Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von Elegien. in diese Art von Verßen Deutsch übersetzen müsse, wenner uns die XVIIIte aus dem ersten Buche Propertii, an Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateinisch so an: Haec certe deserta loca, & taciturna querenti, Und er hat sie so Deutsch gegeben: Auf dieser wüsten Stätt', in dieser stillen Heyde, Diesem Vorgänger sind seine ersten und besten Schüler Zwar es verstattet mir das Caspische Gestade, Daß ich um seinen Strand mag ungehindert gehn, Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem schönen Bade, Auf Urlaub des Hyrcans, manch Asische Siren. Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircassinnen, Dieweil ich ihnen fremd und nicht so heßlich bin; Und ob einander wir schon nicht verstehen können, So kan ihr Auge doch mich günstig nach sich ziehn. Was aber soll ich so und auf der Flucht nur lieben? Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnügt; Was den zu loben scheint, das macht ihm nur Betrüben, Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt. Ja stürbe mirs denn ab, so hoff ichs zu erleben, Daß wenn ich diesen Lauf zu Ende hab gebracht, Jch dir den ersten Kuß, o Landsmannin! will gehen; Was ferner kan geschehn, das laß ich ungedacht. Auf eben die Art hat er auch das Klagschreiben im Nah- in
Von Elegien. in dieſe Art von Verßen Deutſch uͤberſetzen muͤſſe, wenner uns die XVIIIte aus dem erſten Buche Propertii, an Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateiniſch ſo an: Haec certe deſerta loca, & taciturna querenti, Und er hat ſie ſo Deutſch gegeben: Auf dieſer wuͤſten Staͤtt’, in dieſer ſtillen Heyde, Dieſem Vorgaͤnger ſind ſeine erſten und beſten Schuͤler Zwar es verſtattet mir das Caſpiſche Geſtade, Daß ich um ſeinen Strand mag ungehindert gehn, Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem ſchoͤnen Bade, Auf Urlaub des Hyrcans, manch Aſiſche Siren. Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircaſſinnen, Dieweil ich ihnen fremd und nicht ſo heßlich bin; Und ob einander wir ſchon nicht verſtehen koͤnnen, So kan ihr Auge doch mich guͤnſtig nach ſich ziehn. Was aber ſoll ich ſo und auf der Flucht nur lieben? Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnuͤgt; Was den zu loben ſcheint, das macht ihm nur Betruͤben, Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt. Ja ſtuͤrbe mirs denn ab, ſo hoff ichs zu erleben, Daß wenn ich dieſen Lauf zu Ende hab gebracht, Jch dir den erſten Kuß, o Landsmannin! will gehen; Was ferner kan geſchehn, das laß ich ungedacht. Auf eben die Art hat er auch das Klagſchreiben im Nah- in
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Von Elegien.
in dieſe Art von Verßen Deutſch uͤberſetzen muͤſſe, wenn
er uns die XVIIIte aus dem erſten Buche Propertii, an
Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateiniſch ſo an:
Haec certe deſerta loca, & taciturna querenti,
Et vacuum Zephyri poſſidet aura nemus.
Hic licet occultos proferre impune dolores,
Si modo ſola queant ſaxa tenere fidem. &c.
Und er hat ſie ſo Deutſch gegeben:
Auf dieſer wuͤſten Staͤtt’, in dieſer ſtillen Heyde,
Da niemand innen wohnt, als nur der Weſtenwind;
Da kan ich ungeſcheut genug thun meinem Leide,
Wo auch die Steine nur ſtill und verſchwiegen ſind.
Dieſem Vorgaͤnger ſind ſeine erſten und beſten Schuͤler
getreulich gefolget. So hat z. E. Flemming p. 99. des II
B. ſ. Poet. Waͤlder eine Elegie an ſein Vaterland geſchrie-
ben, und theils den innern Character, theils die aͤuſſere Ge-
ſtalt derſelben ſehr wohl beobachtet. Jch will nur etwas
aus dem Schluſſe zur Probe anfuͤhren, daraus man ſich
ein Muſter ſeines zaͤrtlichen aber ſchamhafften Ausdruckes
in Liebes-Sachen nehmen kan:
Zwar es verſtattet mir das Caſpiſche Geſtade,
Daß ich um ſeinen Strand mag ungehindert gehn,
Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem ſchoͤnen Bade,
Auf Urlaub des Hyrcans, manch Aſiſche Siren.
Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircaſſinnen,
Dieweil ich ihnen fremd und nicht ſo heßlich bin;
Und ob einander wir ſchon nicht verſtehen koͤnnen,
So kan ihr Auge doch mich guͤnſtig nach ſich ziehn.
Was aber ſoll ich ſo und auf der Flucht nur lieben?
Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnuͤgt;
Was den zu loben ſcheint, das macht ihm nur Betruͤben,
Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt.
Ja ſtuͤrbe mirs denn ab, ſo hoff ichs zu erleben,
Daß wenn ich dieſen Lauf zu Ende hab gebracht,
Jch dir den erſten Kuß, o Landsmannin! will gehen;
Was ferner kan geſchehn, das laß ich ungedacht.
Auf eben die Art hat er auch das Klagſchreiben im Nah-
men Germaniens an ihre Soͤhne, das iſt, die Churfuͤrſten
und Staͤnde von Deutſchland abgefaſſet, welches p. 113.
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