Grabbe, Christian Dietrich: Napoleon oder Die hundert Tage. Frankfurt (Main), 1831. König Ludwig. Du schmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind der beiden königlichen Menschenopfer -- Herzogin von Angouleme. Mein Vater! mein Vater! meine Mutter! König Ludwig. -- du lange Eingekerkerte, -- wie kommt es, daß gerade du, die des Schicksals Schwere am härtesten empfand, von allen meines Stammes die Stärkste bist, bloß im Vertrauen auf Gott? Herzogin von Angouleme. Gott? -- Wo es an Menschen fehlt, da erscheint er! -- Oheim, ich lernt' ihn kennen, dort in dem Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu- tion, doch für mich des Lichts. -- Wer so wie ich, ein zartes Kind, da im Gefängnisse schmachtet, und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und der Mutter von den Schaffotten rollen hört -- o, wen so wie mich dieses Paris umbraus't, rebel- lisch, jede Straße von dem Geschrei der Mörder- rotten aufdonnernd, knirschend unter den Rädern der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, -- wer selbst eine Capet, Tag und Nacht nichts als "Capet, Capet nieder" rufen hört, -- wem, wie mir, die letzten Sterne sinken, und wer dann im uner- Koͤnig Ludwig. Du ſchmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind der beiden königlichen Menſchenopfer — Herzogin von Angouleme. Mein Vater! mein Vater! meine Mutter! Koͤnig Ludwig. — du lange Eingekerkerte, — wie kommt es, daß gerade du, die des Schickſals Schwere am härteſten empfand, von allen meines Stammes die Stärkſte biſt, bloß im Vertrauen auf Gott? Herzogin von Angouleme. Gott? — Wo es an Menſchen fehlt, da erſcheint er! — Oheim, ich lernt’ ihn kennen, dort in dem Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu- tion, doch für mich des Lichts. — Wer ſo wie ich, ein zartes Kind, da im Gefängniſſe ſchmachtet, und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und der Mutter von den Schaffotten rollen hört — o, wen ſo wie mich dieſes Paris umbrauſ’t, rebel- liſch, jede Straße von dem Geſchrei der Mörder- rotten aufdonnernd, knirſchend unter den Rädern der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, — wer ſelbſt eine Capet, Tag und Nacht nichts als »Capet, Capet nieder« rufen hört, — wem, wie mir, die letzten Sterne ſinken, und wer dann im uner- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0055" n="47"/> <sp who="#KOENIG"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤnig Ludwig</hi>.</speaker><lb/> <p>Du ſchmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind<lb/> der beiden königlichen Menſchenopfer —</p> </sp><lb/> <sp who="#ANGOI"> <speaker><hi rendition="#g">Herzogin von Angouleme</hi>.</speaker><lb/> <p>Mein Vater! mein Vater! meine Mutter!</p> </sp><lb/> <sp who="#KOENIG"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤnig Ludwig</hi>.</speaker><lb/> <p>— du lange Eingekerkerte, — wie kommt es,<lb/> daß gerade du, die des Schickſals Schwere am<lb/> härteſten empfand, von allen meines Stammes die<lb/> Stärkſte biſt, bloß im Vertrauen auf Gott?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANGOI"> <speaker><hi rendition="#g">Herzogin von Angouleme</hi>.</speaker><lb/> <p>Gott? — Wo es an Menſchen fehlt, da erſcheint<lb/> er! — Oheim, ich lernt’ ihn kennen, dort in dem<lb/> Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu-<lb/> tion, doch für mich des Lichts. — Wer ſo wie ich,<lb/> ein zartes Kind, da im Gefängniſſe ſchmachtet,<lb/> und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und<lb/> der Mutter von den Schaffotten rollen hört —<lb/> o, wen ſo wie mich dieſes Paris umbrauſ’t, rebel-<lb/> liſch, jede Straße von dem Geſchrei der Mörder-<lb/> rotten aufdonnernd, knirſchend unter den Rädern<lb/> der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, —<lb/> wer ſelbſt eine Capet, Tag und Nacht nichts als<lb/> »Capet, Capet nieder« rufen hört, — wem, wie mir,<lb/> die letzten Sterne ſinken, und wer dann im uner-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0055]
Koͤnig Ludwig.
Du ſchmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind
der beiden königlichen Menſchenopfer —
Herzogin von Angouleme.
Mein Vater! mein Vater! meine Mutter!
Koͤnig Ludwig.
— du lange Eingekerkerte, — wie kommt es,
daß gerade du, die des Schickſals Schwere am
härteſten empfand, von allen meines Stammes die
Stärkſte biſt, bloß im Vertrauen auf Gott?
Herzogin von Angouleme.
Gott? — Wo es an Menſchen fehlt, da erſcheint
er! — Oheim, ich lernt’ ihn kennen, dort in dem
Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu-
tion, doch für mich des Lichts. — Wer ſo wie ich,
ein zartes Kind, da im Gefängniſſe ſchmachtet,
und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und
der Mutter von den Schaffotten rollen hört —
o, wen ſo wie mich dieſes Paris umbrauſ’t, rebel-
liſch, jede Straße von dem Geſchrei der Mörder-
rotten aufdonnernd, knirſchend unter den Rädern
der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, —
wer ſelbſt eine Capet, Tag und Nacht nichts als
»Capet, Capet nieder« rufen hört, — wem, wie mir,
die letzten Sterne ſinken, und wer dann im uner-
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Zitationshilfe: | Grabbe, Christian Dietrich: Napoleon oder Die hundert Tage. Frankfurt (Main), 1831, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grabbe_napoleon_1831/55>, abgerufen am 16.02.2025. |