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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Seide und Wein. Woher nun, fragt Jottrand, soll es gekommen sein,
daß unsere Interessen so plötzlich in wenigen Jahren von einem andern
Gesichtspunkte aus betrachtet werden, als der, den wir seit so vielen Jahr¬
hunderten festgehalten haben? Darauf antwortet er: "Weil diejenigen, die
über unsere Angelegenheiten schreiben, sie nicht an der Quelle, sondern
größtentheils in Frankreich und in von Franzosen verfaßten Werken studirt
haben, und weil Belgiens Nachbarn im Norden und Osten, mit denen
seine eigentlichen Interessen Hand in Hand gehen, an deren Seite es in so
vielen Schlachten gegen Frankreich gekämpft hat, es von sich stoßen, mit
Mißtrauen und ohne Glauben an seine Zukunft. Frankreich war 1330
das einzige Land, das gleich Anfangs Belgien seinen Schutz zusagte, und
demungeachtet durfte die französische dreifarbige Fahne kaum einen Tag aus
den Fenstern des Brüsseler Stadthauses wehen, demungeachtet war es einer
der ersten Acte des Nationalcongresses, die Unabhängigkeit Belgiens aus¬
zusprechen, trotz vieler Intriguen hatte der Herzog von Nemours bei der
ersten Königswahl eine starke Minorität gegen sich. Niemals that sich gegen
Frankreich im Verlaufe der Revolution eine ernsthafte Sympathie kund,
da auf einmal hört man sagen, daß wir ohne einen engen Handelsverband
mit Frankreich nicht würden bestehen können. Welche Bewandtniß hat es
damit? Darüber gibt der Verfasser folgende interessante Aufklärung:

"Vor einigen Jahren scheiterte der erste Versuch einer Handelsverbindung
zwischen uns und Frankreich von selbst. Dieß wird sich, wenn man den
Dingen ihren natürlichen Lauf läßt, bei jedem künftigen Versuche wieder¬
holen, wenn wir und alle Diejenigen uns nicht sehr irren, die die durch¬
gängige Verschiedenheit zwischen den französischen und den belgischen Zoll¬
ansätzen und den übrigen Instituten beider Völker genau untersucht haben.
Niemand sprach mehr von solchen Annäherungen, als plötzlich, ohne daß
die Präludien, die man in Ländern, welche eine freie Presse und Redner-
bühne besitzen, gewohnt ist, vorangegangen waren, das Gerücht von einem
französisch-belgischen Zollvereine sich im Publikum verbreitete. Woher kam
dieses Gerücht? Zuerst wurde es in der "Industrie", einem in Lüttich
erscheinenden orangistischen Blatte, mitgetheilt, und es wählte dazu gerade
die Zeit der jährlichen Provinzialversammlungen. Dieses Gerücht hatte kaum
Bestand gefaßt, als beim Beginn der Sitzungen des Provinzialrathes in
Gent, ein anderer Coryphäe der orangistischen Partei, der Herr Advocat
Van Huffel den förmlichen Vorschlag machte, daß man eine Addresse in diesem
Sinne einreichen solle. Ich will nichts sagen von dem Anklang, den ein
ähnlicher Vorschlag in zwei anderen Provinzialversammlungen gefunden hat.
Bei der ersten Prüfung des Vorschlags, sowohl in Lüttich als in Gent
und Namur, scheiterte er; man wußte auf eine geschickte Weise die

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Seide und Wein. Woher nun, fragt Jottrand, soll es gekommen sein,
daß unsere Interessen so plötzlich in wenigen Jahren von einem andern
Gesichtspunkte aus betrachtet werden, als der, den wir seit so vielen Jahr¬
hunderten festgehalten haben? Darauf antwortet er: „Weil diejenigen, die
über unsere Angelegenheiten schreiben, sie nicht an der Quelle, sondern
größtentheils in Frankreich und in von Franzosen verfaßten Werken studirt
haben, und weil Belgiens Nachbarn im Norden und Osten, mit denen
seine eigentlichen Interessen Hand in Hand gehen, an deren Seite es in so
vielen Schlachten gegen Frankreich gekämpft hat, es von sich stoßen, mit
Mißtrauen und ohne Glauben an seine Zukunft. Frankreich war 1330
das einzige Land, das gleich Anfangs Belgien seinen Schutz zusagte, und
demungeachtet durfte die französische dreifarbige Fahne kaum einen Tag aus
den Fenstern des Brüsseler Stadthauses wehen, demungeachtet war es einer
der ersten Acte des Nationalcongresses, die Unabhängigkeit Belgiens aus¬
zusprechen, trotz vieler Intriguen hatte der Herzog von Nemours bei der
ersten Königswahl eine starke Minorität gegen sich. Niemals that sich gegen
Frankreich im Verlaufe der Revolution eine ernsthafte Sympathie kund,
da auf einmal hört man sagen, daß wir ohne einen engen Handelsverband
mit Frankreich nicht würden bestehen können. Welche Bewandtniß hat es
damit? Darüber gibt der Verfasser folgende interessante Aufklärung:

"Vor einigen Jahren scheiterte der erste Versuch einer Handelsverbindung
zwischen uns und Frankreich von selbst. Dieß wird sich, wenn man den
Dingen ihren natürlichen Lauf läßt, bei jedem künftigen Versuche wieder¬
holen, wenn wir und alle Diejenigen uns nicht sehr irren, die die durch¬
gängige Verschiedenheit zwischen den französischen und den belgischen Zoll¬
ansätzen und den übrigen Instituten beider Völker genau untersucht haben.
Niemand sprach mehr von solchen Annäherungen, als plötzlich, ohne daß
die Präludien, die man in Ländern, welche eine freie Presse und Redner-
bühne besitzen, gewohnt ist, vorangegangen waren, das Gerücht von einem
französisch-belgischen Zollvereine sich im Publikum verbreitete. Woher kam
dieses Gerücht? Zuerst wurde es in der „Industrie〟, einem in Lüttich
erscheinenden orangistischen Blatte, mitgetheilt, und es wählte dazu gerade
die Zeit der jährlichen Provinzialversammlungen. Dieses Gerücht hatte kaum
Bestand gefaßt, als beim Beginn der Sitzungen des Provinzialrathes in
Gent, ein anderer Coryphäe der orangistischen Partei, der Herr Advocat
Van Huffel den förmlichen Vorschlag machte, daß man eine Addresse in diesem
Sinne einreichen solle. Ich will nichts sagen von dem Anklang, den ein
ähnlicher Vorschlag in zwei anderen Provinzialversammlungen gefunden hat.
Bei der ersten Prüfung des Vorschlags, sowohl in Lüttich als in Gent
und Namur, scheiterte er; man wußte auf eine geschickte Weise die

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[255/0263] Seide und Wein. Woher nun, fragt Jottrand, soll es gekommen sein, daß unsere Interessen so plötzlich in wenigen Jahren von einem andern Gesichtspunkte aus betrachtet werden, als der, den wir seit so vielen Jahr¬ hunderten festgehalten haben? Darauf antwortet er: „Weil diejenigen, die über unsere Angelegenheiten schreiben, sie nicht an der Quelle, sondern größtentheils in Frankreich und in von Franzosen verfaßten Werken studirt haben, und weil Belgiens Nachbarn im Norden und Osten, mit denen seine eigentlichen Interessen Hand in Hand gehen, an deren Seite es in so vielen Schlachten gegen Frankreich gekämpft hat, es von sich stoßen, mit Mißtrauen und ohne Glauben an seine Zukunft. Frankreich war 1330 das einzige Land, das gleich Anfangs Belgien seinen Schutz zusagte, und demungeachtet durfte die französische dreifarbige Fahne kaum einen Tag aus den Fenstern des Brüsseler Stadthauses wehen, demungeachtet war es einer der ersten Acte des Nationalcongresses, die Unabhängigkeit Belgiens aus¬ zusprechen, trotz vieler Intriguen hatte der Herzog von Nemours bei der ersten Königswahl eine starke Minorität gegen sich. Niemals that sich gegen Frankreich im Verlaufe der Revolution eine ernsthafte Sympathie kund, da auf einmal hört man sagen, daß wir ohne einen engen Handelsverband mit Frankreich nicht würden bestehen können. Welche Bewandtniß hat es damit? Darüber gibt der Verfasser folgende interessante Aufklärung: "Vor einigen Jahren scheiterte der erste Versuch einer Handelsverbindung zwischen uns und Frankreich von selbst. Dieß wird sich, wenn man den Dingen ihren natürlichen Lauf läßt, bei jedem künftigen Versuche wieder¬ holen, wenn wir und alle Diejenigen uns nicht sehr irren, die die durch¬ gängige Verschiedenheit zwischen den französischen und den belgischen Zoll¬ ansätzen und den übrigen Instituten beider Völker genau untersucht haben. Niemand sprach mehr von solchen Annäherungen, als plötzlich, ohne daß die Präludien, die man in Ländern, welche eine freie Presse und Redner- bühne besitzen, gewohnt ist, vorangegangen waren, das Gerücht von einem französisch-belgischen Zollvereine sich im Publikum verbreitete. Woher kam dieses Gerücht? Zuerst wurde es in der „Industrie〟, einem in Lüttich erscheinenden orangistischen Blatte, mitgetheilt, und es wählte dazu gerade die Zeit der jährlichen Provinzialversammlungen. Dieses Gerücht hatte kaum Bestand gefaßt, als beim Beginn der Sitzungen des Provinzialrathes in Gent, ein anderer Coryphäe der orangistischen Partei, der Herr Advocat Van Huffel den förmlichen Vorschlag machte, daß man eine Addresse in diesem Sinne einreichen solle. Ich will nichts sagen von dem Anklang, den ein ähnlicher Vorschlag in zwei anderen Provinzialversammlungen gefunden hat. Bei der ersten Prüfung des Vorschlags, sowohl in Lüttich als in Gent und Namur, scheiterte er; man wußte auf eine geschickte Weise die 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/263>, abgerufen am 25.11.2024.