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Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844.

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§ 25 Grundgesetze der Statik.
Zahl mit aufgenommen haben, von dem in der abstrakten Wissen-
schaft bisher noch nicht die Rede sein konnte.

§ 25. Die Anwendung unserer Wissenschaft auf die Statik
und Mechanik ist vorzugsweise geeignet, die Bedeutung derselben
ans Licht treten zu lassen. Betrachten wir zuerst, um das Ganze
von Anfang an zu begründen, die Neutonschen Grundgesetze, so
besteht das erste *) aus zwei ungleichartigen Theilen, deren erste-
rer, dass nämlich jeder ruhende Körper im Zustande der Ruhe
bleibt, bis eine Kraft ihn in Bewegung setzt, in dem Begriffe der
Kräft, als Ursache der Bewegung, liegt, während der andere Theil
aussagt, dass jeder bewegte Körper, so lange keine Kräfte auf ihn
einwirken, dieselbe Bewegung beibehält, d. h. dass er in gleichen
Zeiten stets gleiche Strecken (im Sinne unserer Wissenschaft, also
gleich lange und gleichläufige) beschreibt. Da diese fortgesetzte
Bewegung als eine fortdauernde Kraft erscheint, so können wir
dies Gesetz noch einfacher so ausdrücken:

"Jede Einwirkung einer Kraft auf die Materie ist zugleich die
Mittheilung einer sich selbst stets gleich bleibenden (d. h.
gleich stark und parallel bleibenden) Kraft an dieselbe."

Diese mitgetheilte und nach der Mittheilung der Materie einwoh-
nende Kraft ist demnach wohl zu unterscheiden von der Kraft,
welche auf die Materie einwirkt (ihren Sitz also anders wo hat).
Das zweite Neuton'sche Grundgesetz **) enthält ebenfalls zwei un-
gleichartige Theile, und jeder derselben enthält eine Grundvoraus-
setzung, welche aber in dem Neutonschen Ausdrucke des Satzes
etwas versteckt liegt. Nämlich ausser dem Zusammenhange be-
trachtet, scheint der Satz weiter nichts aussagen zu wollen, als
dass, wenn verschiedene Kräfte auf dasselbe Theilchen wirkend
gedacht werden, die mitgetheilten Bewegungen den Kräften pro-
portional und gleichgerichtet seien; allein dies wäre kein Grund-

*) "Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformi-
ter in directum, nisi quatenus a viribus impressis cogitur statum illum mutare."
New. phil. nat. princ. Lex. I.
**) "Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae et fieri
secundum lineam rectam, qua vis illa imprimitur."

§ 25 Grundgesetze der Statik.
Zahl mit aufgenommen haben, von dem in der abstrakten Wissen-
schaft bisher noch nicht die Rede sein konnte.

§ 25. Die Anwendung unserer Wissenschaft auf die Statik
und Mechanik ist vorzugsweise geeignet, die Bedeutung derselben
ans Licht treten zu lassen. Betrachten wir zuerst, um das Ganze
von Anfang an zu begründen, die Neutonschen Grundgesetze, so
besteht das erste *) aus zwei ungleichartigen Theilen, deren erste-
rer, dass nämlich jeder ruhende Körper im Zustande der Ruhe
bleibt, bis eine Kraft ihn in Bewegung setzt, in dem Begriffe der
Kräft, als Ursache der Bewegung, liegt, während der andere Theil
aussagt, dass jeder bewegte Körper, so lange keine Kräfte auf ihn
einwirken, dieselbe Bewegung beibehält, d. h. dass er in gleichen
Zeiten stets gleiche Strecken (im Sinne unserer Wissenschaft, also
gleich lange und gleichläufige) beschreibt. Da diese fortgesetzte
Bewegung als eine fortdauernde Kraft erscheint, so können wir
dies Gesetz noch einfacher so ausdrücken:

„Jede Einwirkung einer Kraft auf die Materie ist zugleich die
Mittheilung einer sich selbst stets gleich bleibenden (d. h.
gleich stark und parallel bleibenden) Kraft an dieselbe.“

Diese mitgetheilte und nach der Mittheilung der Materie einwoh-
nende Kraft ist demnach wohl zu unterscheiden von der Kraft,
welche auf die Materie einwirkt (ihren Sitz also anders wo hat).
Das zweite Neuton’sche Grundgesetz **) enthält ebenfalls zwei un-
gleichartige Theile, und jeder derselben enthält eine Grundvoraus-
setzung, welche aber in dem Neutonschen Ausdrucke des Satzes
etwas versteckt liegt. Nämlich ausser dem Zusammenhange be-
trachtet, scheint der Satz weiter nichts aussagen zu wollen, als
dass, wenn verschiedene Kräfte auf dasselbe Theilchen wirkend
gedacht werden, die mitgetheilten Bewegungen den Kräften pro-
portional und gleichgerichtet seien; allein dies wäre kein Grund-

*) „Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformi-
ter in directum, nisi quatenus a viribus impressis cogitur statum illum mutare.“
New. phil. nat. princ. Lex. I.
**) „Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae et fieri
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[43/0079] § 25 Grundgesetze der Statik. Zahl mit aufgenommen haben, von dem in der abstrakten Wissen- schaft bisher noch nicht die Rede sein konnte. § 25. Die Anwendung unserer Wissenschaft auf die Statik und Mechanik ist vorzugsweise geeignet, die Bedeutung derselben ans Licht treten zu lassen. Betrachten wir zuerst, um das Ganze von Anfang an zu begründen, die Neutonschen Grundgesetze, so besteht das erste *) aus zwei ungleichartigen Theilen, deren erste- rer, dass nämlich jeder ruhende Körper im Zustande der Ruhe bleibt, bis eine Kraft ihn in Bewegung setzt, in dem Begriffe der Kräft, als Ursache der Bewegung, liegt, während der andere Theil aussagt, dass jeder bewegte Körper, so lange keine Kräfte auf ihn einwirken, dieselbe Bewegung beibehält, d. h. dass er in gleichen Zeiten stets gleiche Strecken (im Sinne unserer Wissenschaft, also gleich lange und gleichläufige) beschreibt. Da diese fortgesetzte Bewegung als eine fortdauernde Kraft erscheint, so können wir dies Gesetz noch einfacher so ausdrücken: „Jede Einwirkung einer Kraft auf die Materie ist zugleich die Mittheilung einer sich selbst stets gleich bleibenden (d. h. gleich stark und parallel bleibenden) Kraft an dieselbe.“ Diese mitgetheilte und nach der Mittheilung der Materie einwoh- nende Kraft ist demnach wohl zu unterscheiden von der Kraft, welche auf die Materie einwirkt (ihren Sitz also anders wo hat). Das zweite Neuton’sche Grundgesetz **) enthält ebenfalls zwei un- gleichartige Theile, und jeder derselben enthält eine Grundvoraus- setzung, welche aber in dem Neutonschen Ausdrucke des Satzes etwas versteckt liegt. Nämlich ausser dem Zusammenhange be- trachtet, scheint der Satz weiter nichts aussagen zu wollen, als dass, wenn verschiedene Kräfte auf dasselbe Theilchen wirkend gedacht werden, die mitgetheilten Bewegungen den Kräften pro- portional und gleichgerichtet seien; allein dies wäre kein Grund- *) „Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformi- ter in directum, nisi quatenus a viribus impressis cogitur statum illum mutare.“ New. phil. nat. princ. Lex. I. **) „Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae et fieri secundum lineam rectam, qua vis illa imprimitur.“

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Zitationshilfe: Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/79>, abgerufen am 02.05.2024.