z. E. Tibullus schreibt an den Messalla, im I B. in der I Elegie.
Te bellare decet terra, Messalla, marique, Vt domum hostiles perferas exuvias. Me retinent vinctum formosae vincla puellae, Et sedeo duras janitor ante fores. Non ego laudari cupio, mea Delia tecum, Dum modo sim, quaeso, segnis inersque vocer.
So sehen nun alle lateinische Elegien aus, und ich wundre mich daher, warum Franzosen und Engelländer sich nicht bemühet haben, diesem Muster zu folgen. Diese machen auch zwar Elegien, dem Nahmen und Jnhalte, aber nicht der äusserlichen Gestalt nach. Sie brauchen nehmlich die langen 12- und 13-sylbigten Verße mit ungetrennten Rei- men dazu, welche der Elegie gar nicht ähnlich sehen. Weit besser hat Opitz bey uns gethan, da er uns in seinen Poe- tischen Wäldern Muster gewiesen, in was vor Verßen wir Elegien machen könnten, die den lateinischen, wo nicht gantz gleich, doch einigermaßen ähnlich wären.
Elegie.
Jndem die Sonne sich hat in das Meer begeben, Und das gestirnte Haupt der Nacht herausser bricht; Sind Menschen, Vieh und Wild, wie gleichsam ohne Leben, Der Mond bescheinet uns auch kaum mit halbem Licht. Jch, obschon alles schläft, muß unaufhörlich wachen, Von vielen Tagen her, und wallen ohne Ruh. Jst schon die gantze Welt befreyt von ihren Sachen, So thu ich doch vor Lieb und Angst kein Auge zu. Auch dich, Asterie, hat gantz der Schlaf erfüllet. etc.
Eben dergleichen verliebte Gedichte mehr stehen in diesem IVten B. s. Poet. Wälder kurtz vor dem angeführten, da er zwar den Nahmen der Elegie nicht ausdrücklich darüber geschrieben, aber doch alles, so dazu gehöret, beobachtet hat. Sie fangen an: Die Sonn hat ihre Reis' etc. Die Pein, mit der ich mich etc. Werd ich die Zeit wohl sehn etc. Und damit uns gar kein Zweifel übrig bleiben möchte, hat er uns auch zeigen wollen, daß man die lateinischen Elegien
in
Des II. Theils IV. Capitel.
z. E. Tibullus ſchreibt an den Meſſalla, im I B. in der I Elegie.
Te bellare decet terra, Meſſalla, marique, Vt domum hoſtiles perferas exuvias. Me retinent vinctum formoſæ vincla puellæ, Et ſedeo duras janitor ante fores. Non ego laudari cupio, mea Delia tecum, Dum modo ſim, quæſo, ſegnis inersque vocer.
So ſehen nun alle lateiniſche Elegien aus, und ich wundre mich daher, warum Franzoſen und Engellaͤnder ſich nicht bemuͤhet haben, dieſem Muſter zu folgen. Dieſe machen auch zwar Elegien, dem Nahmen und Jnhalte, aber nicht der aͤuſſerlichen Geſtalt nach. Sie brauchen nehmlich die langen 12- und 13-ſylbigten Verße mit ungetrennten Rei- men dazu, welche der Elegie gar nicht aͤhnlich ſehen. Weit beſſer hat Opitz bey uns gethan, da er uns in ſeinen Poe- tiſchen Waͤldern Muſter gewieſen, in was vor Verßen wir Elegien machen koͤnnten, die den lateiniſchen, wo nicht gantz gleich, doch einigermaßen aͤhnlich waͤren.
Elegie.
Jndem die Sonne ſich hat in das Meer begeben, Und das geſtirnte Haupt der Nacht herauſſer bricht; Sind Menſchen, Vieh und Wild, wie gleichſam ohne Leben, Der Mond beſcheinet uns auch kaum mit halbem Licht. Jch, obſchon alles ſchlaͤft, muß unaufhoͤrlich wachen, Von vielen Tagen her, und wallen ohne Ruh. Jſt ſchon die gantze Welt befreyt von ihren Sachen, So thu ich doch vor Lieb und Angſt kein Auge zu. Auch dich, Aſterie, hat gantz der Schlaf erfuͤllet. ꝛc.
Eben dergleichen verliebte Gedichte mehr ſtehen in dieſem IVten B. ſ. Poet. Waͤlder kurtz vor dem angefuͤhrten, da er zwar den Nahmen der Elegie nicht ausdruͤcklich daruͤber geſchrieben, aber doch alles, ſo dazu gehoͤret, beobachtet hat. Sie fangen an: Die Sonn hat ihre Reiſ’ ꝛc. Die Pein, mit der ich mich ꝛc. Werd ich die Zeit wohl ſehn ꝛc. Und damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben moͤchte, hat er uns auch zeigen wollen, daß man die lateiniſchen Elegien
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Des II. Theils IV. Capitel.
z. E. Tibullus ſchreibt an den Meſſalla, im I B. in der I
Elegie.
Te bellare decet terra, Meſſalla, marique,
Vt domum hoſtiles perferas exuvias.
Me retinent vinctum formoſæ vincla puellæ,
Et ſedeo duras janitor ante fores.
Non ego laudari cupio, mea Delia tecum,
Dum modo ſim, quæſo, ſegnis inersque vocer.
So ſehen nun alle lateiniſche Elegien aus, und ich wundre
mich daher, warum Franzoſen und Engellaͤnder ſich nicht
bemuͤhet haben, dieſem Muſter zu folgen. Dieſe machen
auch zwar Elegien, dem Nahmen und Jnhalte, aber nicht
der aͤuſſerlichen Geſtalt nach. Sie brauchen nehmlich die
langen 12- und 13-ſylbigten Verße mit ungetrennten Rei-
men dazu, welche der Elegie gar nicht aͤhnlich ſehen. Weit
beſſer hat Opitz bey uns gethan, da er uns in ſeinen Poe-
tiſchen Waͤldern Muſter gewieſen, in was vor Verßen wir
Elegien machen koͤnnten, die den lateiniſchen, wo nicht gantz
gleich, doch einigermaßen aͤhnlich waͤren.
Elegie.
Jndem die Sonne ſich hat in das Meer begeben,
Und das geſtirnte Haupt der Nacht herauſſer bricht;
Sind Menſchen, Vieh und Wild, wie gleichſam ohne Leben,
Der Mond beſcheinet uns auch kaum mit halbem Licht.
Jch, obſchon alles ſchlaͤft, muß unaufhoͤrlich wachen,
Von vielen Tagen her, und wallen ohne Ruh.
Jſt ſchon die gantze Welt befreyt von ihren Sachen,
So thu ich doch vor Lieb und Angſt kein Auge zu.
Auch dich, Aſterie, hat gantz der Schlaf erfuͤllet. ꝛc.
Eben dergleichen verliebte Gedichte mehr ſtehen in dieſem
IVten B. ſ. Poet. Waͤlder kurtz vor dem angefuͤhrten, da er
zwar den Nahmen der Elegie nicht ausdruͤcklich daruͤber
geſchrieben, aber doch alles, ſo dazu gehoͤret, beobachtet hat.
Sie fangen an: Die Sonn hat ihre Reiſ’ ꝛc. Die Pein,
mit der ich mich ꝛc. Werd ich die Zeit wohl ſehn ꝛc. Und
damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben moͤchte, hat er
uns auch zeigen wollen, daß man die lateiniſchen Elegien
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/440>, abgerufen am 24.11.2024.
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