
Aber der Zweck der Orangisten, einen neuen Gegenstand der Zwie-
trracht in das Land zu werfen, und Deutschland und England wegen
französischer Tendenzen in Belgien in Unruhe zu versetzen, war erreicht.
Man wollte dem morschen Argumente gegen unsere Nationalunabhängigkeit:
"Belgien kann nicht allein stehen, es erstickt in seinen Grenzen, in Ohn¬
macht und Verzweiflung wird es sich seinen südlichen Nachbarn in die Arme
werfen, wenn man es nicht wieder mit Holland vereinigt" eine neue
Stütze beifügen. Dies war der Grund, warum man 1815 in London
und Wien beschlossen hat, daß wir Holland als Territorialzuwachs dienen
sollten. Dieses Argument mußten wir seit 1330 im Labyrinthe der Protocolle
bekämpfen. Dieses Argument wollte man den europäischen Mächten wieder
einleuchtend machen."

Wir wollen dem Verfasser in den Beweisen, die er aufzustellen ver¬
sucht, daß das Gerücht von dem Zollanschlusse an Frankreich ursprünglich
auf einer orangistischen Intrigue beruht habe, um so weniger folgen, da
uns diese Beweise nicht überzeugend genug scheinen, und fahren in der
Analyse des Werkes weiter fort. Der Verfasser zeigt, daß die frühere
Größe des belgischen Handels durchaus nicht in seinen Verhältnissen zu
Frankreich ihren Grund gehabt hat, sondern in dem lebhaften Verkehr der
niederländischen Städte, besonders Brügge und Apres, mit der Levante,
in der glücklichen Lage Antwerpens und seinen Beziehungen zu Deutschland
und den baltischen Häfen. Auch zu den Zeiten Josephs II. suchte man den
Handel nicht durch Verträge mit Frankreich, sondern durch Oeffnung ent¬
fernter Abzugscanäle zu heben , und Ostende's kurze Blüthe, die es seiner
ostindischen Compagnie verdankte, sei ein einleuchtender Beweis, wie richtig
man gedacht habe. Während der französischen Herrschaft habe sich der
commercielle und industrielle Zustand allerdings einigermaßen gehoben.
Damals sei indeß eine ganz specielle Douanengesetzgebung eingeführt gewesen,
beruhend auf freier Getraide- und Schlachtvieheinfuhr, wodurch das Haupt¬
material der Industrie, die Nahrung des Arbeiters, wohlfeil wurde, freier
Einfuhr des Bauholzes und der meisten Urstoffe und Roherzeugnisse, oder
mindestens sehr niedrigen Zollansätzen für dieselben, während alle Industrie-
erzeugnisse, namentlich wenn sie als englische Producte gelten, verboten
waren. Und überdieß mußte man bei Einfuhr aller fabricirten Artikel
beweisen, daß sie aus einem Lande, das mit der Republik in Frieden lebte,
ihren Ursprung hatten. Eine solche Gesetzgebung habe nothwendigerweise auf

Verlegenheit, in welche die Provinzialversammlung durch den Antrag
kam, dadurch zu mindern, daß man die Berathung auf unbestimmte
Zeit vertagte, und den Vorschlag in etwas Vages und Unbe-
stimmtes gar verwandelte, wodurch man sich zu nichts verpflichtete.
Aber der Zweck der Orangisten, einen neuen Gegenstand der Zwie-
trracht in das Land zu werfen, und Deutschland und England wegen
französischer Tendenzen in Belgien in Unruhe zu versetzen, war erreicht.
Man wollte dem morschen Argumente gegen unsere Nationalunabhängigkeit:
„Belgien kann nicht allein stehen, es erstickt in seinen Grenzen, in Ohn¬
macht und Verzweiflung wird es sich seinen südlichen Nachbarn in die Arme
werfen, wenn man es nicht wieder mit Holland vereinigt〟 eine neue
Stütze beifügen. Dies war der Grund, warum man 1815 in London
und Wien beschlossen hat, daß wir Holland als Territorialzuwachs dienen
sollten. Dieses Argument mußten wir seit 1330 im Labyrinthe der Protocolle
bekämpfen. Dieses Argument wollte man den europäischen Mächten wieder
einleuchtend machen.〟

Wir wollen dem Verfasser in den Beweisen, die er aufzustellen ver¬
sucht, daß das Gerücht von dem Zollanschlusse an Frankreich ursprünglich
auf einer orangistischen Intrigue beruht habe, um so weniger folgen, da
uns diese Beweise nicht überzeugend genug scheinen, und fahren in der
Analyse des Werkes weiter fort. Der Verfasser zeigt, daß die frühere
Größe des belgischen Handels durchaus nicht in seinen Verhältnissen zu
Frankreich ihren Grund gehabt hat, sondern in dem lebhaften Verkehr der
niederländischen Städte, besonders Brügge und Apres, mit der Levante,
in der glücklichen Lage Antwerpens und seinen Beziehungen zu Deutschland
und den baltischen Häfen. Auch zu den Zeiten Josephs II. suchte man den
Handel nicht durch Verträge mit Frankreich, sondern durch Oeffnung ent¬
fernter Abzugscanäle zu heben , und Ostende's kurze Blüthe, die es seiner
ostindischen Compagnie verdankte, sei ein einleuchtender Beweis, wie richtig
man gedacht habe. Während der französischen Herrschaft habe sich der
commercielle und industrielle Zustand allerdings einigermaßen gehoben.
Damals sei indeß eine ganz specielle Douanengesetzgebung eingeführt gewesen,
beruhend auf freier Getraide- und Schlachtvieheinfuhr, wodurch das Haupt¬
material der Industrie, die Nahrung des Arbeiters, wohlfeil wurde, freier
Einfuhr des Bauholzes und der meisten Urstoffe und Roherzeugnisse, oder
mindestens sehr niedrigen Zollansätzen für dieselben, während alle Industrie-
erzeugnisse, namentlich wenn sie als englische Producte gelten, verboten
waren. Und überdieß mußte man bei Einfuhr aller fabricirten Artikel
beweisen, daß sie aus einem Lande, das mit der Republik in Frieden lebte,
ihren Ursprung hatten. Eine solche Gesetzgebung habe nothwendigerweise auf

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[256/0264] Verlegenheit, in welche die Provinzialversammlung durch den Antrag kam, dadurch zu mindern, daß man die Berathung auf unbestimmte Zeit vertagte, und den Vorschlag in etwas Vages und Unbe- stimmtes gar verwandelte, wodurch man sich zu nichts verpflichtete. Aber der Zweck der Orangisten, einen neuen Gegenstand der Zwie- trracht in das Land zu werfen, und Deutschland und England wegen französischer Tendenzen in Belgien in Unruhe zu versetzen, war erreicht. Man wollte dem morschen Argumente gegen unsere Nationalunabhängigkeit: „Belgien kann nicht allein stehen, es erstickt in seinen Grenzen, in Ohn¬ macht und Verzweiflung wird es sich seinen südlichen Nachbarn in die Arme werfen, wenn man es nicht wieder mit Holland vereinigt〟 eine neue Stütze beifügen. Dies war der Grund, warum man 1815 in London und Wien beschlossen hat, daß wir Holland als Territorialzuwachs dienen sollten. Dieses Argument mußten wir seit 1330 im Labyrinthe der Protocolle bekämpfen. Dieses Argument wollte man den europäischen Mächten wieder einleuchtend machen.〟 Wir wollen dem Verfasser in den Beweisen, die er aufzustellen ver¬ sucht, daß das Gerücht von dem Zollanschlusse an Frankreich ursprünglich auf einer orangistischen Intrigue beruht habe, um so weniger folgen, da uns diese Beweise nicht überzeugend genug scheinen, und fahren in der Analyse des Werkes weiter fort. Der Verfasser zeigt, daß die frühere Größe des belgischen Handels durchaus nicht in seinen Verhältnissen zu Frankreich ihren Grund gehabt hat, sondern in dem lebhaften Verkehr der niederländischen Städte, besonders Brügge und Apres, mit der Levante, in der glücklichen Lage Antwerpens und seinen Beziehungen zu Deutschland und den baltischen Häfen. Auch zu den Zeiten Josephs II. suchte man den Handel nicht durch Verträge mit Frankreich, sondern durch Oeffnung ent¬ fernter Abzugscanäle zu heben , und Ostende's kurze Blüthe, die es seiner ostindischen Compagnie verdankte, sei ein einleuchtender Beweis, wie richtig man gedacht habe. Während der französischen Herrschaft habe sich der commercielle und industrielle Zustand allerdings einigermaßen gehoben. Damals sei indeß eine ganz specielle Douanengesetzgebung eingeführt gewesen, beruhend auf freier Getraide- und Schlachtvieheinfuhr, wodurch das Haupt¬ material der Industrie, die Nahrung des Arbeiters, wohlfeil wurde, freier Einfuhr des Bauholzes und der meisten Urstoffe und Roherzeugnisse, oder mindestens sehr niedrigen Zollansätzen für dieselben, während alle Industrie- erzeugnisse, namentlich wenn sie als englische Producte gelten, verboten waren. Und überdieß mußte man bei Einfuhr aller fabricirten Artikel beweisen, daß sie aus einem Lande, das mit der Republik in Frieden lebte, ihren Ursprung hatten. Eine solche Gesetzgebung habe nothwendigerweise auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/264>, abgerufen am 22.11.2024.