Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Des II Theils VI Capitel
Doch hört der Pöbel noch das kahle Lobesan,
Des ungehirnten Chors mit grossem Eifer an;
Bewundert was er hört und läßt wohl täglich fragen:
Ob Bav und Mäv kein Lied dem Drucker hingetragen?
Das macht die Sängerzunft mit ihren Reimen stoltz.
Jhr kühner Arm will sich aus grobem Erlen-Holtz,
Ein festes Stuffenwerck auf Pindus Spitzen bauen.
Das blöde Musen-Volck empfindet Furcht und Grauen,
Und gläubet, daß Silen den Berg zu stürmen dräut;
Weil alles was man hört gleich seinem Thiere schreyt.
Apollo kan indeß das Lachen kaum verhalten,
Und wird sein hohes Amt zur Lust also verwalten
Daß, wenn dieß kühne Heer vor grosser Thorheit schwärmt,
Und truncknen Bauren gleich vor seinem Tempel lermt,
Mercur, vor einen Krantz von frischen Lorber-Zweigen,
Nur Hasenpappeln soll um ihre Scheiteln beugen.
Und solches nach Verdienst. Denn wer nimmt nicht in acht,
Was vor Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht?
Man will dem Scheine nach gebundne Reden schreiben,
Und läßt die Zeilen doch so durch einander treiben,
Daß nirgends Reim und Reim an seinem Ort erscheint.
Ein Leser irret sehr, der da zu finden meynt,
Was ihm die lange Zeit vermögend ist zu kürtzen:
Ein solches Blatt wird ihn in Scheu und Eckel stürtzen.
Geht auf den Trödelmarckt, da hat man Briefe feil;
Selbst Nahme, Jahr und Tag hat an den Verßen Theil.
O unerhörte Kunst! wo hast du deines gleichen?
Es muß Athen und Rom vor deinem Meister weichen,
Die auch nach ihrer Art so manchen Brief gemacht,
Doch solche Künste nicht ins Sylbenmaaß gebracht.
Wie mancher läßt uns noch ein abgeschmackter Wesen,
Jn neuen Zeitungen vom Venus-Sterne lesen?
Was heckt Frau Fama nicht vor saubre Jungen aus?
Kurtz, dieser Helicon ist wie ein Narrenhaus,
Wo Aberwitzige mit offnen Augen träumen,
Und wie Beseßne thun, in ihrem Anfall schäumen.
Jch sage nicht zu viel. Der halbverrückte Sinn
Kleckt alles, was ihm träumt, auf seine Blätter hin.
Da sieht man Geilheit, Spott, Verläumden, Lästern, Schmähen,
Und tausend Possen mehr in allen Zeilen stehen.
Ja wie wohl sonst ein Thor den andern ausgelacht,
Der sich aus Aberwitz zum Groß-Vezier gemacht,
Sich selbst indessen doch den Tartar-Cham geheißen:
So pflegt sich auch bey uns dieß Dichter-Chor zu beißen.
Der
Des II Theils VI Capitel
Doch hoͤrt der Poͤbel noch das kahle Lobeſan,
Des ungehirnten Chors mit groſſem Eifer an;
Bewundert was er hoͤrt und laͤßt wohl taͤglich fragen:
Ob Bav und Maͤv kein Lied dem Drucker hingetragen?
Das macht die Saͤngerzunft mit ihren Reimen ſtoltz.
Jhr kuͤhner Arm will ſich aus grobem Erlen-Holtz,
Ein feſtes Stuffenwerck auf Pindus Spitzen bauen.
Das bloͤde Muſen-Volck empfindet Furcht und Grauen,
Und glaͤubet, daß Silen den Berg zu ſtuͤrmen draͤut;
Weil alles was man hoͤrt gleich ſeinem Thiere ſchreyt.
Apollo kan indeß das Lachen kaum verhalten,
Und wird ſein hohes Amt zur Luſt alſo verwalten
Daß, wenn dieß kuͤhne Heer vor groſſer Thorheit ſchwaͤrmt,
Und truncknen Bauren gleich vor ſeinem Tempel lermt,
Mercur, vor einen Krantz von friſchen Lorber-Zweigen,
Nur Haſenpappeln ſoll um ihre Scheiteln beugen.
Und ſolches nach Verdienſt. Denn wer nimmt nicht in acht,
Was vor Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht?
Man will dem Scheine nach gebundne Reden ſchreiben,
Und laͤßt die Zeilen doch ſo durch einander treiben,
Daß nirgends Reim und Reim an ſeinem Ort erſcheint.
Ein Leſer irret ſehr, der da zu finden meynt,
Was ihm die lange Zeit vermoͤgend iſt zu kuͤrtzen:
Ein ſolches Blatt wird ihn in Scheu und Eckel ſtuͤrtzen.
Geht auf den Troͤdelmarckt, da hat man Briefe feil;
Selbſt Nahme, Jahr und Tag hat an den Verßen Theil.
O unerhoͤrte Kunſt! wo haſt du deines gleichen?
Es muß Athen und Rom vor deinem Meiſter weichen,
Die auch nach ihrer Art ſo manchen Brief gemacht,
Doch ſolche Kuͤnſte nicht ins Sylbenmaaß gebracht.
Wie mancher laͤßt uns noch ein abgeſchmackter Weſen,
Jn neuen Zeitungen vom Venus-Sterne leſen?
Was heckt Frau Fama nicht vor ſaubre Jungen aus?
Kurtz, dieſer Helicon iſt wie ein Narrenhaus,
Wo Aberwitzige mit offnen Augen traͤumen,
Und wie Beſeßne thun, in ihrem Anfall ſchaͤumen.
Jch ſage nicht zu viel. Der halbverruͤckte Sinn
Kleckt alles, was ihm traͤumt, auf ſeine Blaͤtter hin.
Da ſieht man Geilheit, Spott, Verlaͤumden, Laͤſtern, Schmaͤhen,
Und tauſend Poſſen mehr in allen Zeilen ſtehen.
Ja wie wohl ſonſt ein Thor den andern ausgelacht,
Der ſich aus Aberwitz zum Groß-Vezier gemacht,
Sich ſelbſt indeſſen doch den Tartar-Cham geheißen:
So pflegt ſich auch bey uns dieß Dichter-Chor zu beißen.
Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0496" n="468"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">VI</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
              <lg n="46">
                <l>Doch ho&#x0364;rt der Po&#x0364;bel noch das kahle Lobe&#x017F;an,</l><lb/>
                <l>Des ungehirnten Chors mit gro&#x017F;&#x017F;em Eifer an;</l><lb/>
                <l>Bewundert was er ho&#x0364;rt und la&#x0364;ßt wohl ta&#x0364;glich fragen:</l><lb/>
                <l>Ob Bav und Ma&#x0364;v kein Lied dem Drucker hingetragen?</l><lb/>
                <l>Das macht die Sa&#x0364;ngerzunft mit ihren Reimen &#x017F;toltz.</l><lb/>
                <l>Jhr ku&#x0364;hner Arm will &#x017F;ich aus grobem Erlen-Holtz,</l><lb/>
                <l>Ein fe&#x017F;tes Stuffenwerck auf Pindus Spitzen bauen.</l><lb/>
                <l>Das blo&#x0364;de Mu&#x017F;en-Volck empfindet Furcht und Grauen,</l><lb/>
                <l>Und gla&#x0364;ubet, daß Silen den Berg zu &#x017F;tu&#x0364;rmen dra&#x0364;ut;</l><lb/>
                <l>Weil alles was man ho&#x0364;rt gleich &#x017F;einem Thiere &#x017F;chreyt.</l><lb/>
                <l>Apollo kan indeß das Lachen kaum verhalten,</l><lb/>
                <l>Und wird &#x017F;ein hohes Amt zur Lu&#x017F;t al&#x017F;o verwalten</l><lb/>
                <l>Daß, wenn dieß ku&#x0364;hne Heer vor gro&#x017F;&#x017F;er Thorheit &#x017F;chwa&#x0364;rmt,</l><lb/>
                <l>Und truncknen Bauren gleich vor &#x017F;einem Tempel lermt,</l><lb/>
                <l>Mercur, vor einen Krantz von fri&#x017F;chen Lorber-Zweigen,</l><lb/>
                <l>Nur Ha&#x017F;enpappeln &#x017F;oll um ihre Scheiteln beugen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="47">
                <l>Und &#x017F;olches nach Verdien&#x017F;t. Denn wer nimmt nicht in acht,</l><lb/>
                <l>Was vor Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht?</l><lb/>
                <l>Man will dem Scheine nach gebundne Reden &#x017F;chreiben,</l><lb/>
                <l>Und la&#x0364;ßt die Zeilen doch &#x017F;o durch einander treiben,</l><lb/>
                <l>Daß nirgends Reim und Reim an &#x017F;einem Ort er&#x017F;cheint.</l><lb/>
                <l>Ein Le&#x017F;er irret &#x017F;ehr, der da zu finden meynt,</l><lb/>
                <l>Was ihm die lange Zeit vermo&#x0364;gend i&#x017F;t zu ku&#x0364;rtzen:</l><lb/>
                <l>Ein &#x017F;olches Blatt wird ihn in Scheu und Eckel &#x017F;tu&#x0364;rtzen.</l><lb/>
                <l>Geht auf den Tro&#x0364;delmarckt, da hat man Briefe feil;</l><lb/>
                <l>Selb&#x017F;t Nahme, Jahr und Tag hat an den Verßen Theil.</l><lb/>
                <l>O unerho&#x0364;rte Kun&#x017F;t! wo ha&#x017F;t du deines gleichen?</l><lb/>
                <l>Es muß Athen und Rom vor deinem Mei&#x017F;ter weichen,</l><lb/>
                <l>Die auch nach ihrer Art &#x017F;o manchen Brief gemacht,</l><lb/>
                <l>Doch &#x017F;olche Ku&#x0364;n&#x017F;te nicht ins Sylbenmaaß gebracht.</l><lb/>
                <l>Wie mancher la&#x0364;ßt uns noch ein abge&#x017F;chmackter We&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Jn neuen Zeitungen vom Venus-Sterne le&#x017F;en?</l><lb/>
                <l>Was heckt Frau Fama nicht vor &#x017F;aubre Jungen aus?</l><lb/>
                <l>Kurtz, die&#x017F;er Helicon i&#x017F;t wie ein Narrenhaus,</l><lb/>
                <l>Wo Aberwitzige mit offnen Augen tra&#x0364;umen,</l><lb/>
                <l>Und wie Be&#x017F;eßne thun, in ihrem Anfall &#x017F;cha&#x0364;umen.</l><lb/>
                <l>Jch &#x017F;age nicht zu viel. Der halbverru&#x0364;ckte Sinn</l><lb/>
                <l>Kleckt alles, was ihm tra&#x0364;umt, auf &#x017F;eine Bla&#x0364;tter hin.</l><lb/>
                <l>Da &#x017F;ieht man Geilheit, Spott, Verla&#x0364;umden, La&#x0364;&#x017F;tern, Schma&#x0364;hen,</l><lb/>
                <l>Und tau&#x017F;end Po&#x017F;&#x017F;en mehr in allen Zeilen &#x017F;tehen.</l><lb/>
                <l>Ja wie wohl &#x017F;on&#x017F;t ein Thor den andern ausgelacht,</l><lb/>
                <l>Der &#x017F;ich aus Aberwitz zum Groß-Vezier gemacht,</l><lb/>
                <l>Sich &#x017F;elb&#x017F;t inde&#x017F;&#x017F;en doch den Tartar-Cham geheißen:</l><lb/>
                <l>So pflegt &#x017F;ich auch bey uns dieß Dichter-Chor zu beißen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0496] Des II Theils VI Capitel Doch hoͤrt der Poͤbel noch das kahle Lobeſan, Des ungehirnten Chors mit groſſem Eifer an; Bewundert was er hoͤrt und laͤßt wohl taͤglich fragen: Ob Bav und Maͤv kein Lied dem Drucker hingetragen? Das macht die Saͤngerzunft mit ihren Reimen ſtoltz. Jhr kuͤhner Arm will ſich aus grobem Erlen-Holtz, Ein feſtes Stuffenwerck auf Pindus Spitzen bauen. Das bloͤde Muſen-Volck empfindet Furcht und Grauen, Und glaͤubet, daß Silen den Berg zu ſtuͤrmen draͤut; Weil alles was man hoͤrt gleich ſeinem Thiere ſchreyt. Apollo kan indeß das Lachen kaum verhalten, Und wird ſein hohes Amt zur Luſt alſo verwalten Daß, wenn dieß kuͤhne Heer vor groſſer Thorheit ſchwaͤrmt, Und truncknen Bauren gleich vor ſeinem Tempel lermt, Mercur, vor einen Krantz von friſchen Lorber-Zweigen, Nur Haſenpappeln ſoll um ihre Scheiteln beugen. Und ſolches nach Verdienſt. Denn wer nimmt nicht in acht, Was vor Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht? Man will dem Scheine nach gebundne Reden ſchreiben, Und laͤßt die Zeilen doch ſo durch einander treiben, Daß nirgends Reim und Reim an ſeinem Ort erſcheint. Ein Leſer irret ſehr, der da zu finden meynt, Was ihm die lange Zeit vermoͤgend iſt zu kuͤrtzen: Ein ſolches Blatt wird ihn in Scheu und Eckel ſtuͤrtzen. Geht auf den Troͤdelmarckt, da hat man Briefe feil; Selbſt Nahme, Jahr und Tag hat an den Verßen Theil. O unerhoͤrte Kunſt! wo haſt du deines gleichen? Es muß Athen und Rom vor deinem Meiſter weichen, Die auch nach ihrer Art ſo manchen Brief gemacht, Doch ſolche Kuͤnſte nicht ins Sylbenmaaß gebracht. Wie mancher laͤßt uns noch ein abgeſchmackter Weſen, Jn neuen Zeitungen vom Venus-Sterne leſen? Was heckt Frau Fama nicht vor ſaubre Jungen aus? Kurtz, dieſer Helicon iſt wie ein Narrenhaus, Wo Aberwitzige mit offnen Augen traͤumen, Und wie Beſeßne thun, in ihrem Anfall ſchaͤumen. Jch ſage nicht zu viel. Der halbverruͤckte Sinn Kleckt alles, was ihm traͤumt, auf ſeine Blaͤtter hin. Da ſieht man Geilheit, Spott, Verlaͤumden, Laͤſtern, Schmaͤhen, Und tauſend Poſſen mehr in allen Zeilen ſtehen. Ja wie wohl ſonſt ein Thor den andern ausgelacht, Der ſich aus Aberwitz zum Groß-Vezier gemacht, Sich ſelbſt indeſſen doch den Tartar-Cham geheißen: So pflegt ſich auch bey uns dieß Dichter-Chor zu beißen. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/496
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/496>, abgerufen am 26.11.2024.