Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Elegien.
Sie in Gedancken. Sollte da nicht Emma geglaubt ha-
ben, daß diese ausgekünstelte Gegensätze und Gedancken-
spiele aus einem recht verliebten Herzen herkämen? Allein
Sie war eben so künstlich im Dencken und Schreiben,
nicht anders, als ob sie Hofmannswaldaus Schülerin in
der Poesie gewesen. Sie will ihm zeigen, wie böse sie von
rechtswegen seyn könnte und sollte, und was vor einen har-
ten Verweiß sie ihm würde gegeben haben. Und wie
schmählt sie denn? Sie sagt: wer Purpur fleckicht macht,
falle dem Tode anheim; vor solche Wespen als Eginhard,
sey ihr Honigseim nicht. Käyserkronen wären nicht vor
seinen Garten: Er solle des Käysers Briefe, nicht aber sein
Kind betühren. Es müsse was höhers seyn, so hier das
Siegel brechen solle. Das Wachs schmeltze an der Son-
ne; des Königs Farbe könne nicht mit Ruß gemischt wer-
den. Eginhard habe mehr Dinte als Blut vor den Käy-
ser vergossen u. s. w. Wer hat nun iemahls einen so me-
taphorischen Zorn in der Natur gesehen? Wer hat eine
keusche Prinzessin, die Emma hier vorstellen will, solche
Zweydeutigkeiten reden hören, als hier der Vers vom Sie-
gelbrechen ist? Doch es ist eine Hofmannswaldauische Em-
ma, die das redet, und die sich hernach ohn alle Scham-
hafftigkeit, so verliebt gegen ihren Buhler erkläret, als man
nimmer mehr gedacht haben sollte. Jm Schlusse wünscht
sie noch, der Himmel solle in ihre Flammen blasen, und des-
sen Gunst ihnen Zibeth und Bisam zu wehen. Zuletzt aber
will sie ihm gleichsalls zeigen, daß sie auch mit einer spitzfündi-
gen Antithesis ihr Schreiben endigen könne, indem sie
setzt:

Mein Brieflein schließ ich zu, und meine Kammer auf.

Jch überlasse es einem jeden, die übrigen Helden-Briefe
nach dieser Art auch durchzugehen, die noch weit mehr sol-
che verschwendte Scharfsinnigkeiten an unrechten Stellen
angebracht zeigen werden. Sonderlich lese man das
Schreiben Abälards und Heloisen, und erwege, was sel-
biges vor unzüchtige Wortspiele und Zweydeutigkeiten in
sich enthält, die sich ein erbares Gemüthe zu lesen schämet:

so

Von Elegien.
Sie in Gedancken. Sollte da nicht Emma geglaubt ha-
ben, daß dieſe ausgekuͤnſtelte Gegenſaͤtze und Gedancken-
ſpiele aus einem recht verliebten Herzen herkaͤmen? Allein
Sie war eben ſo kuͤnſtlich im Dencken und Schreiben,
nicht anders, als ob ſie Hofmannswaldaus Schuͤlerin in
der Poeſie geweſen. Sie will ihm zeigen, wie boͤſe ſie von
rechtswegen ſeyn koͤnnte und ſollte, und was vor einen har-
ten Verweiß ſie ihm wuͤrde gegeben haben. Und wie
ſchmaͤhlt ſie denn? Sie ſagt: wer Purpur fleckicht macht,
falle dem Tode anheim; vor ſolche Weſpen als Eginhard,
ſey ihr Honigſeim nicht. Kaͤyſerkronen waͤren nicht vor
ſeinen Garten: Er ſolle des Kaͤyſers Briefe, nicht aber ſein
Kind betuͤhren. Es muͤſſe was hoͤhers ſeyn, ſo hier das
Siegel brechen ſolle. Das Wachs ſchmeltze an der Son-
ne; des Koͤnigs Farbe koͤnne nicht mit Ruß gemiſcht wer-
den. Eginhard habe mehr Dinte als Blut vor den Kaͤy-
ſer vergoſſen u. ſ. w. Wer hat nun iemahls einen ſo me-
taphoriſchen Zorn in der Natur geſehen? Wer hat eine
keuſche Prinzeſſin, die Emma hier vorſtellen will, ſolche
Zweydeutigkeiten reden hoͤren, als hier der Vers vom Sie-
gelbrechen iſt? Doch es iſt eine Hofmannswaldauiſche Em-
ma, die das redet, und die ſich hernach ohn alle Scham-
hafftigkeit, ſo verliebt gegen ihren Buhler erklaͤret, als man
nimmer mehr gedacht haben ſollte. Jm Schluſſe wuͤnſcht
ſie noch, der Himmel ſolle in ihre Flammen blaſen, und deſ-
ſen Gunſt ihnen Zibeth und Biſam zu wehen. Zuletzt aber
will ſie ihm gleichſalls zeigen, daß ſie auch mit einer ſpitzfuͤndi-
gen Antitheſis ihr Schreiben endigen koͤnne, indem ſie
ſetzt:

Mein Brieflein ſchließ ich zu, und meine Kammer auf.

Jch uͤberlaſſe es einem jeden, die uͤbrigen Helden-Briefe
nach dieſer Art auch durchzugehen, die noch weit mehr ſol-
che verſchwendte Scharfſinnigkeiten an unrechten Stellen
angebracht zeigen werden. Sonderlich leſe man das
Schreiben Abaͤlards und Heloiſen, und erwege, was ſel-
biges vor unzuͤchtige Wortſpiele und Zweydeutigkeiten in
ſich enthaͤlt, die ſich ein erbares Gemuͤthe zu leſen ſchaͤmet:

ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0443" n="415"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Elegien.</hi></fw><lb/>
Sie in Gedancken. Sollte da nicht Emma geglaubt ha-<lb/>
ben, daß die&#x017F;e ausgeku&#x0364;n&#x017F;telte Gegen&#x017F;a&#x0364;tze und Gedancken-<lb/>
&#x017F;piele aus einem recht verliebten Herzen herka&#x0364;men? Allein<lb/>
Sie war eben &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;tlich im Dencken und Schreiben,<lb/>
nicht anders, als ob &#x017F;ie Hofmannswaldaus Schu&#x0364;lerin in<lb/>
der Poe&#x017F;ie gewe&#x017F;en. Sie will ihm zeigen, wie bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;ie von<lb/>
rechtswegen &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte und &#x017F;ollte, und was vor einen har-<lb/>
ten Verweiß &#x017F;ie ihm wu&#x0364;rde gegeben haben. Und wie<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;hlt &#x017F;ie denn? Sie &#x017F;agt: wer Purpur fleckicht macht,<lb/>
falle dem Tode anheim; vor &#x017F;olche We&#x017F;pen als Eginhard,<lb/>
&#x017F;ey ihr Honig&#x017F;eim nicht. Ka&#x0364;y&#x017F;erkronen wa&#x0364;ren nicht vor<lb/>
&#x017F;einen Garten: Er &#x017F;olle des Ka&#x0364;y&#x017F;ers Briefe, nicht aber &#x017F;ein<lb/>
Kind betu&#x0364;hren. Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e was ho&#x0364;hers &#x017F;eyn, &#x017F;o hier das<lb/>
Siegel brechen &#x017F;olle. Das Wachs &#x017F;chmeltze an der Son-<lb/>
ne; des Ko&#x0364;nigs Farbe ko&#x0364;nne nicht mit Ruß gemi&#x017F;cht wer-<lb/>
den. Eginhard habe mehr Dinte als Blut vor den Ka&#x0364;y-<lb/>
&#x017F;er vergo&#x017F;&#x017F;en u. &#x017F;. w. Wer hat nun iemahls einen &#x017F;o me-<lb/>
taphori&#x017F;chen Zorn in der Natur ge&#x017F;ehen? Wer hat eine<lb/>
keu&#x017F;che Prinze&#x017F;&#x017F;in, die Emma hier vor&#x017F;tellen will, &#x017F;olche<lb/>
Zweydeutigkeiten reden ho&#x0364;ren, als hier der Vers vom Sie-<lb/>
gelbrechen i&#x017F;t? Doch es i&#x017F;t eine Hofmannswaldaui&#x017F;che Em-<lb/>
ma, die das redet, und die &#x017F;ich hernach ohn alle Scham-<lb/>
hafftigkeit, &#x017F;o verliebt gegen ihren Buhler erkla&#x0364;ret, als man<lb/>
nimmer mehr gedacht haben &#x017F;ollte. Jm Schlu&#x017F;&#x017F;e wu&#x0364;n&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ie noch, der Himmel &#x017F;olle in ihre Flammen bla&#x017F;en, und de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Gun&#x017F;t ihnen Zibeth und Bi&#x017F;am zu wehen. Zuletzt aber<lb/>
will &#x017F;ie ihm gleich&#x017F;alls zeigen, daß &#x017F;ie auch mit einer &#x017F;pitzfu&#x0364;ndi-<lb/>
gen Antithe&#x017F;is ihr Schreiben endigen ko&#x0364;nne, indem &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;etzt:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Mein Brieflein &#x017F;chließ ich zu, und meine Kammer auf.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Jch u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e es einem jeden, die u&#x0364;brigen Helden-Briefe<lb/>
nach die&#x017F;er Art auch durchzugehen, die noch weit mehr &#x017F;ol-<lb/>
che ver&#x017F;chwendte Scharf&#x017F;innigkeiten an unrechten Stellen<lb/>
angebracht zeigen werden. Sonderlich le&#x017F;e man das<lb/>
Schreiben Aba&#x0364;lards und Heloi&#x017F;en, und erwege, was &#x017F;el-<lb/>
biges vor unzu&#x0364;chtige Wort&#x017F;piele und Zweydeutigkeiten in<lb/>
&#x017F;ich entha&#x0364;lt, die &#x017F;ich ein erbares Gemu&#x0364;the zu le&#x017F;en &#x017F;cha&#x0364;met:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0443] Von Elegien. Sie in Gedancken. Sollte da nicht Emma geglaubt ha- ben, daß dieſe ausgekuͤnſtelte Gegenſaͤtze und Gedancken- ſpiele aus einem recht verliebten Herzen herkaͤmen? Allein Sie war eben ſo kuͤnſtlich im Dencken und Schreiben, nicht anders, als ob ſie Hofmannswaldaus Schuͤlerin in der Poeſie geweſen. Sie will ihm zeigen, wie boͤſe ſie von rechtswegen ſeyn koͤnnte und ſollte, und was vor einen har- ten Verweiß ſie ihm wuͤrde gegeben haben. Und wie ſchmaͤhlt ſie denn? Sie ſagt: wer Purpur fleckicht macht, falle dem Tode anheim; vor ſolche Weſpen als Eginhard, ſey ihr Honigſeim nicht. Kaͤyſerkronen waͤren nicht vor ſeinen Garten: Er ſolle des Kaͤyſers Briefe, nicht aber ſein Kind betuͤhren. Es muͤſſe was hoͤhers ſeyn, ſo hier das Siegel brechen ſolle. Das Wachs ſchmeltze an der Son- ne; des Koͤnigs Farbe koͤnne nicht mit Ruß gemiſcht wer- den. Eginhard habe mehr Dinte als Blut vor den Kaͤy- ſer vergoſſen u. ſ. w. Wer hat nun iemahls einen ſo me- taphoriſchen Zorn in der Natur geſehen? Wer hat eine keuſche Prinzeſſin, die Emma hier vorſtellen will, ſolche Zweydeutigkeiten reden hoͤren, als hier der Vers vom Sie- gelbrechen iſt? Doch es iſt eine Hofmannswaldauiſche Em- ma, die das redet, und die ſich hernach ohn alle Scham- hafftigkeit, ſo verliebt gegen ihren Buhler erklaͤret, als man nimmer mehr gedacht haben ſollte. Jm Schluſſe wuͤnſcht ſie noch, der Himmel ſolle in ihre Flammen blaſen, und deſ- ſen Gunſt ihnen Zibeth und Biſam zu wehen. Zuletzt aber will ſie ihm gleichſalls zeigen, daß ſie auch mit einer ſpitzfuͤndi- gen Antitheſis ihr Schreiben endigen koͤnne, indem ſie ſetzt: Mein Brieflein ſchließ ich zu, und meine Kammer auf. Jch uͤberlaſſe es einem jeden, die uͤbrigen Helden-Briefe nach dieſer Art auch durchzugehen, die noch weit mehr ſol- che verſchwendte Scharfſinnigkeiten an unrechten Stellen angebracht zeigen werden. Sonderlich leſe man das Schreiben Abaͤlards und Heloiſen, und erwege, was ſel- biges vor unzuͤchtige Wortſpiele und Zweydeutigkeiten in ſich enthaͤlt, die ſich ein erbares Gemuͤthe zu leſen ſchaͤmet: ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/443
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/443>, abgerufen am 07.05.2024.