weil sie glauben, es sey der rechte Achilles. Patroclus sollte damit zufrieden gewesen seyn: allein, er dringet gar zu scharf auf den Hector ein, und nöthiget also denselben, gewahr zu werden, daß er nicht der wahrhaffte Achilles sey; bis er end- lich gar das Leben drüber verlieret, und die Strafe seines Trotzes also empfindet.
Die Fabeln der Helden-Gedichte werden in pathetische und moralische eingetheilet. Jn jenen herrschet ein Affect, wie in der Jlias, und also können sie nicht so lange dauren. Jn der andern geht alles ruhiger her, also mögen sie auch et- was länger währen, wie die Odyssee und Eneis. Denn die Dauer einer Epischen Fabel hat keine abgemessene Zeit. Das macht, sie ist nur eine Erzehlung, und wird nicht vorge- stellet, sondern gelesen; welches alles in Schau-Spielen weit anders ist. Sonst werden sie auch in gemeine, und verworre- ne getheilet. Von jenen giebt wiederum die Jlias ein Exem- pel, wo alles ohne Verstellung oder Entdeckung der Personen vorgeht, die Zwischen-Fabel vom Patroclus ausgenommen. Aber von einer Verwirrung giebt wieder die Odyssee ein Exempel, wo ein Glücks-Wechsel mit dem Ulysses sowohl, als mit den Buhlern seiner Gemahlin vorgeht, und seine Entde- ckung zu gleicher Zeit geschicht, als man ihm die Füsse wäscht, und ein gewisses Merckmahl daran findet. Doch hiervon muß in dem Capitel von der Comödie weitläuftiger gehandelt werden. Nach diesem Muster nun muß ein jeder Poet, der ein Helden-Gedichte machen will, seine Fabel auch einrichten: das ist, Wahrheit und Gedichte, Poesie und Philosophie, Nutzen und Lust mit einander zu vermischen wissen.
Zum II. müssen wir auch die Materie eines Helden-Ge- dichts, das ist die Handlung betrachten. Die Morale ist nur die Absicht des Poeten, die er seinen Leser errathen läßt: das was er deutlich heraus saget, ist die Helden-That, so er lo- ben wollen. Z. E. Die Rache Achillis, die Rückkunft Ulys- sis, die Ankunft des Eneas in Jtalien. Aristoteles sagt aus- drücklich, es sey mimes is praxeos eine Nachahmung einer Handlung, und Horatz spricht:
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Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
weil ſie glauben, es ſey der rechte Achilles. Patroclus ſollte damit zufrieden geweſen ſeyn: allein, er dringet gar zu ſcharf auf den Hector ein, und noͤthiget alſo denſelben, gewahr zu werden, daß er nicht der wahrhaffte Achilles ſey; bis er end- lich gar das Leben druͤber verlieret, und die Strafe ſeines Trotzes alſo empfindet.
Die Fabeln der Helden-Gedichte werden in pathetiſche und moraliſche eingetheilet. Jn jenen herrſchet ein Affect, wie in der Jlias, und alſo koͤnnen ſie nicht ſo lange dauren. Jn der andern geht alles ruhiger her, alſo moͤgen ſie auch et- was laͤnger waͤhren, wie die Odyſſee und Eneis. Denn die Dauer einer Epiſchen Fabel hat keine abgemeſſene Zeit. Das macht, ſie iſt nur eine Erzehlung, und wird nicht vorge- ſtellet, ſondern geleſen; welches alles in Schau-Spielen weit anders iſt. Sonſt werden ſie auch in gemeine, und verworre- ne getheilet. Von jenen giebt wiederum die Jlias ein Exem- pel, wo alles ohne Verſtellung oder Entdeckung der Perſonen vorgeht, die Zwiſchen-Fabel vom Patroclus ausgenommen. Aber von einer Verwirrung giebt wieder die Odyſſee ein Exempel, wo ein Gluͤcks-Wechſel mit dem Ulyſſes ſowohl, als mit den Buhlern ſeiner Gemahlin vorgeht, und ſeine Entde- ckung zu gleicher Zeit geſchicht, als man ihm die Fuͤſſe waͤſcht, und ein gewiſſes Merckmahl daran findet. Doch hiervon muß in dem Capitel von der Comoͤdie weitlaͤuftiger gehandelt werden. Nach dieſem Muſter nun muß ein jeder Poet, der ein Helden-Gedichte machen will, ſeine Fabel auch einrichten: das iſt, Wahrheit und Gedichte, Poeſie und Philoſophie, Nutzen und Luſt mit einander zu vermiſchen wiſſen.
Zum II. muͤſſen wir auch die Materie eines Helden-Ge- dichts, das iſt die Handlung betrachten. Die Morale iſt nur die Abſicht des Poeten, die er ſeinen Leſer errathen laͤßt: das was er deutlich heraus ſaget, iſt die Helden-That, ſo er lo- ben wollen. Z. E. Die Rache Achillis, die Ruͤckkunft Ulyſ- ſis, die Ankunft des Eneas in Jtalien. Ariſtoteles ſagt aus- druͤcklich, es ſey μιμησ ις πραξεως eine Nachahmung einer Handlung, und Horatz ſpricht:
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Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
weil ſie glauben, es ſey der rechte Achilles. Patroclus ſollte
damit zufrieden geweſen ſeyn: allein, er dringet gar zu ſcharf
auf den Hector ein, und noͤthiget alſo denſelben, gewahr zu
werden, daß er nicht der wahrhaffte Achilles ſey; bis er end-
lich gar das Leben druͤber verlieret, und die Strafe ſeines
Trotzes alſo empfindet.
Die Fabeln der Helden-Gedichte werden in pathetiſche
und moraliſche eingetheilet. Jn jenen herrſchet ein Affect,
wie in der Jlias, und alſo koͤnnen ſie nicht ſo lange dauren.
Jn der andern geht alles ruhiger her, alſo moͤgen ſie auch et-
was laͤnger waͤhren, wie die Odyſſee und Eneis. Denn die
Dauer einer Epiſchen Fabel hat keine abgemeſſene Zeit.
Das macht, ſie iſt nur eine Erzehlung, und wird nicht vorge-
ſtellet, ſondern geleſen; welches alles in Schau-Spielen weit
anders iſt. Sonſt werden ſie auch in gemeine, und verworre-
ne getheilet. Von jenen giebt wiederum die Jlias ein Exem-
pel, wo alles ohne Verſtellung oder Entdeckung der Perſonen
vorgeht, die Zwiſchen-Fabel vom Patroclus ausgenommen.
Aber von einer Verwirrung giebt wieder die Odyſſee ein
Exempel, wo ein Gluͤcks-Wechſel mit dem Ulyſſes ſowohl, als
mit den Buhlern ſeiner Gemahlin vorgeht, und ſeine Entde-
ckung zu gleicher Zeit geſchicht, als man ihm die Fuͤſſe waͤſcht,
und ein gewiſſes Merckmahl daran findet. Doch hiervon
muß in dem Capitel von der Comoͤdie weitlaͤuftiger gehandelt
werden. Nach dieſem Muſter nun muß ein jeder Poet, der
ein Helden-Gedichte machen will, ſeine Fabel auch einrichten:
das iſt, Wahrheit und Gedichte, Poeſie und Philoſophie,
Nutzen und Luſt mit einander zu vermiſchen wiſſen.
Zum II. muͤſſen wir auch die Materie eines Helden-Ge-
dichts, das iſt die Handlung betrachten. Die Morale iſt nur
die Abſicht des Poeten, die er ſeinen Leſer errathen laͤßt: das
was er deutlich heraus ſaget, iſt die Helden-That, ſo er lo-
ben wollen. Z. E. Die Rache Achillis, die Ruͤckkunft Ulyſ-
ſis, die Ankunft des Eneas in Jtalien. Ariſtoteles ſagt aus-
druͤcklich, es ſey μιμησ ις πραξεως eine Nachahmung einer
Handlung, und Horatz ſpricht:
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/579>, abgerufen am 25.11.2024.
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