Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen Fisch gefangen hätte. Allein die Fischer-Arbeit ist viel zu be- schwerlich gegen das ruhige und glückseelige Leben, so wir uns im Schäferstande vorstellen. Die See ist bey weitem so angenehm nicht, als eine schöne Aue, und die Schnecken oder Austern geben solche beliebte Geschencke nicht ab, als Blu- men und Früchte.
Unter den Jtalienern hat Tasso, Guarini, Bonarelli und Marino sich mit Schäfer-Gedichten hervorgethan; aber alle mit einander haben ihre Hirten viel zu scharfsinnig ge- macht. Tasso, der noch am leidlichsten ist, hat dennoch in seinem Amyntas die Sylvia gar zu künstlich dencken lassen. Sie hat sich mit Blumen geschmücket, und da sie sich in einem Brunn spiegelt, sagt sie zu ihnen; sie trage dieselben nicht so- wohl sich selbst dadurch zu putzen, sondern sie vielmehr durch ihre eigene Schönheit zu beschämen. Bouhours hat diese Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie- nische Künsteleyen und Spitzfündigkeiten ihrer Schäfer, ist das noch nichts zu rechnen. Guarini läst z. E. in seinem treuen Schäfer, eine Schäferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe, auf eine sehr philosophische Art, die Götter zur Rede setzen, warum sie uns doch durch so scharfe Gesetze eingeschräncket, zu gleicher Zeit aber solche unüberwindliche Begierden gege- ben? Wer hätte dergleichen tiefes Nachsinnen bey einer Schäferin gesuchet?
Unter Franzosen hat Marot, Ronsard, Segrais und Fontenelle sich mit Schäfer-Gedichten bekannt gemacht. Der erste ist abgeschmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma- terien in seine Eclogen gebracht, indem er Fürstlichen Perso- nen nur Schäfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot, Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin. Ja er läßt einmahl die Schäferin Margot das Lob des Tur- nebus, Budeus und Vatablus anstimmen, die grösten Grie- chen und Hebräer ihrer Zeiten, von welchen seine Schäferin billig nichts hätte wissen sollen. Das beste ist daß er selbst gesteht, er habe seine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht. Segrais hat eben das im Absehen auf seine Schreibart ge-
standen,
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Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen Fiſch gefangen haͤtte. Allein die Fiſcher-Arbeit iſt viel zu be- ſchwerlich gegen das ruhige und gluͤckſeelige Leben, ſo wir uns im Schaͤferſtande vorſtellen. Die See iſt bey weitem ſo angenehm nicht, als eine ſchoͤne Aue, und die Schnecken oder Auſtern geben ſolche beliebte Geſchencke nicht ab, als Blu- men und Fruͤchte.
Unter den Jtalienern hat Taſſo, Guarini, Bonarelli und Marino ſich mit Schaͤfer-Gedichten hervorgethan; aber alle mit einander haben ihre Hirten viel zu ſcharfſinnig ge- macht. Taſſo, der noch am leidlichſten iſt, hat dennoch in ſeinem Amyntas die Sylvia gar zu kuͤnſtlich dencken laſſen. Sie hat ſich mit Blumen geſchmuͤcket, und da ſie ſich in einem Brunn ſpiegelt, ſagt ſie zu ihnen; ſie trage dieſelben nicht ſo- wohl ſich ſelbſt dadurch zu putzen, ſondern ſie vielmehr durch ihre eigene Schoͤnheit zu beſchaͤmen. Bouhours hat dieſe Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie- niſche Kuͤnſteleyen und Spitzfuͤndigkeiten ihrer Schaͤfer, iſt das noch nichts zu rechnen. Guarini laͤſt z. E. in ſeinem treuen Schaͤfer, eine Schaͤferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe, auf eine ſehr philoſophiſche Art, die Goͤtter zur Rede ſetzen, warum ſie uns doch durch ſo ſcharfe Geſetze eingeſchraͤncket, zu gleicher Zeit aber ſolche unuͤberwindliche Begierden gege- ben? Wer haͤtte dergleichen tiefes Nachſinnen bey einer Schaͤferin geſuchet?
Unter Franzoſen hat Marot, Ronſard, Segrais und Fontenelle ſich mit Schaͤfer-Gedichten bekannt gemacht. Der erſte iſt abgeſchmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma- terien in ſeine Eclogen gebracht, indem er Fuͤrſtlichen Perſo- nen nur Schaͤfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot, Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin. Ja er laͤßt einmahl die Schaͤferin Margot das Lob des Tur- nebus, Budeus und Vatablus anſtimmen, die groͤſten Grie- chen und Hebraͤer ihrer Zeiten, von welchen ſeine Schaͤferin billig nichts haͤtte wiſſen ſollen. Das beſte iſt daß er ſelbſt geſteht, er habe ſeine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht. Segrais hat eben das im Abſehen auf ſeine Schreibart ge-
ſtanden,
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Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen
Fiſch gefangen haͤtte. Allein die Fiſcher-Arbeit iſt viel zu be-
ſchwerlich gegen das ruhige und gluͤckſeelige Leben, ſo wir uns
im Schaͤferſtande vorſtellen. Die See iſt bey weitem ſo
angenehm nicht, als eine ſchoͤne Aue, und die Schnecken oder
Auſtern geben ſolche beliebte Geſchencke nicht ab, als Blu-
men und Fruͤchte.
Unter den Jtalienern hat Taſſo, Guarini, Bonarelli
und Marino ſich mit Schaͤfer-Gedichten hervorgethan; aber
alle mit einander haben ihre Hirten viel zu ſcharfſinnig ge-
macht. Taſſo, der noch am leidlichſten iſt, hat dennoch in
ſeinem Amyntas die Sylvia gar zu kuͤnſtlich dencken laſſen.
Sie hat ſich mit Blumen geſchmuͤcket, und da ſie ſich in einem
Brunn ſpiegelt, ſagt ſie zu ihnen; ſie trage dieſelben nicht ſo-
wohl ſich ſelbſt dadurch zu putzen, ſondern ſie vielmehr durch
ihre eigene Schoͤnheit zu beſchaͤmen. Bouhours hat dieſe
Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie-
niſche Kuͤnſteleyen und Spitzfuͤndigkeiten ihrer Schaͤfer, iſt
das noch nichts zu rechnen. Guarini laͤſt z. E. in ſeinem treuen
Schaͤfer, eine Schaͤferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe,
auf eine ſehr philoſophiſche Art, die Goͤtter zur Rede ſetzen,
warum ſie uns doch durch ſo ſcharfe Geſetze eingeſchraͤncket,
zu gleicher Zeit aber ſolche unuͤberwindliche Begierden gege-
ben? Wer haͤtte dergleichen tiefes Nachſinnen bey einer
Schaͤferin geſuchet?
Unter Franzoſen hat Marot, Ronſard, Segrais und
Fontenelle ſich mit Schaͤfer-Gedichten bekannt gemacht. Der
erſte iſt abgeſchmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma-
terien in ſeine Eclogen gebracht, indem er Fuͤrſtlichen Perſo-
nen nur Schaͤfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot,
Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin.
Ja er laͤßt einmahl die Schaͤferin Margot das Lob des Tur-
nebus, Budeus und Vatablus anſtimmen, die groͤſten Grie-
chen und Hebraͤer ihrer Zeiten, von welchen ſeine Schaͤferin
billig nichts haͤtte wiſſen ſollen. Das beſte iſt daß er ſelbſt
geſteht, er habe ſeine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht.
Segrais hat eben das im Abſehen auf ſeine Schreibart ge-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/415>, abgerufen am 24.11.2024.
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