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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Satiren.

Virgil und Varus sang; Doch beyde fast allein.
Ja nahm man irgend wen in diesen Orden ein,
So muste doch sein Thon gleich Flaccus Oden klingen,
Und wie Ovidius mit reiner Stimme singen.
Doch ietzo, wie man sieht, verkehret sich die Welt.
Die deutsche Dichter-Zunft ist trefflich wohl bestellt!
Die Mücken wären fast in warmen Sommer-Tagen,
Viel leichter, als der Schwarm der Sänger zu verjagen,
Der um die Pleiße, Saal, und Elb und Oder summt,
Man gebe doch nur acht wie alles heult und brummt;
Wie manche Leyer kreischt, wie manche Feder schreibet,
Daß fast kein Blatt Pappier zu andern Sachen bleibet.

So klagt Germanien sich selber seine Noth.
Und freylich hat sie recht. Denn Opitz ist ja todt.
Ein Flemming und ein Dach und Tscherning ist verschwunden;
Von Canitz liegt vorlängst, wie Amthors Geist gebunden;
Auch Günther ist dahin; Kein edler Besser lebt,
Und Neukirch selber stirbt, den Phöbus noch begräbt.
Die alle dorften sich um keine Kräntze reissen,
Die Musen liessen gern sich ihre Schwestern heissen.
Drum sieht sie Deutschland auch als grosse Dichter an,
Man kennet ihren Geist, man weiß was sie gethan.
Die späte Nachwelt wird die edlen Lieder preisen.
Doch seht, da wir die Welt auf diese Meister weisen,
Erhebet sich ein Schwarm, der um ein Frühstück reimt,
Der lauter Rastrum säuft und von den Hefen schäumt;
Und will sich mit Gewalt, durch sein erbärmlich Singen,
Auf den geweyhten Sitz des Musen-Fürsten dringen.
Der ehrliche Hans Sachs lacht selbst in seiner Grufft,
Wenn solch ein rauher Schall bis in die dunckle Klufft
Der Unterwelt erthönt. Er rufft: Jhr eckeln Zeiten,
Was hat doch das Geschrey der Stümper zu bedeuten,
Davon der beste kaum mein Schüler heissen mag?
Jch dencke tausendmahl an den vergnügten Tag,
Da meine Leyer mich zum Haupte der Poeten
Am Pegnitzstrom gemacht. Da wurden keine Flöten
Geduldig angehört, wo nicht der reine Klang,
Fein zärtlich in das Ohr und in die Hertzen drang.
Wie kan denn ietzt die Welt das tolle Volck ertragen?
Jetzt, da man lieblicher die Seyten weiß zu schlagen,
Da meine Dichtkunst selbst in blöder Röthe steht.
Und vor gerechter Scham allmählich untergeht.
Jch selber würde ja, die Sudler auszulachen,
Ein spöttisch Strafgedicht in Knittel-Versen machen.
Doch
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Von Satiren.

Virgil und Varus ſang; Doch beyde faſt allein.
Ja nahm man irgend wen in dieſen Orden ein,
So muſte doch ſein Thon gleich Flaccus Oden klingen,
Und wie Ovidius mit reiner Stimme ſingen.
Doch ietzo, wie man ſieht, verkehret ſich die Welt.
Die deutſche Dichter-Zunft iſt trefflich wohl beſtellt!
Die Muͤcken waͤren faſt in warmen Sommer-Tagen,
Viel leichter, als der Schwarm der Saͤnger zu verjagen,
Der um die Pleiße, Saal, und Elb und Oder ſummt,
Man gebe doch nur acht wie alles heult und brummt;
Wie manche Leyer kreiſcht, wie manche Feder ſchreibet,
Daß faſt kein Blatt Pappier zu andern Sachen bleibet.

So klagt Germanien ſich ſelber ſeine Noth.
Und freylich hat ſie recht. Denn Opitz iſt ja todt.
Ein Flemming und ein Dach und Tſcherning iſt verſchwunden;
Von Canitz liegt vorlaͤngſt, wie Amthors Geiſt gebunden;
Auch Guͤnther iſt dahin; Kein edler Beſſer lebt,
Und Neukirch ſelber ſtirbt, den Phoͤbus noch begraͤbt.
Die alle dorften ſich um keine Kraͤntze reiſſen,
Die Muſen lieſſen gern ſich ihre Schweſtern heiſſen.
Drum ſieht ſie Deutſchland auch als groſſe Dichter an,
Man kennet ihren Geiſt, man weiß was ſie gethan.
Die ſpaͤte Nachwelt wird die edlen Lieder preiſen.
Doch ſeht, da wir die Welt auf dieſe Meiſter weiſen,
Erhebet ſich ein Schwarm, der um ein Fruͤhſtuͤck reimt,
Der lauter Raſtrum ſaͤuft und von den Hefen ſchaͤumt;
Und will ſich mit Gewalt, durch ſein erbaͤrmlich Singen,
Auf den geweyhten Sitz des Muſen-Fuͤrſten dringen.
Der ehrliche Hans Sachs lacht ſelbſt in ſeiner Grufft,
Wenn ſolch ein rauher Schall bis in die dunckle Klufft
Der Unterwelt erthoͤnt. Er rufft: Jhr eckeln Zeiten,
Was hat doch das Geſchrey der Stuͤmper zu bedeuten,
Davon der beſte kaum mein Schuͤler heiſſen mag?
Jch dencke tauſendmahl an den vergnuͤgten Tag,
Da meine Leyer mich zum Haupte der Poeten
Am Pegnitzſtrom gemacht. Da wurden keine Floͤten
Geduldig angehoͤrt, wo nicht der reine Klang,
Fein zaͤrtlich in das Ohr und in die Hertzen drang.
Wie kan denn ietzt die Welt das tolle Volck ertragen?
Jetzt, da man lieblicher die Seyten weiß zu ſchlagen,
Da meine Dichtkunſt ſelbſt in bloͤder Roͤthe ſteht.
Und vor gerechter Scham allmaͤhlich untergeht.
Jch ſelber wuͤrde ja, die Sudler auszulachen,
Ein ſpoͤttiſch Strafgedicht in Knittel-Verſen machen.
Doch
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[467/0495] Von Satiren. Virgil und Varus ſang; Doch beyde faſt allein. Ja nahm man irgend wen in dieſen Orden ein, So muſte doch ſein Thon gleich Flaccus Oden klingen, Und wie Ovidius mit reiner Stimme ſingen. Doch ietzo, wie man ſieht, verkehret ſich die Welt. Die deutſche Dichter-Zunft iſt trefflich wohl beſtellt! Die Muͤcken waͤren faſt in warmen Sommer-Tagen, Viel leichter, als der Schwarm der Saͤnger zu verjagen, Der um die Pleiße, Saal, und Elb und Oder ſummt, Man gebe doch nur acht wie alles heult und brummt; Wie manche Leyer kreiſcht, wie manche Feder ſchreibet, Daß faſt kein Blatt Pappier zu andern Sachen bleibet. So klagt Germanien ſich ſelber ſeine Noth. Und freylich hat ſie recht. Denn Opitz iſt ja todt. Ein Flemming und ein Dach und Tſcherning iſt verſchwunden; Von Canitz liegt vorlaͤngſt, wie Amthors Geiſt gebunden; Auch Guͤnther iſt dahin; Kein edler Beſſer lebt, Und Neukirch ſelber ſtirbt, den Phoͤbus noch begraͤbt. Die alle dorften ſich um keine Kraͤntze reiſſen, Die Muſen lieſſen gern ſich ihre Schweſtern heiſſen. Drum ſieht ſie Deutſchland auch als groſſe Dichter an, Man kennet ihren Geiſt, man weiß was ſie gethan. Die ſpaͤte Nachwelt wird die edlen Lieder preiſen. Doch ſeht, da wir die Welt auf dieſe Meiſter weiſen, Erhebet ſich ein Schwarm, der um ein Fruͤhſtuͤck reimt, Der lauter Raſtrum ſaͤuft und von den Hefen ſchaͤumt; Und will ſich mit Gewalt, durch ſein erbaͤrmlich Singen, Auf den geweyhten Sitz des Muſen-Fuͤrſten dringen. Der ehrliche Hans Sachs lacht ſelbſt in ſeiner Grufft, Wenn ſolch ein rauher Schall bis in die dunckle Klufft Der Unterwelt erthoͤnt. Er rufft: Jhr eckeln Zeiten, Was hat doch das Geſchrey der Stuͤmper zu bedeuten, Davon der beſte kaum mein Schuͤler heiſſen mag? Jch dencke tauſendmahl an den vergnuͤgten Tag, Da meine Leyer mich zum Haupte der Poeten Am Pegnitzſtrom gemacht. Da wurden keine Floͤten Geduldig angehoͤrt, wo nicht der reine Klang, Fein zaͤrtlich in das Ohr und in die Hertzen drang. Wie kan denn ietzt die Welt das tolle Volck ertragen? Jetzt, da man lieblicher die Seyten weiß zu ſchlagen, Da meine Dichtkunſt ſelbſt in bloͤder Roͤthe ſteht. Und vor gerechter Scham allmaͤhlich untergeht. Jch ſelber wuͤrde ja, die Sudler auszulachen, Ein ſpoͤttiſch Strafgedicht in Knittel-Verſen machen. Doch G g 2

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/495>, abgerufen am 24.11.2024.