Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Du zwingest dich zu nichts, was Pallas dir versagt; 555Das zeigt wie klug du bist. Doch wenn dein Witz es wagt, Hinführo auch einmahl ein Probestück zu dichten; 550So laß erst Tarpens Ohr und deinen Vater richten, Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit geglückt. Dann werd es noch neun Jahr bedächtig unterdrückt. So lang es bey dir liegt ist leicht was ausgestrichen, Kein Wort kehrt wieder um, so bald es dir entwichen, Von schnöder Lebens-Art, von Mord und Unverstand Hat Orpheus, der Poet, die Menschen abgewandt, 544 545 547 550 Die nommen wurden. Dahin gehörte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballspie- len, Tellerwerfen, der Kräusel u. d. gl. Das alles heist hier der Poet campestria arma. Jch habe das Wort Thurnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht mehr bekannt sind. Es läuft aber auf eins hinaus. 544 Jeder Verße macht. Liber & ingenuus, das sind die freyen Römer, und die so von Knechten herstammen. Horatz spricht diesen Leuten nicht die Fähig- keit zur Poeste ab. Er war selbst der Sohn eines Freygelassenen, wie er in einem Schreiben an den Mecänas gesteht. Aber es mischte sich in Rom alles in die Poesie. 545 Geld und Titel. Equestrem summam nummorum. Wer in Rom 400000 Gestertien oder 25000 Käysergulden besaß, der konnte in den Rittersland kommen. Er muste aber auch sonst von guter Aufführung seyn. Weil es nun unter Leuten von diesem Vermögen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab: So macht sich Horatz den Einwurf: Warum sollte einer der vom Ritterstande ist, und nicht nur reich, sondern auch wohlgesittet ist, nicht ein Poet seyn können? Ein recht fürtrefflicher Schluß. 547 Du zwingest. Der Poet redet den jungen Piso an, und lobt ihn, daß er von diesem Vorurtheile frey sey. Gemeiniglich führt man es als eine Regel an; welches ausser dem Zusammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht. 550 Tarpens Ohr. Spurius Metius Tarpa, ein scharfer Criticus, der nebst
andern von Augusto bestellet war, die Gedichte der damahligen Poeten zu censiren. Sie versammleten sich in dem Tempel Apollinis, der zum Verlesen poetischer Sa- chen im Käyserlichen Pallaste gewidmet war. Diese poetische Gesellschafft hat auch nach Augusts Absterben noch eine Weile gedauret. Oenuphrius Panvinius erzehlt, daß unter Domitiaus Regierung, ein junger Mensch L. Valerius Pudens, besage einer Jnscription, mit einhelligen Stimmen der Richter gekrönet worden, Coro- natus est inter Poetas latinos omnibus sententiis Iudicum. Horatz gedenckt dieses Tarpa auch in der X. Sat. des I. B.
Du zwingeſt dich zu nichts, was Pallas dir verſagt; 555Das zeigt wie klug du biſt. Doch wenn dein Witz es wagt, Hinfuͤhro auch einmahl ein Probeſtuͤck zu dichten; 550So laß erſt Tarpens Ohr und deinen Vater richten, Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit gegluͤckt. Dann werd es noch neun Jahr bedaͤchtig unterdruͤckt. So lang es bey dir liegt iſt leicht was ausgeſtrichen, Kein Wort kehrt wieder um, ſo bald es dir entwichen, Von ſchnoͤder Lebens-Art, von Mord und Unverſtand Hat Orpheus, der Poet, die Menſchen abgewandt, 544 545 547 550 Die nommen wurden. Dahin gehoͤrte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballſpie- len, Tellerwerfen, der Kraͤuſel u. d. gl. Das alles heiſt hier der Poet campeſtria arma. Jch habe das Wort Thurnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht mehr bekannt ſind. Es laͤuft aber auf eins hinaus. 544 Jeder Verße macht. Liber & ingenuus, das ſind die freyen Roͤmer, und die ſo von Knechten herſtammen. Horatz ſpricht dieſen Leuten nicht die Faͤhig- keit zur Poeſte ab. Er war ſelbſt der Sohn eines Freygelaſſenen, wie er in einem Schreiben an den Mecaͤnas geſteht. Aber es miſchte ſich in Rom alles in die Poeſie. 545 Geld und Titel. Equeſtrem ſummam nummorum. Wer in Rom 400000 Geſtertien oder 25000 Kaͤyſergulden beſaß, der konnte in den Ritterſland kommen. Er muſte aber auch ſonſt von guter Auffuͤhrung ſeyn. Weil es nun unter Leuten von dieſem Vermoͤgen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab: So macht ſich Horatz den Einwurf: Warum ſollte einer der vom Ritterſtande iſt, und nicht nur reich, ſondern auch wohlgeſittet iſt, nicht ein Poet ſeyn koͤnnen? Ein recht fuͤrtrefflicher Schluß. 547 Du zwingeſt. Der Poet redet den jungen Piſo an, und lobt ihn, daß er von dieſem Vorurtheile frey ſey. Gemeiniglich fuͤhrt man es als eine Regel an; welches auſſer dem Zuſammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht. 550 Tarpens Ohr. Spurius Metius Tarpa, ein ſcharfer Criticus, der nebſt
andern von Auguſto beſtellet war, die Gedichte der damahligen Poeten zu cenſiren. Sie verſammleten ſich in dem Tempel Apollinis, der zum Verleſen poetiſcher Sa- chen im Kaͤyſerlichen Pallaſte gewidmet war. Dieſe poetiſche Geſellſchafft hat auch nach Auguſts Abſterben noch eine Weile gedauret. Oenuphrius Panvinius erzehlt, daß unter Domitiaus Regierung, ein junger Menſch L. Valerius Pudens, beſage einer Jnſcription, mit einhelligen Stimmen der Richter gekroͤnet worden, Coro- natus eſt inter Poetas latinos omnibus ſententiis Iudicum. Horatz gedenckt dieſes Tarpa auch in der X. Sat. des I. B. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="24"> <l> <pb facs="#f0074" n="46"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Denn wer ſich ſo vergeht wird heßlich ausgelacht.</l><lb/> <l>Hingegen nimmt man wahr das jeder Verſe macht,<lb/><note place="left">545</note>Der doch die Kunſt nicht kan. Warum nicht? Geld u. Tittel</l><lb/> <l>Sind ihrer Meynung nach der wahren Dicht-Kunſt Mittel.</l> </lg><lb/> <lg n="25"> <l>Du zwingeſt dich zu nichts, was Pallas dir verſagt;</l><lb/> <l>Das zeigt wie klug du biſt. Doch wenn dein Witz es wagt,</l><lb/> <l>Hinfuͤhro auch einmahl ein Probeſtuͤck zu dichten;<lb/><note place="left">550</note>So laß erſt Tarpens Ohr und deinen Vater richten,</l><lb/> <l>Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit gegluͤckt.</l><lb/> <l>Dann werd es noch neun Jahr bedaͤchtig unterdruͤckt.</l><lb/> <l>So lang es bey dir liegt iſt leicht was ausgeſtrichen,</l><lb/> <l>Kein Wort kehrt wieder um, ſo bald es dir entwichen,</l> </lg><lb/> <note place="left">555</note> <lg n="26"> <l>Von ſchnoͤder Lebens-Art, von Mord und Unverſtand</l><lb/> <l>Hat Orpheus, der Poet, die Menſchen abgewandt,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/><note xml:id="f42" prev="#f41" place="foot" n="541">nommen wurden. Dahin gehoͤrte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballſpie-<lb/> len, Tellerwerfen, der Kraͤuſel u. d. gl. Das alles heiſt hier der Poet <hi rendition="#aq">campeſtria<lb/> arma.</hi> Jch habe das Wort Thurnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht<lb/> mehr bekannt ſind. Es laͤuft aber auf eins hinaus.</note><lb/><note place="foot" n="544"><hi rendition="#fr">Jeder Verße macht.</hi><hi rendition="#aq">Liber & ingenuus,</hi> das ſind die freyen Roͤmer,<lb/> und die ſo von Knechten herſtammen. Horatz ſpricht dieſen Leuten nicht die Faͤhig-<lb/> keit zur Poeſte ab. Er war ſelbſt der Sohn eines Freygelaſſenen, wie er in einem<lb/> Schreiben an den Mecaͤnas geſteht. Aber es miſchte ſich in Rom alles in die Poeſie.</note><lb/><note place="foot" n="545"><hi rendition="#fr">Geld und Titel.</hi><hi rendition="#aq">Equeſtrem ſummam nummorum.</hi> Wer in Rom<lb/> 400000 Geſtertien oder 25000 Kaͤyſergulden beſaß, der konnte in den Ritterſland<lb/> kommen. Er muſte aber auch ſonſt von guter Auffuͤhrung ſeyn. Weil es nun unter<lb/> Leuten von dieſem Vermoͤgen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab:<lb/> So macht ſich Horatz den Einwurf: Warum ſollte einer der vom Ritterſtande iſt,<lb/> und nicht nur reich, ſondern auch wohlgeſittet iſt, nicht ein Poet ſeyn koͤnnen? Ein<lb/> recht fuͤrtrefflicher Schluß.</note><lb/><note place="foot" n="547"><hi rendition="#fr">Du zwingeſt.</hi> Der Poet redet den jungen Piſo an, und lobt ihn, daß er<lb/> von dieſem Vorurtheile frey ſey. Gemeiniglich fuͤhrt man es als eine Regel an;<lb/> welches auſſer dem Zuſammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht.</note><lb/><note place="foot" n="550"><hi rendition="#fr">Tarpens Ohr.</hi> Spurius Metius Tarpa, ein ſcharfer Criticus, der nebſt<lb/> andern von Auguſto beſtellet war, die Gedichte der damahligen Poeten zu cenſiren.<lb/> Sie verſammleten ſich in dem Tempel Apollinis, der zum Verleſen poetiſcher Sa-<lb/> chen im Kaͤyſerlichen Pallaſte gewidmet war. Dieſe poetiſche Geſellſchafft hat auch<lb/> nach Auguſts Abſterben noch eine Weile gedauret. Oenuphrius Panvinius erzehlt,<lb/> daß unter Domitiaus Regierung, ein junger Menſch L. Valerius Pudens, beſage<lb/> einer Jnſcription, mit einhelligen Stimmen der Richter gekroͤnet worden, <hi rendition="#aq">Coro-<lb/> natus eſt inter Poetas latinos omnibus ſententiis Iudicum.</hi> Horatz gedenckt<lb/> dieſes Tarpa auch in der <hi rendition="#aq">X.</hi> Sat. des <hi rendition="#aq">I.</hi> B.</note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0074]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Denn wer ſich ſo vergeht wird heßlich ausgelacht.
Hingegen nimmt man wahr das jeder Verſe macht,
Der doch die Kunſt nicht kan. Warum nicht? Geld u. Tittel
Sind ihrer Meynung nach der wahren Dicht-Kunſt Mittel.
Du zwingeſt dich zu nichts, was Pallas dir verſagt;
Das zeigt wie klug du biſt. Doch wenn dein Witz es wagt,
Hinfuͤhro auch einmahl ein Probeſtuͤck zu dichten;
So laß erſt Tarpens Ohr und deinen Vater richten,
Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit gegluͤckt.
Dann werd es noch neun Jahr bedaͤchtig unterdruͤckt.
So lang es bey dir liegt iſt leicht was ausgeſtrichen,
Kein Wort kehrt wieder um, ſo bald es dir entwichen,
Von ſchnoͤder Lebens-Art, von Mord und Unverſtand
Hat Orpheus, der Poet, die Menſchen abgewandt,
Die
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541 nommen wurden. Dahin gehoͤrte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballſpie-
len, Tellerwerfen, der Kraͤuſel u. d. gl. Das alles heiſt hier der Poet campeſtria
arma. Jch habe das Wort Thurnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht
mehr bekannt ſind. Es laͤuft aber auf eins hinaus.
544 Jeder Verße macht. Liber & ingenuus, das ſind die freyen Roͤmer,
und die ſo von Knechten herſtammen. Horatz ſpricht dieſen Leuten nicht die Faͤhig-
keit zur Poeſte ab. Er war ſelbſt der Sohn eines Freygelaſſenen, wie er in einem
Schreiben an den Mecaͤnas geſteht. Aber es miſchte ſich in Rom alles in die Poeſie.
545 Geld und Titel. Equeſtrem ſummam nummorum. Wer in Rom
400000 Geſtertien oder 25000 Kaͤyſergulden beſaß, der konnte in den Ritterſland
kommen. Er muſte aber auch ſonſt von guter Auffuͤhrung ſeyn. Weil es nun unter
Leuten von dieſem Vermoͤgen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab:
So macht ſich Horatz den Einwurf: Warum ſollte einer der vom Ritterſtande iſt,
und nicht nur reich, ſondern auch wohlgeſittet iſt, nicht ein Poet ſeyn koͤnnen? Ein
recht fuͤrtrefflicher Schluß.
547 Du zwingeſt. Der Poet redet den jungen Piſo an, und lobt ihn, daß er
von dieſem Vorurtheile frey ſey. Gemeiniglich fuͤhrt man es als eine Regel an;
welches auſſer dem Zuſammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht.
550 Tarpens Ohr. Spurius Metius Tarpa, ein ſcharfer Criticus, der nebſt
andern von Auguſto beſtellet war, die Gedichte der damahligen Poeten zu cenſiren.
Sie verſammleten ſich in dem Tempel Apollinis, der zum Verleſen poetiſcher Sa-
chen im Kaͤyſerlichen Pallaſte gewidmet war. Dieſe poetiſche Geſellſchafft hat auch
nach Auguſts Abſterben noch eine Weile gedauret. Oenuphrius Panvinius erzehlt,
daß unter Domitiaus Regierung, ein junger Menſch L. Valerius Pudens, beſage
einer Jnſcription, mit einhelligen Stimmen der Richter gekroͤnet worden, Coro-
natus eſt inter Poetas latinos omnibus ſententiis Iudicum. Horatz gedenckt
dieſes Tarpa auch in der X. Sat. des I. B.
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