Reimen ankommt, und alles nach willkührlichen Gesetzen eines schwermenden Grillenfängers ersonnen worden. Wer ein Belieben findet, sehr gezwungen zu seyn, der kan sich täglich neue Zwangs-Regeln ersinnen; ja endlich der ge- sunden Vernünft zu Trotz, den gantzen Hübner zusammen reimen. Günther hat sich über dergleichen Künste sehr fein ausgelassen, wenn er in dem Gedichte an den König Au- gust schreibt:
Der eine will recht hoch, und macht das Anfangs-Wort, Held aller Helden Held, und kan nicht weiter fort. Der andre Künstler macht die Titel hoher Nahmen, Als Anagrammatist zu Krüppeln und zu Lahmen. Der stopfet sein Gedicht mit Spruch und Ziffern voll, Und prophezeyht wie lang dein Leben dauren soll: Als legte, blinder Wahn! die Vorsicht der Gestirne, Den Schlüssel ihres Raths dem Narren ins Gehirne.
Und dieses ist von ihm destomehr zu loben, da er von sich selbst gesteht, daß er auch in seiner Jugend,
So mancher Magdalis mit ausstudirten Griffen Aus Amors Contrapunct ein Ständgen vorgepfiffen, Jch suchte, was ich schrieb, auf einer hohen Spur, Und drechselt Wort und Reim auch wieder die Natur. Jch flocht, wie itzt noch viel, die Nahmen vor die Lieder, Und gieng offt um ein A drey Stunden auf und nieder. Jch schifft auch offtermahls auf Dielen über Meer, Und holt ein Gleichniß-Wort aus Missisippi her, Bestahl den Lohenstein, wie andre Schul-Monarchen, Und fehlte mir ein Reim, so flickt ich ihn aus Parchen. Das that ich, als mein Witz noch gar zu unreif hieß, Und als ein siedend Fett den Schaum voran verstieß. Jtzt lern ich allgemach mich und die Wahrheit kennen, Und lache, wenn mich viel noch einen Dichter nennen.
Wem dieses noch nicht genug ist, dem soll ein Martialischer Machtspruch den völligen Ausschlag geben, der allein zu- länglich wäre, alle diese Lappereyen auf einmahl vom Par- nasse zu verbannen. Er steht L. II. Ep. 86.
Nec retrolege Sotade Cinedum, Nusquam praecula quod recantat Echo. Turpe est difficiles habere nugas, Et stultus labor est ineptiarum.
Und
Des II Theils VII Capitel
Reimen ankommt, und alles nach willkuͤhrlichen Geſetzen eines ſchwermenden Grillenfaͤngers erſonnen worden. Wer ein Belieben findet, ſehr gezwungen zu ſeyn, der kan ſich taͤglich neue Zwangs-Regeln erſinnen; ja endlich der ge- ſunden Vernuͤnft zu Trotz, den gantzen Huͤbner zuſammen reimen. Guͤnther hat ſich uͤber dergleichen Kuͤnſte ſehr fein ausgelaſſen, wenn er in dem Gedichte an den Koͤnig Au- guſt ſchreibt:
Der eine will recht hoch, und macht das Anfangs-Wort, Held aller Helden Held, und kan nicht weiter fort. Der andre Kuͤnſtler macht die Titel hoher Nahmen, Als Anagrammatiſt zu Kruͤppeln und zu Lahmen. Der ſtopfet ſein Gedicht mit Spruch und Ziffern voll, Und prophezeyht wie lang dein Leben dauren ſoll: Als legte, blinder Wahn! die Vorſicht der Geſtirne, Den Schluͤſſel ihres Raths dem Narren ins Gehirne.
Und dieſes iſt von ihm deſtomehr zu loben, da er von ſich ſelbſt geſteht, daß er auch in ſeiner Jugend,
So mancher Magdalis mit ausſtudirten Griffen Aus Amors Contrapunct ein Staͤndgen vorgepfiffen, Jch ſuchte, was ich ſchrieb, auf einer hohen Spur, Und drechſelt Wort und Reim auch wieder die Natur. Jch flocht, wie itzt noch viel, die Nahmen vor die Lieder, Und gieng offt um ein A drey Stunden auf und nieder. Jch ſchifft auch offtermahls auf Dielen uͤber Meer, Und holt ein Gleichniß-Wort aus Miſſiſippi her, Beſtahl den Lohenſtein, wie andre Schul-Monarchen, Und fehlte mir ein Reim, ſo flickt ich ihn aus Parchen. Das that ich, als mein Witz noch gar zu unreif hieß, Und als ein ſiedend Fett den Schaum voran verſtieß. Jtzt lern ich allgemach mich und die Wahrheit kennen, Und lache, wenn mich viel noch einen Dichter nennen.
Wem dieſes noch nicht genug iſt, dem ſoll ein Martialiſcher Machtſpruch den voͤlligen Ausſchlag geben, der allein zu- laͤnglich waͤre, alle dieſe Lappereyen auf einmahl vom Par- naſſe zu verbannen. Er ſteht L. II. Ep. 86.
Nec retrolege Sotade Cinedum, Nusquam praecula quod recantat Echo. Turpe eſt difficiles habere nugas, Et ſtultus labor eſt ineptiarum.
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Des II Theils VII Capitel
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taͤglich neue Zwangs-Regeln erſinnen; ja endlich der ge-
ſunden Vernuͤnft zu Trotz, den gantzen Huͤbner zuſammen
reimen. Guͤnther hat ſich uͤber dergleichen Kuͤnſte ſehr fein
ausgelaſſen, wenn er in dem Gedichte an den Koͤnig Au-
guſt ſchreibt:
Der eine will recht hoch, und macht das Anfangs-Wort,
Held aller Helden Held, und kan nicht weiter fort.
Der andre Kuͤnſtler macht die Titel hoher Nahmen,
Als Anagrammatiſt zu Kruͤppeln und zu Lahmen.
Der ſtopfet ſein Gedicht mit Spruch und Ziffern voll,
Und prophezeyht wie lang dein Leben dauren ſoll:
Als legte, blinder Wahn! die Vorſicht der Geſtirne,
Den Schluͤſſel ihres Raths dem Narren ins Gehirne.
Und dieſes iſt von ihm deſtomehr zu loben, da er von ſich
ſelbſt geſteht, daß er auch in ſeiner Jugend,
So mancher Magdalis mit ausſtudirten Griffen
Aus Amors Contrapunct ein Staͤndgen vorgepfiffen,
Jch ſuchte, was ich ſchrieb, auf einer hohen Spur,
Und drechſelt Wort und Reim auch wieder die Natur.
Jch flocht, wie itzt noch viel, die Nahmen vor die Lieder,
Und gieng offt um ein A drey Stunden auf und nieder.
Jch ſchifft auch offtermahls auf Dielen uͤber Meer,
Und holt ein Gleichniß-Wort aus Miſſiſippi her,
Beſtahl den Lohenſtein, wie andre Schul-Monarchen,
Und fehlte mir ein Reim, ſo flickt ich ihn aus Parchen.
Das that ich, als mein Witz noch gar zu unreif hieß,
Und als ein ſiedend Fett den Schaum voran verſtieß.
Jtzt lern ich allgemach mich und die Wahrheit kennen,
Und lache, wenn mich viel noch einen Dichter nennen.
Wem dieſes noch nicht genug iſt, dem ſoll ein Martialiſcher
Machtſpruch den voͤlligen Ausſchlag geben, der allein zu-
laͤnglich waͤre, alle dieſe Lappereyen auf einmahl vom Par-
naſſe zu verbannen. Er ſteht L. II. Ep. 86.
Nec retrolege Sotade Cinedum,
Nusquam praecula quod recantat Echo.
Turpe eſt difficiles habere nugas,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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