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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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weiß Jederman. Man braucht also mit Widerlegung derselben keine Zeit
[zu] verlieren, aber um mich von dieser Lectüre zu erholen, welche, so heilsam
sie auch ist, doch ermüdet und Eckel erregt, so will ich auf alle die wahren
großen Begebenheiten zurückblicken, durch welche seit dieser Zeit, Frankreich
das mächtigste und glücklichste Land der Erde geworden ist.

Du hast nicht vergessen, lieber Leser, daß Paris in den drei Tagen,
nach der Publication der berüchtigt gewordenen Ordonanzen, einen merk¬
würdigen Anblick darbot. Man hätte glauben sollen, ein Erdbeben habe
Alles darunter und darüber geworfen. Das Pflaster war aufgerissen, Schutt¬
haufen sperrten den freien Durchgang, Blut war geflossen, der Pallast des
Königs verlassen und das Volk, über seinen Sieg erschreckt blickte, schüchtern um
sich. Da sah man den Herzog von Mortemart heransprengen, der verkündete
den Widerruf der Ordonanzen, die Zusammenberufung der Kammern, die
Abdankung Karls X. und des Herzogs von Angouleme zu Gunsten des
Herzogs von Bordeaux und die Ernennung des Herzogs von Orleans zum
General-Lieutenant des Königreichs. Damals sprach auch Laffayette, der
diesmal nicht seinen Schimmel bestiegen hatte, das herrliche Wort aus, das
ihm so viel Ehre machte: "Es ist niemals zu spät."*)

Am folgenden Tage waren die Deputirten, wie durch einen Zauberschlag
vereinigt und erklärten alsbald auf den Vorschlag des Herrn Laffitte und Casi-
mir Perier, daß sie bei der Wichtigkeit der obwaltenden Verhältnisse ihre
Aufträge für ungenügend hielten, sie appellirten an die Nation und luden
den Generallieutenant des Königreichs ein, eine allgemeine Nationalversamm¬
lung zu berufen, und der Herzog von Orleans that dieß eben so schnell als
freudig.

Jeder der soviel Steuern zahlte, als sein fünftägiger Arbeitslohn betrug,
sollte in seiner Gemeinde Wahlmänner bezeichnen, welche sich acht Tage später
in den Hauptstädten der Bezirke zur Deputirtenwahl vereinigen sollten. Dieß
geschah in der größten Ordnung, und die aus 918 Deputirten bestehende
Versammlung, deren Mitglieder alle mit speciellen Aufträgen versehen waren,
hielt am 25sten August, dem Namenstage Ludwig des Heiligen, ihre erste
Sitzung. In der Wahl dieses Tages lag eine feine und bedeutsame Aufmerk¬
samkeit des Herrn Herzogs von Orleans.

Jederman erinnert sich noch der feierlichen Sitzung, wo die Versammlung
Heinrich V. zum König von Frankreich ausrief, und die Großjährigkeit in
sein 15tes Lebensjahr setzte. Sie übergab inzwischen die Zügel der Regierung
dem Herrn Herzog von Orleans, und jedermann bewunderte die hohe Weis-

*) Bekanntlich sagte er das Gegentheil.    A. d. R.

weiß Jederman. Man braucht also mit Widerlegung derselben keine Zeit
[zu] verlieren, aber um mich von dieser Lectüre zu erholen, welche, so heilsam
sie auch ist, doch ermüdet und Eckel erregt, so will ich auf alle die wahren
großen Begebenheiten zurückblicken, durch welche seit dieser Zeit, Frankreich
das mächtigste und glücklichste Land der Erde geworden ist.

Du hast nicht vergessen, lieber Leser, daß Paris in den drei Tagen,
nach der Publication der berüchtigt gewordenen Ordonanzen, einen merk¬
würdigen Anblick darbot. Man hätte glauben sollen, ein Erdbeben habe
Alles darunter und darüber geworfen. Das Pflaster war aufgerissen, Schutt¬
haufen sperrten den freien Durchgang, Blut war geflossen, der Pallast des
Königs verlassen und das Volk, über seinen Sieg erschreckt blickte, schüchtern um
sich. Da sah man den Herzog von Mortemart heransprengen, der verkündete
den Widerruf der Ordonanzen, die Zusammenberufung der Kammern, die
Abdankung Karls X. und des Herzogs von Angoulème zu Gunsten des
Herzogs von Bordeaux und die Ernennung des Herzogs von Orleans zum
General-Lieutenant des Königreichs. Damals sprach auch Laffayette, der
diesmal nicht seinen Schimmel bestiegen hatte, das herrliche Wort aus, das
ihm so viel Ehre machte: „Es ist niemals zu spät.“*)

Am folgenden Tage waren die Deputirten, wie durch einen Zauberschlag
vereinigt und erklärten alsbald auf den Vorschlag des Herrn Laffitte und Casi-
mir Perier, daß sie bei der Wichtigkeit der obwaltenden Verhältnisse ihre
Aufträge für ungenügend hielten, sie appellirten an die Nation und luden
den Generallieutenant des Königreichs ein, eine allgemeine Nationalversamm¬
lung zu berufen, und der Herzog von Orleans that dieß eben so schnell als
freudig.

Jeder der soviel Steuern zahlte, als sein fünftägiger Arbeitslohn betrug,
sollte in seiner Gemeinde Wahlmänner bezeichnen, welche sich acht Tage später
in den Hauptstädten der Bezirke zur Deputirtenwahl vereinigen sollten. Dieß
geschah in der größten Ordnung, und die aus 918 Deputirten bestehende
Versammlung, deren Mitglieder alle mit speciellen Aufträgen versehen waren,
hielt am 25sten August, dem Namenstage Ludwig des Heiligen, ihre erste
Sitzung. In der Wahl dieses Tages lag eine feine und bedeutsame Aufmerk¬
samkeit des Herrn Herzogs von Orleans.

Jederman erinnert sich noch der feierlichen Sitzung, wo die Versammlung
Heinrich V. zum König von Frankreich ausrief, und die Großjährigkeit in
sein 15tes Lebensjahr setzte. Sie übergab inzwischen die Zügel der Regierung
dem Herrn Herzog von Orleans, und jedermann bewunderte die hohe Weis-

*) Bekanntlich sagte er das Gegentheil.    A. d. R.
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[188/0196] weiß Jederman. Man braucht also mit Widerlegung derselben keine Zeit zu verlieren, aber um mich von dieser Lectüre zu erholen, welche, so heilsam sie auch ist, doch ermüdet und Eckel erregt, so will ich auf alle die wahren großen Begebenheiten zurückblicken, durch welche seit dieser Zeit, Frankreich das mächtigste und glücklichste Land der Erde geworden ist. Du hast nicht vergessen, lieber Leser, daß Paris in den drei Tagen, nach der Publication der berüchtigt gewordenen Ordonanzen, einen merk¬ würdigen Anblick darbot. Man hätte glauben sollen, ein Erdbeben habe Alles darunter und darüber geworfen. Das Pflaster war aufgerissen, Schutt¬ haufen sperrten den freien Durchgang, Blut war geflossen, der Pallast des Königs verlassen und das Volk, über seinen Sieg erschreckt blickte, schüchtern um sich. Da sah man den Herzog von Mortemart heransprengen, der verkündete den Widerruf der Ordonanzen, die Zusammenberufung der Kammern, die Abdankung Karls X. und des Herzogs von Angoulème zu Gunsten des Herzogs von Bordeaux und die Ernennung des Herzogs von Orleans zum General-Lieutenant des Königreichs. Damals sprach auch Laffayette, der diesmal nicht seinen Schimmel bestiegen hatte, das herrliche Wort aus, das ihm so viel Ehre machte: „Es ist niemals zu spät.“ *) Am folgenden Tage waren die Deputirten, wie durch einen Zauberschlag vereinigt und erklärten alsbald auf den Vorschlag des Herrn Laffitte und Casi- mir Perier, daß sie bei der Wichtigkeit der obwaltenden Verhältnisse ihre Aufträge für ungenügend hielten, sie appellirten an die Nation und luden den Generallieutenant des Königreichs ein, eine allgemeine Nationalversamm¬ lung zu berufen, und der Herzog von Orleans that dieß eben so schnell als freudig. Jeder der soviel Steuern zahlte, als sein fünftägiger Arbeitslohn betrug, sollte in seiner Gemeinde Wahlmänner bezeichnen, welche sich acht Tage später in den Hauptstädten der Bezirke zur Deputirtenwahl vereinigen sollten. Dieß geschah in der größten Ordnung, und die aus 918 Deputirten bestehende Versammlung, deren Mitglieder alle mit speciellen Aufträgen versehen waren, hielt am 25sten August, dem Namenstage Ludwig des Heiligen, ihre erste Sitzung. In der Wahl dieses Tages lag eine feine und bedeutsame Aufmerk¬ samkeit des Herrn Herzogs von Orleans. Jederman erinnert sich noch der feierlichen Sitzung, wo die Versammlung Heinrich V. zum König von Frankreich ausrief, und die Großjährigkeit in sein 15tes Lebensjahr setzte. Sie übergab inzwischen die Zügel der Regierung dem Herrn Herzog von Orleans, und jedermann bewunderte die hohe Weis- *) Bekanntlich sagte er das Gegentheil. A. d. R.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/196>, abgerufen am 23.11.2024.