Nein nein! hinfort ist nichts zu hoffen, Betrübter Orpheus, fasse dich! Der Höllen-Weg steht nicht mehr offen, Was quält denn dein Gemüthe sich? Dein großer Geist muß sich bezwingen, Auf! laß dein schönes Seytenspiel, Das auch den Schatten wohlgefiel, Von starcker Seelen Großmuth singen. So lindert deine Marter sich. etc.
Nach langer Ohnmacht, die ihn schwächte, Als ihn der Unfall niederschlug, Kam er doch nach und nach zurechte, So daß sein Schritt ihn aus den Klüfften Zum heitern Tages-Lichte trug. Die Töchter Thraciens vernahmen Des Dichters doppelt schwere Pein: Die Artigsten, die Allerschönsten kamen, Und wollten ihm mit Trost behülflich seyn. Sie reitzten ihn zum lieben, Allein umsonst; denn Amors strenge Macht, Ward nach der Zeit von ihm verlacht, Sein Hertz ist ewig frey geblieben. Doch sagt man, daß er stets, wenn ihn sein Harm bezwungen, Euridicen, die er so zart geliebt, Euridicen, die ihn so sehr betrübt, Durch dieses Klagelied besungen.
Du hast mein gantzes Hertz besessen, Hinfort besitzt es keine mehr, Jch habe mich zu hart vermessen, Den Meyneyd straft der Himmel sehr, Du lebest noch in meiner Brust, Du bist und bleibest meine Lust, Jch will und kan dich nicht vergessen, Du hast mein gantzes Hertz besessen.
Das
Des II Theils II Capitel von Cantaten.
Nein nein! hinfort iſt nichts zu hoffen, Betruͤbter Orpheus, faſſe dich! Der Hoͤllen-Weg ſteht nicht mehr offen, Was quaͤlt denn dein Gemuͤthe ſich? Dein großer Geiſt muß ſich bezwingen, Auf! laß dein ſchoͤnes Seytenſpiel, Das auch den Schatten wohlgefiel, Von ſtarcker Seelen Großmuth ſingen. So lindert deine Marter ſich. ꝛc.
Nach langer Ohnmacht, die ihn ſchwaͤchte, Als ihn der Unfall niederſchlug, Kam er doch nach und nach zurechte, So daß ſein Schritt ihn aus den Kluͤfften Zum heitern Tages-Lichte trug. Die Toͤchter Thraciens vernahmen Des Dichters doppelt ſchwere Pein: Die Artigſten, die Allerſchoͤnſten kamen, Und wollten ihm mit Troſt behuͤlflich ſeyn. Sie reitzten ihn zum lieben, Allein umſonſt; denn Amors ſtrenge Macht, Ward nach der Zeit von ihm verlacht, Sein Hertz iſt ewig frey geblieben. Doch ſagt man, daß er ſtets, wenn ihn ſein Harm bezwungen, Euridicen, die er ſo zart geliebt, Euridicen, die ihn ſo ſehr betruͤbt, Durch dieſes Klagelied beſungen.
Du haſt mein gantzes Hertz beſeſſen, Hinfort beſitzt es keine mehr, Jch habe mich zu hart vermeſſen, Den Meyneyd ſtraft der Himmel ſehr, Du lebeſt noch in meiner Bruſt, Du biſt und bleibeſt meine Luſt, Jch will und kan dich nicht vergeſſen, Du haſt mein gantzes Hertz beſeſſen.
Das
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Des II Theils II Capitel von Cantaten.
Nein nein! hinfort iſt nichts zu hoffen,
Betruͤbter Orpheus, faſſe dich!
Der Hoͤllen-Weg ſteht nicht mehr offen,
Was quaͤlt denn dein Gemuͤthe ſich?
Dein großer Geiſt muß ſich bezwingen,
Auf! laß dein ſchoͤnes Seytenſpiel,
Das auch den Schatten wohlgefiel,
Von ſtarcker Seelen Großmuth ſingen.
So lindert deine Marter ſich. ꝛc.
Nach langer Ohnmacht, die ihn ſchwaͤchte,
Als ihn der Unfall niederſchlug,
Kam er doch nach und nach zurechte,
So daß ſein Schritt ihn aus den Kluͤfften
Zum heitern Tages-Lichte trug.
Die Toͤchter Thraciens vernahmen
Des Dichters doppelt ſchwere Pein:
Die Artigſten, die Allerſchoͤnſten kamen,
Und wollten ihm mit Troſt behuͤlflich ſeyn.
Sie reitzten ihn zum lieben,
Allein umſonſt; denn Amors ſtrenge Macht,
Ward nach der Zeit von ihm verlacht,
Sein Hertz iſt ewig frey geblieben.
Doch ſagt man, daß er ſtets, wenn ihn ſein Harm bezwungen,
Euridicen, die er ſo zart geliebt,
Euridicen, die ihn ſo ſehr betruͤbt,
Durch dieſes Klagelied beſungen.
Du haſt mein gantzes Hertz beſeſſen,
Hinfort beſitzt es keine mehr,
Jch habe mich zu hart vermeſſen,
Den Meyneyd ſtraft der Himmel ſehr,
Du lebeſt noch in meiner Bruſt,
Du biſt und bleibeſt meine Luſt,
Jch will und kan dich nicht vergeſſen,
Du haſt mein gantzes Hertz beſeſſen.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/408>, abgerufen am 26.07.2024.
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