welches ihm so wenig anstund als von Kriegen und Helden Lieder zu machen. Es herrscht auch in der gantzen Ecloge eine solche Verwirrung der Sachen und Zeiten, daß man nicht weiß wo man ist. Nach den Philosophischen Meynun- gen kommt die Fabel von der Pasiphae und den Schwestern Phaetons, die gar nicht dahin gehöreten. Mitten darunter steht Cornelius Gallus, der zu Virgils Zeiten lebte; und dar- auf kommt wiederum die Fabel von Scylla und Charybdis, imgleichen von der Philomele. Alles das singt Silenus, von dem der Poet vorhin erzehlte, daß er vorigen Tages einen Rausch gehabt. Es könnte nach dem itztbeschriebenen Jnn- halte seines Gesanges leicht seyn, daß er etwas zu frühe auf- gewecket worden.
Unter den neuen Poeten, die lateinische Schäfer-Gedichte gemacht, ist Calpurnius, Nemesianus, Vida und Baptista Mantuanus, zu mercken. Sie sind eben nicht gäntzlich zu verachten, und ohngeachtet sie an Schönheit der Verße dem Virgil weichen müssen, so haben sie doch zuweilen hübsche Er- findungen. Sie fehlen aber auch zuweilen sehr grob, wie denn der letztere z. E. seine Schäfer einmahl als ein Paar Car- meliter aufführet, deren einer der strengen der andre der ge- lindern Ordens-Regel zugethan ist. Er läst sie so hefftig mit einander streiten, daß der Richter, dazu er den Bembus macht, ihnen die Stäbe wegnimmt. Ob es nun wahrschein- lich sey, daß die Schäfer wie Mönche sprechen, ist leicht zu sehen. Viel ärger aber macht ers in einer andern Stelle, wo der eine Schäfer gar einen Epicurer vorstellt, der weder Himmel noch Hölle glaubt. Der Poet will dieses entschul- digen, und sagt Amintas habe sich lange in der Stadt aufge- halten. Herr Fontenelle will diese Entschuldigung nicht gelten lassen; und in der That ist es anstößig, seine Schäfer als gott- lose Leute aufzuführen.
Sannazar hat es versuchen wollen, ob man nicht Fischer- Eclogen machen könne. Er hat Theocritum zum Vorgän- ger, der auch einmahl dergleichen gethan. Zwey Fischer schlafen in einer Stroh-Hütte am Ufer beysammen, und der eine weckt in der Nacht den andern auf, und erzehlt ihm seinen
Traum,
Des II Theils III Capitel
welches ihm ſo wenig anſtund als von Kriegen und Helden Lieder zu machen. Es herrſcht auch in der gantzen Ecloge eine ſolche Verwirrung der Sachen und Zeiten, daß man nicht weiß wo man iſt. Nach den Philoſophiſchen Meynun- gen kommt die Fabel von der Paſiphae und den Schweſtern Phaetons, die gar nicht dahin gehoͤreten. Mitten darunter ſteht Cornelius Gallus, der zu Virgils Zeiten lebte; und dar- auf kommt wiederum die Fabel von Scylla und Charybdis, imgleichen von der Philomele. Alles das ſingt Silenus, von dem der Poet vorhin erzehlte, daß er vorigen Tages einen Rauſch gehabt. Es koͤnnte nach dem itztbeſchriebenen Jnn- halte ſeines Geſanges leicht ſeyn, daß er etwas zu fruͤhe auf- gewecket worden.
Unter den neuen Poeten, die lateiniſche Schaͤfer-Gedichte gemacht, iſt Calpurnius, Nemeſianus, Vida und Baptiſta Mantuanus, zu mercken. Sie ſind eben nicht gaͤntzlich zu verachten, und ohngeachtet ſie an Schoͤnheit der Verße dem Virgil weichen muͤſſen, ſo haben ſie doch zuweilen huͤbſche Er- findungen. Sie fehlen aber auch zuweilen ſehr grob, wie denn der letztere z. E. ſeine Schaͤfer einmahl als ein Paar Car- meliter auffuͤhret, deren einer der ſtrengen der andre der ge- lindern Ordens-Regel zugethan iſt. Er laͤſt ſie ſo hefftig mit einander ſtreiten, daß der Richter, dazu er den Bembus macht, ihnen die Staͤbe wegnimmt. Ob es nun wahrſchein- lich ſey, daß die Schaͤfer wie Moͤnche ſprechen, iſt leicht zu ſehen. Viel aͤrger aber macht ers in einer andern Stelle, wo der eine Schaͤfer gar einen Epicurer vorſtellt, der weder Himmel noch Hoͤlle glaubt. Der Poet will dieſes entſchul- digen, und ſagt Amintas habe ſich lange in der Stadt aufge- halten. Herr Fontenelle will dieſe Entſchuldigung nicht gelten laſſen; und in der That iſt es anſtoͤßig, ſeine Schaͤfer als gott- loſe Leute aufzufuͤhren.
Sannazar hat es verſuchen wollen, ob man nicht Fiſcher- Eclogen machen koͤnne. Er hat Theocritum zum Vorgaͤn- ger, der auch einmahl dergleichen gethan. Zwey Fiſcher ſchlafen in einer Stroh-Huͤtte am Ufer beyſammen, und der eine weckt in der Nacht den andern auf, und erzehlt ihm ſeinen
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Des II Theils III Capitel
welches ihm ſo wenig anſtund als von Kriegen und Helden
Lieder zu machen. Es herrſcht auch in der gantzen Ecloge
eine ſolche Verwirrung der Sachen und Zeiten, daß man
nicht weiß wo man iſt. Nach den Philoſophiſchen Meynun-
gen kommt die Fabel von der Paſiphae und den Schweſtern
Phaetons, die gar nicht dahin gehoͤreten. Mitten darunter
ſteht Cornelius Gallus, der zu Virgils Zeiten lebte; und dar-
auf kommt wiederum die Fabel von Scylla und Charybdis,
imgleichen von der Philomele. Alles das ſingt Silenus, von
dem der Poet vorhin erzehlte, daß er vorigen Tages einen
Rauſch gehabt. Es koͤnnte nach dem itztbeſchriebenen Jnn-
halte ſeines Geſanges leicht ſeyn, daß er etwas zu fruͤhe auf-
gewecket worden.
Unter den neuen Poeten, die lateiniſche Schaͤfer-Gedichte
gemacht, iſt Calpurnius, Nemeſianus, Vida und Baptiſta
Mantuanus, zu mercken. Sie ſind eben nicht gaͤntzlich zu
verachten, und ohngeachtet ſie an Schoͤnheit der Verße dem
Virgil weichen muͤſſen, ſo haben ſie doch zuweilen huͤbſche Er-
findungen. Sie fehlen aber auch zuweilen ſehr grob, wie
denn der letztere z. E. ſeine Schaͤfer einmahl als ein Paar Car-
meliter auffuͤhret, deren einer der ſtrengen der andre der ge-
lindern Ordens-Regel zugethan iſt. Er laͤſt ſie ſo hefftig
mit einander ſtreiten, daß der Richter, dazu er den Bembus
macht, ihnen die Staͤbe wegnimmt. Ob es nun wahrſchein-
lich ſey, daß die Schaͤfer wie Moͤnche ſprechen, iſt leicht zu
ſehen. Viel aͤrger aber macht ers in einer andern Stelle,
wo der eine Schaͤfer gar einen Epicurer vorſtellt, der weder
Himmel noch Hoͤlle glaubt. Der Poet will dieſes entſchul-
digen, und ſagt Amintas habe ſich lange in der Stadt aufge-
halten. Herr Fontenelle will dieſe Entſchuldigung nicht gelten
laſſen; und in der That iſt es anſtoͤßig, ſeine Schaͤfer als gott-
loſe Leute aufzufuͤhren.
Sannazar hat es verſuchen wollen, ob man nicht Fiſcher-
Eclogen machen koͤnne. Er hat Theocritum zum Vorgaͤn-
ger, der auch einmahl dergleichen gethan. Zwey Fiſcher
ſchlafen in einer Stroh-Huͤtte am Ufer beyſammen, und der
eine weckt in der Nacht den andern auf, und erzehlt ihm ſeinen
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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