der Aberglaube den Gott Bascchus dem Weine, die Ceres den Feld-Früchten, die Pomona den Gärten, die Venus und ihren Sohn der Liebe vorgesetzet; gerieth man allmählig auf das Lob der Götter. Dem Jupiter und allen übrigen Gottheiten wiederfuhr hernach gleiche Ehre, und solcherge- stalt wurde die Poesie gleichsam dem Gottesdienste geheiliget.
Von dem Lobe der Götter kam man leicht auf das Lob der Helden, Erbauer der Städte, Stiffter der Republicken, und Stammväter grosser Geschlechter: wiewohl ich es auch vor gantz möglich halte, daß man von dem Lobe der Helden auf das Lob der Götter gekommen, oder vielmehr dieselben durch das Lob selbst vergöttert habe. Es ist nehmlich bekannt, daß alle Götter der Heyden vormahls Menschen gewesen seyn sollten, und nur wegen ihrer Fürtrefflichkeit unter die Ein- wohner des Himmels waren aufgenommen worden. Bey solchen Lobliedern nun schliechen sich auch die stachlichten Spottgesänge mit ein. Aristoteles gedenckt, daß man schon vor Homero schimpfliche Lieder auf die Leute gemacht, und sie sehr anzüglich darinn herumgenommen. Ja Aventinus will in seiner deutschen Historie, daß, wie Tuiscon zu Anreitzung der Nachkommen, die Gutthaten der Frommen mit Liedern zu ehren befohlen; also hätte König Laber geboten, daß man auch von denen, die übels thäten, Lieder machen, und damit sie sich schämeten und besserten, selbige bey Nacht wenn man das Licht angezündet hätte, auf öffentlicher Gasse für den Häusern, absingen möchte; daher denn diese Art Satyrischer Lieder Gesanglichter genennet worden. S. Morhofs Un- terricht. Cap. VI. p. 260.
Und so sehen wir denn nicht nur, daß die allerälteste Gat- tung der Poesie in Gesängen, Liedern und Oden bestanden: sondern auch in wie vielerley Gattungen sich dieselben allmäh- lich eingetheilet. Ein Lied zum Lobe der Götter hieß nachmahls im Griechischen Hymnus, oder Päan; Ein Lied auf einen Hel- den Encomium auch Scolion; Ein Satirisch Lied, Dithyram- bus; ein verliebtes Lied, Melos, threnus; und ein Sauflied, Ode, wiewohl diese Nahmen auch offt in allgemei- nerm Verstande gebraucht worden. Die ersten Poesien waren
der-
Das I. Cap. Vom Urſprunge
der Aberglaube den Gott Baſcchus dem Weine, die Ceres den Feld-Fruͤchten, die Pomona den Gaͤrten, die Venus und ihren Sohn der Liebe vorgeſetzet; gerieth man allmaͤhlig auf das Lob der Goͤtter. Dem Jupiter und allen uͤbrigen Gottheiten wiederfuhr hernach gleiche Ehre, und ſolcherge- ſtalt wurde die Poeſie gleichſam dem Gottesdienſte geheiliget.
Von dem Lobe der Goͤtter kam man leicht auf das Lob der Helden, Erbauer der Staͤdte, Stiffter der Republicken, und Stammvaͤter groſſer Geſchlechter: wiewohl ich es auch vor gantz moͤglich halte, daß man von dem Lobe der Helden auf das Lob der Goͤtter gekommen, oder vielmehr dieſelben durch das Lob ſelbſt vergoͤttert habe. Es iſt nehmlich bekannt, daß alle Goͤtter der Heyden vormahls Menſchen geweſen ſeyn ſollten, und nur wegen ihrer Fuͤrtrefflichkeit unter die Ein- wohner des Himmels waren aufgenommen worden. Bey ſolchen Lobliedern nun ſchliechen ſich auch die ſtachlichten Spottgeſaͤnge mit ein. Ariſtoteles gedenckt, daß man ſchon vor Homero ſchimpfliche Lieder auf die Leute gemacht, und ſie ſehr anzuͤglich darinn herumgenommen. Ja Aventinus will in ſeiner deutſchen Hiſtorie, daß, wie Tuiſcon zu Anreitzung der Nachkommen, die Gutthaten der Frommen mit Liedern zu ehren befohlen; alſo haͤtte Koͤnig Laber geboten, daß man auch von denen, die uͤbels thaͤten, Lieder machen, und damit ſie ſich ſchaͤmeten und beſſerten, ſelbige bey Nacht wenn man das Licht angezuͤndet haͤtte, auf oͤffentlicher Gaſſe fuͤr den Haͤuſern, abſingen moͤchte; daher denn dieſe Art Satyriſcher Lieder Geſanglichter genennet worden. S. Morhofs Un- terricht. Cap. VI. p. 260.
Und ſo ſehen wir denn nicht nur, daß die alleraͤlteſte Gat- tung der Poeſie in Geſaͤngen, Liedern und Oden beſtanden: ſondern auch in wie vielerley Gattungen ſich dieſelben allmaͤh- lich eingetheilet. Ein Lied zum Lobe der Goͤtter hieß nachmahls im Griechiſchen Hymnus, oder Paͤan; Ein Lied auf einen Hel- den Encomium auch Scolion; Ein Satiriſch Lied, Dithyram- bus; ein verliebtes Lied, Melos, threnus; und ein Sauflied, Ode, wiewohl dieſe Nahmen auch offt in allgemei- nerm Verſtande gebraucht worden. Die erſten Poeſien waren
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Das I. Cap. Vom Urſprunge
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und ihren Sohn der Liebe vorgeſetzet; gerieth man allmaͤhlig
auf das Lob der Goͤtter. Dem Jupiter und allen uͤbrigen
Gottheiten wiederfuhr hernach gleiche Ehre, und ſolcherge-
ſtalt wurde die Poeſie gleichſam dem Gottesdienſte geheiliget.
Von dem Lobe der Goͤtter kam man leicht auf das Lob
der Helden, Erbauer der Staͤdte, Stiffter der Republicken,
und Stammvaͤter groſſer Geſchlechter: wiewohl ich es auch
vor gantz moͤglich halte, daß man von dem Lobe der Helden
auf das Lob der Goͤtter gekommen, oder vielmehr dieſelben
durch das Lob ſelbſt vergoͤttert habe. Es iſt nehmlich bekannt,
daß alle Goͤtter der Heyden vormahls Menſchen geweſen ſeyn
ſollten, und nur wegen ihrer Fuͤrtrefflichkeit unter die Ein-
wohner des Himmels waren aufgenommen worden. Bey
ſolchen Lobliedern nun ſchliechen ſich auch die ſtachlichten
Spottgeſaͤnge mit ein. Ariſtoteles gedenckt, daß man ſchon
vor Homero ſchimpfliche Lieder auf die Leute gemacht, und ſie
ſehr anzuͤglich darinn herumgenommen. Ja Aventinus will
in ſeiner deutſchen Hiſtorie, daß, wie Tuiſcon zu Anreitzung
der Nachkommen, die Gutthaten der Frommen mit Liedern
zu ehren befohlen; alſo haͤtte Koͤnig Laber geboten, daß man
auch von denen, die uͤbels thaͤten, Lieder machen, und damit
ſie ſich ſchaͤmeten und beſſerten, ſelbige bey Nacht wenn man
das Licht angezuͤndet haͤtte, auf oͤffentlicher Gaſſe fuͤr den
Haͤuſern, abſingen moͤchte; daher denn dieſe Art Satyriſcher
Lieder Geſanglichter genennet worden. S. Morhofs Un-
terricht. Cap. VI. p. 260.
Und ſo ſehen wir denn nicht nur, daß die alleraͤlteſte Gat-
tung der Poeſie in Geſaͤngen, Liedern und Oden beſtanden:
ſondern auch in wie vielerley Gattungen ſich dieſelben allmaͤh-
lich eingetheilet. Ein Lied zum Lobe der Goͤtter hieß nachmahls
im Griechiſchen Hymnus, oder Paͤan; Ein Lied auf einen Hel-
den Encomium auch Scolion; Ein Satiriſch Lied, Dithyram-
bus; ein verliebtes Lied, Melos, threnus; und ein Sauflied,
Ode, wiewohl dieſe Nahmen auch offt in allgemei-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/98>, abgerufen am 24.11.2024.
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