Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

heit, den edlen Charakter und die entschiedene Redlichkeit, die dieser Fürst
in so schwierigen Verhältnissen an den Tag legte. Er schlug den Titel eines
Regenten aus, und nannte sich einfach Präsident des Regentschaftsrathes, und
diesen besetzte er mit den ausgezeichnetsten Männern des Landes. Sich selbst
behielt er kein anderes Recht vor, als das der Begnadigung, großmüthig
schlug er jede Civilliste aus, und das überraschte Niemanden. Herrn von
Villele machte er zu seinem ersten Minister, und das erweckte allgemeines
Zutrauen.

Schon am folgenden Tage zerriß die Versammlung die Verträge von
1815*) unter lautem Beifall von ganz Frankreich.

In Folge dieses großen nationellen Actes, stellte sich der Herzog von
Orleans an die Spitze der Armee und überzog Belgien, welches sich mit
Freuden von Holland trennte, und französisch wurde, unter dem Titel "Provinz
Belgien".**) Hierauf drang der Prinz an den Rhein vor. Die Bevölkerung
kam ihm entgegen,***) die Städte öffneten ihm freudig die Thore, die fremden
Besatzungen durften mit Waffen und Gepäck ehrenvoll abziehen.+) In weniger
als drei Monaten und ohne Kämpfe erhielt Frankreich seine natürliche
Grenzen wieder, bei einem Enthusiasmus, der fast an Wahnsinn grenzte.
Der Leser sieht, daß meine Geschichte schöner ist, als der revolutionäre
Roman meiner publicistischen Collegen!

Damals erschien jene erhabene und kräftige Erklärung der National¬
versammlungen an alle Mächte der Erde. Sie sprachen, daß Frankreich unab¬
hängig sei und seine alten Grenzen wieder einnehme, und daß es beabsich¬
tige, sich von jeder anderen continentalen Eroberung auf dem Festlande
entfernt zu halten. Europa gerieth in Unruhe und wollte rüsten. Aber
England war gehemmt in Indien, Rußland hatte Polen, Oestreich Italien
im Zaum zu halten. So waren allen Souveränen die Hände gebunden.
Die Rüstungen wurden eingestellt. Die continentalen Mächte fühlten ihren
Verlust, aber auch Frankreichs Stärke. Uebrigens waren ihre Hauptbesorg¬
nisse gehoben, da sie doch eigentlich nur die revolutionäre Propaganda
fürchteten. Nach einigem Zaudern trafen die Gesandten der fremden Mächte
wieder in Paris ein.

Sechs Jahre lang erfreute sich nun Europa eines tiefen Friedens, der
sogar nicht gestört wurde durch den Wiederhall der im Oriente und in
einigen Theilen von Südamerika ausgebrochenen Kriege.

*) Legitim -- nur immer legitim!
**) Ein lockender Titel!
***) Mit Feuerschlünden und Schlachtgesängen.
+) Wirklich? "Ha, welche Großmuth!" --    Anmerkungen d. R.
25

heit, den edlen Charakter und die entschiedene Redlichkeit, die dieser Fürst
in so schwierigen Verhältnissen an den Tag legte. Er schlug den Titel eines
Regenten aus, und nannte sich einfach Präsident des Regentschaftsrathes, und
diesen besetzte er mit den ausgezeichnetsten Männern des Landes. Sich selbst
behielt er kein anderes Recht vor, als das der Begnadigung, großmüthig
schlug er jede Civilliste aus, und das überraschte Niemanden. Herrn von
Villele machte er zu seinem ersten Minister, und das erweckte allgemeines
Zutrauen.

Schon am folgenden Tage zerriß die Versammlung die Verträge von
1815*) unter lautem Beifall von ganz Frankreich.

In Folge dieses großen nationellen Actes, stellte sich der Herzog von
Orleans an die Spitze der Armee und überzog Belgien, welches sich mit
Freuden von Holland trennte, und französisch wurde, unter dem Titel „Provinz
Belgien“.**) Hierauf drang der Prinz an den Rhein vor. Die Bevölkerung
kam ihm entgegen,***) die Städte öffneten ihm freudig die Thore, die fremden
Besatzungen durften mit Waffen und Gepäck ehrenvoll abziehen.†) In weniger
als drei Monaten und ohne Kämpfe erhielt Frankreich seine natürliche
Grenzen wieder, bei einem Enthusiasmus, der fast an Wahnsinn grenzte.
Der Leser sieht, daß meine Geschichte schöner ist, als der revolutionäre
Roman meiner publicistischen Collegen!

Damals erschien jene erhabene und kräftige Erklärung der National¬
versammlungen an alle Mächte der Erde. Sie sprachen, daß Frankreich unab¬
hängig sei und seine alten Grenzen wieder einnehme, und daß es beabsich¬
tige, sich von jeder anderen continentalen Eroberung auf dem Festlande
entfernt zu halten. Europa gerieth in Unruhe und wollte rüsten. Aber
England war gehemmt in Indien, Rußland hatte Polen, Oestreich Italien
im Zaum zu halten. So waren allen Souveränen die Hände gebunden.
Die Rüstungen wurden eingestellt. Die continentalen Mächte fühlten ihren
Verlust, aber auch Frankreichs Stärke. Uebrigens waren ihre Hauptbesorg¬
nisse gehoben, da sie doch eigentlich nur die revolutionäre Propaganda
fürchteten. Nach einigem Zaudern trafen die Gesandten der fremden Mächte
wieder in Paris ein.

Sechs Jahre lang erfreute sich nun Europa eines tiefen Friedens, der
sogar nicht gestört wurde durch den Wiederhall der im Oriente und in
einigen Theilen von Südamerika ausgebrochenen Kriege.

*) Legitim — nur immer legitim!
**) Ein lockender Titel!
***) Mit Feuerschlünden und Schlachtgesängen.
†) Wirklich? „Ha, welche Großmuth!“ —    Anmerkungen d. R.
25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179580" n="189" facs="#f0197"/>
heit, den edlen Charakter und die entschiedene Redlichkeit, die dieser Fürst<lb/>
in so schwierigen Verhältnissen an den Tag legte. Er schlug den Titel eines<lb/>
Regenten aus, und nannte sich einfach Präsident des Regentschaftsrathes, und<lb/>
diesen besetzte er mit den ausgezeichnetsten Männern des Landes. Sich selbst<lb/>
behielt er kein anderes Recht vor, als das der Begnadigung, großmüthig<lb/>
schlug er jede Civilliste aus, und das überraschte Niemanden. Herrn von<lb/>
Villele machte er zu seinem ersten Minister, und das erweckte allgemeines<lb/>
Zutrauen.</p><lb/>
        <p>Schon am folgenden Tage zerriß die Versammlung die Verträge von<lb/>
1815<note place="foot" n="*)">Legitim &#x2014; nur immer legitim!<lb/></note> unter lautem Beifall von ganz Frankreich.</p><lb/>
        <p>In Folge dieses großen nationellen Actes, stellte sich der Herzog von<lb/>
Orleans an die Spitze der Armee und überzog Belgien, welches sich mit<lb/>
Freuden von Holland trennte, und <choice><sic>französch</sic><corr>französisch</corr></choice> wurde, unter dem Titel &#x201E;Provinz<lb/>
Belgien&#x201C;.<note place="foot" n="**)">Ein lockender Titel!<lb/></note> Hierauf drang der Prinz an den Rhein vor. Die Bevölkerung<lb/>
kam ihm entgegen,<note place="foot" n="***)">Mit Feuerschlünden und Schlachtgesängen.<lb/></note> die Städte öffneten ihm freudig die Thore, die fremden<lb/>
Besatzungen durften mit Waffen und Gepäck ehrenvoll abziehen.<note place="foot" n="&#x2020;)">Wirklich? &#x201E;Ha, welche Großmuth!&#x201C; &#x2014; <space dim="horizontal"/><bibl>Anmerkungen <author>d. R.</author></bibl><lb/><lb/>
</note> In weniger<lb/>
als drei Monaten und ohne Kämpfe erhielt Frankreich seine natürliche<lb/>
Grenzen wieder, bei einem Enthusiasmus, der fast an Wahnsinn grenzte.<lb/>
Der Leser sieht, daß meine Geschichte schöner ist, als der revolutionäre<lb/>
Roman meiner publicistischen Collegen!</p><lb/>
        <p>Damals erschien jene erhabene und kräftige Erklärung der National¬<lb/>
versammlungen an alle Mächte der Erde. Sie sprachen, daß Frankreich unab¬<lb/>
hängig sei und seine alten Grenzen wieder einnehme, und daß es beabsich¬<lb/>
tige, sich von jeder anderen continentalen Eroberung auf dem Festlande<lb/>
entfernt zu halten. Europa gerieth in Unruhe und wollte rüsten. Aber<lb/>
England war gehemmt in Indien, Rußland hatte Polen, Oestreich Italien<lb/>
im Zaum zu halten. So waren allen Souveränen die Hände gebunden.<lb/>
Die Rüstungen wurden eingestellt. Die continentalen Mächte fühlten ihren<lb/>
Verlust, aber auch Frankreichs Stärke. Uebrigens waren ihre Hauptbesorg¬<lb/>
nisse gehoben, da sie doch eigentlich nur die revolutionäre Propaganda<lb/>
fürchteten. Nach einigem Zaudern trafen die Gesandten der fremden Mächte<lb/>
wieder in Paris ein.</p><lb/>
        <p>Sechs Jahre lang erfreute sich nun Europa eines tiefen Friedens, der<lb/>
sogar nicht gestört wurde durch den Wiederhall der im Oriente und in<lb/>
einigen Theilen von Südamerika ausgebrochenen Kriege.</p><lb/>
        <fw type="sig" place="bottom">25</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0197] heit, den edlen Charakter und die entschiedene Redlichkeit, die dieser Fürst in so schwierigen Verhältnissen an den Tag legte. Er schlug den Titel eines Regenten aus, und nannte sich einfach Präsident des Regentschaftsrathes, und diesen besetzte er mit den ausgezeichnetsten Männern des Landes. Sich selbst behielt er kein anderes Recht vor, als das der Begnadigung, großmüthig schlug er jede Civilliste aus, und das überraschte Niemanden. Herrn von Villele machte er zu seinem ersten Minister, und das erweckte allgemeines Zutrauen. Schon am folgenden Tage zerriß die Versammlung die Verträge von 1815 *) unter lautem Beifall von ganz Frankreich. In Folge dieses großen nationellen Actes, stellte sich der Herzog von Orleans an die Spitze der Armee und überzog Belgien, welches sich mit Freuden von Holland trennte, und französisch wurde, unter dem Titel „Provinz Belgien“. **) Hierauf drang der Prinz an den Rhein vor. Die Bevölkerung kam ihm entgegen, ***) die Städte öffneten ihm freudig die Thore, die fremden Besatzungen durften mit Waffen und Gepäck ehrenvoll abziehen. †) In weniger als drei Monaten und ohne Kämpfe erhielt Frankreich seine natürliche Grenzen wieder, bei einem Enthusiasmus, der fast an Wahnsinn grenzte. Der Leser sieht, daß meine Geschichte schöner ist, als der revolutionäre Roman meiner publicistischen Collegen! Damals erschien jene erhabene und kräftige Erklärung der National¬ versammlungen an alle Mächte der Erde. Sie sprachen, daß Frankreich unab¬ hängig sei und seine alten Grenzen wieder einnehme, und daß es beabsich¬ tige, sich von jeder anderen continentalen Eroberung auf dem Festlande entfernt zu halten. Europa gerieth in Unruhe und wollte rüsten. Aber England war gehemmt in Indien, Rußland hatte Polen, Oestreich Italien im Zaum zu halten. So waren allen Souveränen die Hände gebunden. Die Rüstungen wurden eingestellt. Die continentalen Mächte fühlten ihren Verlust, aber auch Frankreichs Stärke. Uebrigens waren ihre Hauptbesorg¬ nisse gehoben, da sie doch eigentlich nur die revolutionäre Propaganda fürchteten. Nach einigem Zaudern trafen die Gesandten der fremden Mächte wieder in Paris ein. Sechs Jahre lang erfreute sich nun Europa eines tiefen Friedens, der sogar nicht gestört wurde durch den Wiederhall der im Oriente und in einigen Theilen von Südamerika ausgebrochenen Kriege. *) Legitim — nur immer legitim! **) Ein lockender Titel! ***) Mit Feuerschlünden und Schlachtgesängen. †) Wirklich? „Ha, welche Großmuth!“ — Anmerkungen d. R. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/197>, abgerufen am 17.05.2024.