Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils III Capitel Drum dencke doch, wen du o Schöne liebest,Gedencke doch, wem du dich übergiebest. Doch diese alle haben noch keine solche Eclogen, als wovon Ja wenn ich endlich dich Jm Felde nirgends seh, so übereil ich mich, Und denck: Jst nun ihr Geist gen Himmel gar gestiegen, Und kan sie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen, Des Abends Sylvia und früh Aurora seyn? Die andre Stelle ist nicht nach den Sitten der Schäfer ein- Ach stoltze Sylvia, laß deinen Zorn sich wenden, Jch will dir, wo du wilst, auch wohl Geschencke senden, Nicht etwa die der Wald und unser Garten hegt, Nicht die das reife Feld uns in die Scheuren legt, Nein, sondern einen Putz mit Puder überschlagen, Wie in der Stadt itzund die Bürger-Töchter tragen. Was sollte die Schäferin mit einem solchen Puder-Putze Doch wo du auch hiedurch nicht zu bewegen bist, So weiß ich Aermster nicht, was weiter übrig ist, Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum hencke. Vielleicht liebst du mich todt, weil ich dich lebend kräncke. Ein solch strafbares Verfahren steht keinem Schäfer an; müssen.
Des II Theils III Capitel Drum dencke doch, wen du o Schoͤne liebeſt,Gedencke doch, wem du dich uͤbergiebeſt. Doch dieſe alle haben noch keine ſolche Eclogen, als wovon Ja wenn ich endlich dich Jm Felde nirgends ſeh, ſo uͤbereil ich mich, Und denck: Jſt nun ihr Geiſt gen Himmel gar geſtiegen, Und kan ſie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen, Des Abends Sylvia und fruͤh Aurora ſeyn? Die andre Stelle iſt nicht nach den Sitten der Schaͤfer ein- Ach ſtoltze Sylvia, laß deinen Zorn ſich wenden, Jch will dir, wo du wilſt, auch wohl Geſchencke ſenden, Nicht etwa die der Wald und unſer Garten hegt, Nicht die das reife Feld uns in die Scheuren legt, Nein, ſondern einen Putz mit Puder uͤberſchlagen, Wie in der Stadt itzund die Buͤrger-Toͤchter tragen. Was ſollte die Schaͤferin mit einem ſolchen Puder-Putze Doch wo du auch hiedurch nicht zu bewegen biſt, So weiß ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt, Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum hencke. Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤncke. Ein ſolch ſtrafbares Verfahren ſteht keinem Schaͤfer an; muͤſſen.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0418" n="390"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">III</hi> Capitel</hi> </fw><lb/> <l>Drum dencke doch, wen du o Schoͤne liebeſt,</l><lb/> <l>Gedencke doch, wem du dich uͤbergiebeſt.</l> </lg><lb/> <p>Doch dieſe alle haben noch keine ſolche Eclogen, als wovon<lb/> wir bisher gehandelt, verfertiget. Hier kan ich alſo keinen<lb/> nennen als Neukirchen, der uns etliche ſchoͤne Proben davon<lb/> in den Hoffmanns-Waldauiſchen Gedichten gegeben hat.<lb/> Die erſte ſteht p. 52. des <hi rendition="#aq">I</hi> Th. und heißt Sylvia, und iſt<lb/> durchgehends ſchoͤn, nur ein paar Stellen ſind nicht eben zu<lb/> billigen. Der erſte Gedancke iſt vor einen Schaͤfer gar zu<lb/> Romanhafftig:</p><lb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#et">Ja wenn ich endlich dich</hi> </l><lb/> <l>Jm Felde nirgends ſeh, ſo uͤbereil ich mich,</l><lb/> <l>Und denck: Jſt nun ihr Geiſt gen Himmel gar geſtiegen,</l><lb/> <l>Und kan ſie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen,</l><lb/> <l>Des Abends Sylvia und fruͤh Aurora ſeyn?</l> </lg><lb/> <p>Die andre Stelle iſt nicht nach den Sitten der Schaͤfer ein-<lb/> gerichtet; denn er will ſeiner Sylvia einen buͤrgerlichen Haar-<lb/> Putz ſchencken.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Ach ſtoltze Sylvia, laß deinen Zorn ſich wenden,</l><lb/> <l>Jch will dir, wo du wilſt, auch wohl Geſchencke ſenden,</l><lb/> <l>Nicht etwa die der Wald und unſer Garten hegt,</l><lb/> <l>Nicht die das reife Feld uns in die Scheuren legt,</l><lb/> <l>Nein, ſondern einen Putz mit Puder uͤberſchlagen,</l><lb/> <l>Wie in der Stadt itzund die Buͤrger-Toͤchter tragen.</l> </lg><lb/> <p>Was ſollte die Schaͤferin mit einem ſolchen Puder-Putze<lb/> machen? Wuͤrde ſie denſelben aufzuſetzen wiſſen? Oder<lb/> wuͤrde ſie es vor gut finden, ſich auf dem gantzen Dorfe zum<lb/> Gelaͤchter zu machen? Endlich die dritte iſt wieder die Tugend<lb/> ſelbſt. Denn Thyrſis will ſich aus Verzweifelung das Le-<lb/> ben nehmen.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Doch wo du auch hiedurch nicht zu bewegen biſt,</l><lb/> <l>So weiß ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt,</l><lb/> <l>Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum hencke.</l><lb/> <l>Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤncke.</l> </lg><lb/> <p>Ein ſolch ſtrafbares Verfahren ſteht keinem Schaͤfer an;<lb/> und Sylvia wuͤrde ihm aus gerechtem Eifer uͤber ein ſo un-<lb/> vernuͤnftiges Bedrohen, gewiß deswegen ihre Liebe verſagen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">muͤſſen.</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0418]
Des II Theils III Capitel
Drum dencke doch, wen du o Schoͤne liebeſt,
Gedencke doch, wem du dich uͤbergiebeſt.
Doch dieſe alle haben noch keine ſolche Eclogen, als wovon
wir bisher gehandelt, verfertiget. Hier kan ich alſo keinen
nennen als Neukirchen, der uns etliche ſchoͤne Proben davon
in den Hoffmanns-Waldauiſchen Gedichten gegeben hat.
Die erſte ſteht p. 52. des I Th. und heißt Sylvia, und iſt
durchgehends ſchoͤn, nur ein paar Stellen ſind nicht eben zu
billigen. Der erſte Gedancke iſt vor einen Schaͤfer gar zu
Romanhafftig:
Ja wenn ich endlich dich
Jm Felde nirgends ſeh, ſo uͤbereil ich mich,
Und denck: Jſt nun ihr Geiſt gen Himmel gar geſtiegen,
Und kan ſie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen,
Des Abends Sylvia und fruͤh Aurora ſeyn?
Die andre Stelle iſt nicht nach den Sitten der Schaͤfer ein-
gerichtet; denn er will ſeiner Sylvia einen buͤrgerlichen Haar-
Putz ſchencken.
Ach ſtoltze Sylvia, laß deinen Zorn ſich wenden,
Jch will dir, wo du wilſt, auch wohl Geſchencke ſenden,
Nicht etwa die der Wald und unſer Garten hegt,
Nicht die das reife Feld uns in die Scheuren legt,
Nein, ſondern einen Putz mit Puder uͤberſchlagen,
Wie in der Stadt itzund die Buͤrger-Toͤchter tragen.
Was ſollte die Schaͤferin mit einem ſolchen Puder-Putze
machen? Wuͤrde ſie denſelben aufzuſetzen wiſſen? Oder
wuͤrde ſie es vor gut finden, ſich auf dem gantzen Dorfe zum
Gelaͤchter zu machen? Endlich die dritte iſt wieder die Tugend
ſelbſt. Denn Thyrſis will ſich aus Verzweifelung das Le-
ben nehmen.
Doch wo du auch hiedurch nicht zu bewegen biſt,
So weiß ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt,
Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum hencke.
Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤncke.
Ein ſolch ſtrafbares Verfahren ſteht keinem Schaͤfer an;
und Sylvia wuͤrde ihm aus gerechtem Eifer uͤber ein ſo un-
vernuͤnftiges Bedrohen, gewiß deswegen ihre Liebe verſagen
muͤſſen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |