Ein schwaches Licht, Das durch der Berge Spalten dringet Fällt dem Betrübten ins Gesicht; Und macht, daß ihn die Ungedult bezwinget. Ein falscher Strahl scheint seinem Schmertze Ein Sonnenlicht zu seyn, Hier ist, denckt sein betrognes Hertze; Hier ist das Ende meiner Pein. Was hindert mich mein Liebstes anzusehen? Er thuts, er blickt sie an: Doch als ers kaum gethan, So ist es auch um seine Lust geschehen. Sie sinckt zurück ins Schattenreich, Und wird so wie zuvor verstorbnen Seelen gleich.
Jammervoller Orpheus, weine! Weine, statt der Thränen, Blut. Seht, ihr unbelebten Steine, Seht, was zarte Liebe thut: Wenn die gar zu heißen Hertzen, Offt aus ihrer eignen Schuld, Offt aus großer Ungedult, Jhr erwünschtes Glück verschertzen! Jammervoller etc.
Entsetzen, Reue, Zorn und Zagen, Verzweiflung, Jammer, Angst und Qual, Und was man größers weiß zu sagen, So man kaum einzeln kan ertragen, Bestürmet hier den Dichter auf einmahl. Die schönste Hoffnung geht zu nichte! Er steht und sieht mit starrendem Gesichte, Der fast erlösten Seele, Bis in den Schlund der wüsten Höle, Ja wie er glaubt, biß in den Abgrund nach. Allein umsonst! Sie ist verschwunden. Es bleibt dabey, was Pluto sprach, Daß er der Höllen Regeln brach, Als ihn die Kunst des Dichters überwunden. Forthin hat keine Bitte statt; Weil er beym Styx geschworen hat, Dieß dieß macht ihm das Maaß des Unglücks voll, Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen soll.
Nein
Von Cantaten.
Ein ſchwaches Licht, Das durch der Berge Spalten dringet Faͤllt dem Betruͤbten ins Geſicht; Und macht, daß ihn die Ungedult bezwinget. Ein falſcher Strahl ſcheint ſeinem Schmertze Ein Sonnenlicht zu ſeyn, Hier iſt, denckt ſein betrognes Hertze; Hier iſt das Ende meiner Pein. Was hindert mich mein Liebſtes anzuſehen? Er thuts, er blickt ſie an: Doch als ers kaum gethan, So iſt es auch um ſeine Luſt geſchehen. Sie ſinckt zuruͤck ins Schattenreich, Und wird ſo wie zuvor verſtorbnen Seelen gleich.
Jammervoller Orpheus, weine! Weine, ſtatt der Thraͤnen, Blut. Seht, ihr unbelebten Steine, Seht, was zarte Liebe thut: Wenn die gar zu heißen Hertzen, Offt aus ihrer eignen Schuld, Offt aus großer Ungedult, Jhr erwuͤnſchtes Gluͤck verſchertzen! Jammervoller ꝛc.
Entſetzen, Reue, Zorn und Zagen, Verzweiflung, Jammer, Angſt und Qual, Und was man groͤßers weiß zu ſagen, So man kaum einzeln kan ertragen, Beſtuͤrmet hier den Dichter auf einmahl. Die ſchoͤnſte Hoffnung geht zu nichte! Er ſteht und ſieht mit ſtarrendem Geſichte, Der faſt erloͤſten Seele, Bis in den Schlund der wuͤſten Hoͤle, Ja wie er glaubt, biß in den Abgrund nach. Allein umſonſt! Sie iſt verſchwunden. Es bleibt dabey, was Pluto ſprach, Daß er der Hoͤllen Regeln brach, Als ihn die Kunſt des Dichters uͤberwunden. Forthin hat keine Bitte ſtatt; Weil er beym Styx geſchworen hat, Dieß dieß macht ihm das Maaß des Ungluͤcks voll, Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen ſoll.
Nein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="158"><l><pbfacs="#f0407"n="379"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von Cantaten.</hi></fw></l><lb/><l>Ein ſchwaches Licht,</l><lb/><l>Das durch der Berge Spalten dringet</l><lb/><l>Faͤllt dem Betruͤbten ins Geſicht;</l><lb/><l>Und macht, daß ihn die Ungedult bezwinget.</l><lb/><l>Ein falſcher Strahl ſcheint ſeinem Schmertze</l><lb/><l>Ein Sonnenlicht zu ſeyn,</l><lb/><l>Hier iſt, denckt ſein betrognes Hertze;</l><lb/><l>Hier iſt das Ende meiner Pein.</l><lb/><l>Was hindert mich mein Liebſtes anzuſehen?</l><lb/><l>Er thuts, er blickt ſie an:</l><lb/><l>Doch als ers kaum gethan,</l><lb/><l>So iſt es auch um ſeine Luſt geſchehen.</l><lb/><l>Sie ſinckt zuruͤck ins Schattenreich,</l><lb/><l>Und wird ſo wie zuvor verſtorbnen Seelen gleich.</l></lg><lb/><lgn="159"><l>Jammervoller Orpheus, weine!</l><lb/><l>Weine, ſtatt der Thraͤnen, Blut.</l><lb/><l>Seht, ihr unbelebten Steine,</l><lb/><l>Seht, was zarte Liebe thut:</l><lb/><l>Wenn die gar zu heißen Hertzen,</l><lb/><l>Offt aus ihrer eignen Schuld,</l><lb/><l>Offt aus großer Ungedult,</l><lb/><l>Jhr erwuͤnſchtes Gluͤck verſchertzen!</l><lb/><l>Jammervoller ꝛc.</l></lg><lb/><lgn="160"><l>Entſetzen, Reue, Zorn und Zagen,</l><lb/><l>Verzweiflung, Jammer, Angſt und Qual,</l><lb/><l>Und was man groͤßers weiß zu ſagen,</l><lb/><l>So man kaum einzeln kan ertragen,</l><lb/><l>Beſtuͤrmet hier den Dichter auf einmahl.</l><lb/><l>Die ſchoͤnſte Hoffnung geht zu nichte!</l><lb/><l>Er ſteht und ſieht mit ſtarrendem Geſichte,</l><lb/><l>Der faſt erloͤſten Seele,</l><lb/><l>Bis in den Schlund der wuͤſten Hoͤle,</l><lb/><l>Ja wie er glaubt, biß in den Abgrund nach.</l><lb/><l>Allein umſonſt! Sie iſt verſchwunden.</l><lb/><l>Es bleibt dabey, was Pluto ſprach,</l><lb/><l>Daß er der Hoͤllen Regeln brach,</l><lb/><l>Als ihn die Kunſt des Dichters uͤberwunden.</l><lb/><l>Forthin hat keine Bitte ſtatt;</l><lb/><l>Weil er beym Styx geſchworen hat,</l><lb/><l>Dieß dieß macht ihm das Maaß des Ungluͤcks voll,</l><lb/><l>Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen ſoll.</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nein</fw><lb/></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[379/0407]
Von Cantaten.
Ein ſchwaches Licht,
Das durch der Berge Spalten dringet
Faͤllt dem Betruͤbten ins Geſicht;
Und macht, daß ihn die Ungedult bezwinget.
Ein falſcher Strahl ſcheint ſeinem Schmertze
Ein Sonnenlicht zu ſeyn,
Hier iſt, denckt ſein betrognes Hertze;
Hier iſt das Ende meiner Pein.
Was hindert mich mein Liebſtes anzuſehen?
Er thuts, er blickt ſie an:
Doch als ers kaum gethan,
So iſt es auch um ſeine Luſt geſchehen.
Sie ſinckt zuruͤck ins Schattenreich,
Und wird ſo wie zuvor verſtorbnen Seelen gleich.
Jammervoller Orpheus, weine!
Weine, ſtatt der Thraͤnen, Blut.
Seht, ihr unbelebten Steine,
Seht, was zarte Liebe thut:
Wenn die gar zu heißen Hertzen,
Offt aus ihrer eignen Schuld,
Offt aus großer Ungedult,
Jhr erwuͤnſchtes Gluͤck verſchertzen!
Jammervoller ꝛc.
Entſetzen, Reue, Zorn und Zagen,
Verzweiflung, Jammer, Angſt und Qual,
Und was man groͤßers weiß zu ſagen,
So man kaum einzeln kan ertragen,
Beſtuͤrmet hier den Dichter auf einmahl.
Die ſchoͤnſte Hoffnung geht zu nichte!
Er ſteht und ſieht mit ſtarrendem Geſichte,
Der faſt erloͤſten Seele,
Bis in den Schlund der wuͤſten Hoͤle,
Ja wie er glaubt, biß in den Abgrund nach.
Allein umſonſt! Sie iſt verſchwunden.
Es bleibt dabey, was Pluto ſprach,
Daß er der Hoͤllen Regeln brach,
Als ihn die Kunſt des Dichters uͤberwunden.
Forthin hat keine Bitte ſtatt;
Weil er beym Styx geſchworen hat,
Dieß dieß macht ihm das Maaß des Ungluͤcks voll,
Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen ſoll.
Nein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/407>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.