Sowohl in der Philosophie, Als auch in der Theologie, Und andern Wissenschafften mehr, Aus manches wackern Mannes Lehr, Den Bienen gleich, ohn Ruh und Rast, Aufs fleißigste gesammlet hast: Da mancher Frühkopf, wie man spürt, Jn zwantzig Monden ausstudirt, Und eh sein Cursus sich noch schlüßt, Mit allem fix und fertig ist. Ja wenn er noch gleich Kindern spielt, Dem Phöbus Krantz und Lorbern stiehlt, Der Themis nach dem Hute greift, Und in Hygäens Tempel läuft. Mein Freund! ach könnt es doch geschehn, Daß ich der Zungen zehnmahl zehn Jm Munde hätt! So wollt ich dich, Hier loben thun recht meisterlich, Wie herrlich du bey Tag und Nacht, Die edle güldne Zeit verbracht, Wenn mancher schmauste, ritt und fuhr, Das Geld verthat mit seiner Jungfer. Nicht anders, als wenn ohngefehr, Das fromme Leipzig Sodom wär; Dergleichen Satz, zu dieser Frist, Doch noch nicht gantz erwiesen ist: So saßt du bey den Büchern dein, Und liessest sie dir lieber seyn, Als alles was ein wilder Geist, Studenten-mäßig leben heißt. Die Weisheit war dein Augenmerck, Gelehrsamkeit dein liebstes Werck; Doch bliebst du ein Eclecticus, Und wurdest kein Sectarius, Der stets auf andre Secten keift, Die sein Verstand doch nicht begreift. Die Wahrheit war dein Zweck und Ziel, So dir in jeder Sect gefiel.
Jedoch du wolltest weiter gehn, Und auch der Alten Witz verstehn, Das machts, daß du den Theophrast Und Epictet im Kopfe hast. Du hast den Seneca studirt, Dem Antoninus nachgespürt,
Auf
J i 2
Von Sinn- und Schertzgedichten.
Sowohl in der Philoſophie, Als auch in der Theologie, Und andern Wiſſenſchafften mehr, Aus manches wackern Mannes Lehr, Den Bienen gleich, ohn Ruh und Raſt, Aufs fleißigſte geſammlet haſt: Da mancher Fruͤhkopf, wie man ſpuͤrt, Jn zwantzig Monden ausſtudirt, Und eh ſein Curſus ſich noch ſchluͤßt, Mit allem fix und fertig iſt. Ja wenn er noch gleich Kindern ſpielt, Dem Phoͤbus Krantz und Lorbern ſtiehlt, Der Themis nach dem Hute greift, Und in Hygaͤens Tempel laͤuft. Mein Freund! ach koͤnnt es doch geſchehn, Daß ich der Zungen zehnmahl zehn Jm Munde haͤtt! So wollt ich dich, Hier loben thun recht meiſterlich, Wie herrlich du bey Tag und Nacht, Die edle guͤldne Zeit verbracht, Wenn mancher ſchmauſte, ritt und fuhr, Das Geld verthat mit ſeiner Jungfer. Nicht anders, als wenn ohngefehr, Das fromme Leipzig Sodom waͤr; Dergleichen Satz, zu dieſer Friſt, Doch noch nicht gantz erwieſen iſt: So ſaßt du bey den Buͤchern dein, Und lieſſeſt ſie dir lieber ſeyn, Als alles was ein wilder Geiſt, Studenten-maͤßig leben heißt. Die Weisheit war dein Augenmerck, Gelehrſamkeit dein liebſtes Werck; Doch bliebſt du ein Eclecticus, Und wurdeſt kein Sectarius, Der ſtets auf andre Secten keift, Die ſein Verſtand doch nicht begreift. Die Wahrheit war dein Zweck und Ziel, So dir in jeder Sect gefiel.
Jedoch du wollteſt weiter gehn, Und auch der Alten Witz verſtehn, Das machts, daß du den Theophraſt Und Epictet im Kopfe haſt. Du haſt den Seneca ſtudirt, Dem Antoninus nachgeſpuͤrt,
Auf
J i 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="5"><l><pbfacs="#f0527"n="499"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von Sinn- und Schertzgedichten.</hi></fw></l><lb/><l>Sowohl in der Philoſophie,</l><lb/><l>Als auch in der Theologie,</l><lb/><l>Und andern Wiſſenſchafften mehr,</l><lb/><l>Aus manches wackern Mannes Lehr,</l><lb/><l>Den Bienen gleich, ohn Ruh und Raſt,</l><lb/><l>Aufs fleißigſte geſammlet haſt:</l><lb/><l>Da mancher Fruͤhkopf, wie man ſpuͤrt,</l><lb/><l>Jn zwantzig Monden ausſtudirt,</l><lb/><l>Und eh ſein Curſus ſich noch ſchluͤßt,</l><lb/><l>Mit allem fix und fertig iſt.</l><lb/><l>Ja wenn er noch gleich Kindern ſpielt,</l><lb/><l>Dem Phoͤbus Krantz und Lorbern ſtiehlt,</l><lb/><l>Der Themis nach dem Hute greift,</l><lb/><l>Und in Hygaͤens Tempel laͤuft.</l><lb/><l>Mein Freund! ach koͤnnt es doch geſchehn,</l><lb/><l>Daß ich der Zungen zehnmahl zehn</l><lb/><l>Jm Munde haͤtt! So wollt ich dich,</l><lb/><l>Hier loben thun recht meiſterlich,</l><lb/><l>Wie herrlich du bey Tag und Nacht,</l><lb/><l>Die edle guͤldne Zeit verbracht,</l><lb/><l>Wenn mancher ſchmauſte, ritt und fuhr,</l><lb/><l>Das Geld verthat mit ſeiner Jungfer.</l><lb/><l>Nicht anders, als wenn ohngefehr,</l><lb/><l>Das fromme Leipzig Sodom waͤr;</l><lb/><l>Dergleichen Satz, zu dieſer Friſt,</l><lb/><l>Doch noch nicht gantz erwieſen iſt:</l><lb/><l>So ſaßt du bey den Buͤchern dein,</l><lb/><l>Und lieſſeſt ſie dir lieber ſeyn,</l><lb/><l>Als alles was ein wilder Geiſt,</l><lb/><l>Studenten-maͤßig leben heißt.</l><lb/><l>Die Weisheit war dein Augenmerck,</l><lb/><l>Gelehrſamkeit dein liebſtes Werck;</l><lb/><l>Doch bliebſt du ein Eclecticus,</l><lb/><l>Und wurdeſt kein Sectarius,</l><lb/><l>Der ſtets auf andre Secten keift,</l><lb/><l>Die ſein Verſtand doch nicht begreift.</l><lb/><l>Die Wahrheit war dein Zweck und Ziel,</l><lb/><l>So dir in jeder Sect gefiel.</l></lg><lb/><lgn="6"><l>Jedoch du wollteſt weiter gehn,</l><lb/><l>Und auch der Alten Witz verſtehn,</l><lb/><l>Das machts, daß du den Theophraſt</l><lb/><l>Und Epictet im Kopfe haſt.</l><lb/><l>Du haſt den Seneca ſtudirt,</l><lb/><l>Dem Antoninus nachgeſpuͤrt,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J i 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Auf</fw><lb/></l></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[499/0527]
Von Sinn- und Schertzgedichten.
Sowohl in der Philoſophie,
Als auch in der Theologie,
Und andern Wiſſenſchafften mehr,
Aus manches wackern Mannes Lehr,
Den Bienen gleich, ohn Ruh und Raſt,
Aufs fleißigſte geſammlet haſt:
Da mancher Fruͤhkopf, wie man ſpuͤrt,
Jn zwantzig Monden ausſtudirt,
Und eh ſein Curſus ſich noch ſchluͤßt,
Mit allem fix und fertig iſt.
Ja wenn er noch gleich Kindern ſpielt,
Dem Phoͤbus Krantz und Lorbern ſtiehlt,
Der Themis nach dem Hute greift,
Und in Hygaͤens Tempel laͤuft.
Mein Freund! ach koͤnnt es doch geſchehn,
Daß ich der Zungen zehnmahl zehn
Jm Munde haͤtt! So wollt ich dich,
Hier loben thun recht meiſterlich,
Wie herrlich du bey Tag und Nacht,
Die edle guͤldne Zeit verbracht,
Wenn mancher ſchmauſte, ritt und fuhr,
Das Geld verthat mit ſeiner Jungfer.
Nicht anders, als wenn ohngefehr,
Das fromme Leipzig Sodom waͤr;
Dergleichen Satz, zu dieſer Friſt,
Doch noch nicht gantz erwieſen iſt:
So ſaßt du bey den Buͤchern dein,
Und lieſſeſt ſie dir lieber ſeyn,
Als alles was ein wilder Geiſt,
Studenten-maͤßig leben heißt.
Die Weisheit war dein Augenmerck,
Gelehrſamkeit dein liebſtes Werck;
Doch bliebſt du ein Eclecticus,
Und wurdeſt kein Sectarius,
Der ſtets auf andre Secten keift,
Die ſein Verſtand doch nicht begreift.
Die Wahrheit war dein Zweck und Ziel,
So dir in jeder Sect gefiel.
Jedoch du wollteſt weiter gehn,
Und auch der Alten Witz verſtehn,
Das machts, daß du den Theophraſt
Und Epictet im Kopfe haſt.
Du haſt den Seneca ſtudirt,
Dem Antoninus nachgeſpuͤrt,
Auf
J i 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/527>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.