Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Musicken sonder Kunst und voller Ubel-Klang, Ein halb-verfaultes Oel und Salben voll Gestanck, Ein herber Honigseim, das Werck der Sarder-Bienen; Was werden die zur Lust bey fetten Tafeln dienen? 535Nun, wie man ohne sie sich leicht behelfen kan, So sieht man kein Gedicht mit holden Augen an, Das kein Vergnügen giebt, wozu mans doch erfunden, Als man zum erstenmahl das Sylbenmaaß gebunden. Sobald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht, 540Bemerckt man daß er sinckt, und in der Tiefe kreucht. Wer kein Thurnier versteht, enthält sich auch der Waffen; Wer nie den Ball gespielt hat nichts damit zu schaffen: 528 529 530 533 537 541 Denn und an den auch Tibullus ein Gedicht geschrieben. Jener heißt Aulus Cassellius, und war zugleich ein gründlicher Rechts-Gelehrter von grossem Ansehen: der das Hertz gehabt, sich dem Triumvirat Antonii, Octavii und Lepidi zu wiedersetzen. 528 Nur mittelmäßig. Wenn die Verße nicht schön find, so taugen sie schon nichts. Und wenn sie weiter nichts guts an sich haben, als daß sie rein und unge- zwungen fliessen: so sind sie schon schlecht. Daher sieht man, daß so viele Dichter, die eben nicht sehr fehlerhafft bey uns geschrieben, gleich unter die Banck gerathen und nicht gelesen werden. Das macht sie sind nur mittelmäßig. 529 Kein Musen-Chor. Phöbus und seine Schwestern gestehens nicht, daß sie dem Dichter so was schlechtes eingegeben: weil es ihnen zur Schande gereichen würde, nur mittelmäßige Gedichte hervorgebracht zu haben. 530 Kein Bücher-Kram, Columnae. Es gab Pfeiler in Rom, wo man die Titel von neuen Büchern anschlug. Einige meynen die Poeten hätten solches gethan, um bekannt zu machen, wenn und wo sie ihre neue Gedichte den Liebhabern vorlesen wollten. Aber es ist wahrscheinlicher, daß die Buchhändler solches gethan; welche gewiß die Poeten nicht lobten, wenn ihre Sachen schlecht abgiengen. 533 Ein herber Honiuseim. Jn Sardinien giebt es solche bittre Kräuter und Blumen, daß selbst das Honig davon bitter schmecken soll: Virgil schreibt in der VIIIten Ecloge. Immo ego Sardois videar tibi amarior herbis. 537 Das kein Vergnügen giebt. Eine Sache so nicht geschickt ist, ihre Ab- sicht zu erreichen, taugt gewiß nicht. Die Poesie aber soll zum Vergnügen der Menschen gereichen: Also wird sie verwerflich seyn, wenn sie es nicht erweckt. 541 Thurnier. Ludere hieß bey den Lateinern, alle diejenigen Ubungen
mit machen, die auf dem Martialischen Gefilde, von der Römischen Jugend unter- nommen
Muſicken ſonder Kunſt und voller Ubel-Klang, Ein halb-verfaultes Oel und Salben voll Geſtanck, Ein herber Honigſeim, das Werck der Sarder-Bienen; Was werden die zur Luſt bey fetten Tafeln dienen? 535Nun, wie man ohne ſie ſich leicht behelfen kan, So ſieht man kein Gedicht mit holden Augen an, Das kein Vergnuͤgen giebt, wozu mans doch erfunden, Als man zum erſtenmahl das Sylbenmaaß gebunden. Sobald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht, 540Bemerckt man daß er ſinckt, und in der Tiefe kreucht. Wer kein Thurnier verſteht, enthaͤlt ſich auch der Waffen; Wer nie den Ball geſpielt hat nichts damit zu ſchaffen: 528 529 530 533 537 541 Denn und an den auch Tibullus ein Gedicht geſchrieben. Jener heißt Aulus Caſſellius, und war zugleich ein gruͤndlicher Rechts-Gelehrter von groſſem Anſehen: der das Hertz gehabt, ſich dem Triumvirat Antonii, Octavii und Lepidi zu wiederſetzen. 528 Nur mittelmäßig. Wenn die Verße nicht ſchoͤn find, ſo taugen ſie ſchon nichts. Und wenn ſie weiter nichts guts an ſich haben, als daß ſie rein und unge- zwungen flieſſen: ſo ſind ſie ſchon ſchlecht. Daher ſieht man, daß ſo viele Dichter, die eben nicht ſehr fehlerhafft bey uns geſchrieben, gleich unter die Banck gerathen und nicht geleſen werden. Das macht ſie ſind nur mittelmaͤßig. 529 Kein Muſen-Chor. Phoͤbus und ſeine Schweſtern geſtehens nicht, daß ſie dem Dichter ſo was ſchlechtes eingegeben: weil es ihnen zur Schande gereichen wuͤrde, nur mittelmaͤßige Gedichte hervorgebracht zu haben. 530 Kein Bücher-Kram, Columnae. Es gab Pfeiler in Rom, wo man die Titel von neuen Buͤchern anſchlug. Einige meynen die Poeten haͤtten ſolches gethan, um bekannt zu machen, wenn und wo ſie ihre neue Gedichte den Liebhabern vorleſen wollten. Aber es iſt wahrſcheinlicher, daß die Buchhaͤndler ſolches gethan; welche gewiß die Poeten nicht lobten, wenn ihre Sachen ſchlecht abgiengen. 533 Ein herber Honiuſeim. Jn Sardinien giebt es ſolche bittre Kraͤuter und Blumen, daß ſelbſt das Honig davon bitter ſchmecken ſoll: Virgil ſchreibt in der VIIIten Ecloge. Immo ego Sardois videar tibi amarior herbis. 537 Das kein Vergnügen giebt. Eine Sache ſo nicht geſchickt iſt, ihre Ab- ſicht zu erreichen, taugt gewiß nicht. Die Poeſie aber ſoll zum Vergnuͤgen der Menſchen gereichen: Alſo wird ſie verwerflich ſeyn, wenn ſie es nicht erweckt. 541 Thurnier. Ludere hieß bey den Lateinern, alle diejenigen Ubungen
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Horatius von der Dicht-Kunſt.
Sie lobend zu erhoͤhn. Wenn aber ein Poet
Nur mittelmaͤſſig iſt und nicht aufs hoͤchſte geht,
Das hat kein Muſen-Chor, kein Phoͤbus zugegeben:
Das wird kein kluger Menſch, kein Buͤcher-Kram erheben.
Muſicken ſonder Kunſt und voller Ubel-Klang,
Ein halb-verfaultes Oel und Salben voll Geſtanck,
Ein herber Honigſeim, das Werck der Sarder-Bienen;
Was werden die zur Luſt bey fetten Tafeln dienen?
Nun, wie man ohne ſie ſich leicht behelfen kan,
So ſieht man kein Gedicht mit holden Augen an,
Das kein Vergnuͤgen giebt, wozu mans doch erfunden,
Als man zum erſtenmahl das Sylbenmaaß gebunden.
Sobald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht,
Bemerckt man daß er ſinckt, und in der Tiefe kreucht.
Wer kein Thurnier verſteht, enthaͤlt ſich auch der Waffen;
Wer nie den Ball geſpielt hat nichts damit zu ſchaffen:
Denn
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528
529
530
533
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525 und an den auch Tibullus ein Gedicht geſchrieben. Jener heißt Aulus Caſſellius,
und war zugleich ein gruͤndlicher Rechts-Gelehrter von groſſem Anſehen: der
das Hertz gehabt, ſich dem Triumvirat Antonii, Octavii und Lepidi zu wiederſetzen.
528 Nur mittelmäßig. Wenn die Verße nicht ſchoͤn find, ſo taugen ſie ſchon
nichts. Und wenn ſie weiter nichts guts an ſich haben, als daß ſie rein und unge-
zwungen flieſſen: ſo ſind ſie ſchon ſchlecht. Daher ſieht man, daß ſo viele Dichter,
die eben nicht ſehr fehlerhafft bey uns geſchrieben, gleich unter die Banck gerathen
und nicht geleſen werden. Das macht ſie ſind nur mittelmaͤßig.
529 Kein Muſen-Chor. Phoͤbus und ſeine Schweſtern geſtehens nicht, daß
ſie dem Dichter ſo was ſchlechtes eingegeben: weil es ihnen zur Schande gereichen
wuͤrde, nur mittelmaͤßige Gedichte hervorgebracht zu haben.
530 Kein Bücher-Kram, Columnae. Es gab Pfeiler in Rom, wo man
die Titel von neuen Buͤchern anſchlug. Einige meynen die Poeten haͤtten ſolches
gethan, um bekannt zu machen, wenn und wo ſie ihre neue Gedichte den Liebhabern
vorleſen wollten. Aber es iſt wahrſcheinlicher, daß die Buchhaͤndler ſolches gethan;
welche gewiß die Poeten nicht lobten, wenn ihre Sachen ſchlecht abgiengen.
533 Ein herber Honiuſeim. Jn Sardinien giebt es ſolche bittre Kraͤuter
und Blumen, daß ſelbſt das Honig davon bitter ſchmecken ſoll: Virgil ſchreibt in
der VIIIten Ecloge. Immo ego Sardois videar tibi amarior herbis.
537 Das kein Vergnügen giebt. Eine Sache ſo nicht geſchickt iſt, ihre Ab-
ſicht zu erreichen, taugt gewiß nicht. Die Poeſie aber ſoll zum Vergnuͤgen der
Menſchen gereichen: Alſo wird ſie verwerflich ſeyn, wenn ſie es nicht erweckt.
541 Thurnier. Ludere hieß bey den Lateinern, alle diejenigen Ubungen
mit machen, die auf dem Martialiſchen Gefilde, von der Roͤmiſchen Jugend unter-
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