und ihm selbst viel Ruhm gebracht hätten. Man habe ihn gar dem grossen Opitz vorgezogen, den er doch nie errei- chen können. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus; der uns die Quelle anzeiget, daraus diese so merck- liche Veränderung seines Geschmacks in der Poesie her- geflossen. Es heißt:
O grausamer Horatz! was hat dich doch bewegt, Daß du uns so viel Last im Dichten auferlegt? So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernst gelesen, So ist mir auch nicht mehr im Schreiben wohl gewesen. Vor kamen Wort und Reim; jetzt lauf ich ihnen nach: Vor flog ich Himmel an; jetzt thu ich gantz gemach. Jch schleiche wie ein Dachs aus dem Poeten-Orden, Und bin mit grosser Müh noch kaum dein Schüler worden.
Wieviel Schüler würde nicht Horatz noch bekommen, wenn alle Deutsche Poeten, die dessen bedürftig wären, dem Exempel dieses wackern Mannes folgen wollten!
Die kleinen Anmerckungen, so ich unter den Text gese- tzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen seyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. Jn Verßen lassen sich nicht alle Alterthümer so erklären, daß man sie sattsam verstehen könnte, wenn man von der Zeit des Scribenten fast ein paar tausend Jahre entfernet ist. Gelehrtere Leser, die derselben nicht nöthig haben, können sie nach Belieben ungelesen lassen; wie mans mit den Lateinischen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn schon geübt ist. Jch habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfänger daraus meinen Poe- ten verstehen lernen.
Hora-
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Vorbericht.
und ihm ſelbſt viel Ruhm gebracht haͤtten. Man habe ihn gar dem groſſen Opitz vorgezogen, den er doch nie errei- chen koͤnnen. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus; der uns die Quelle anzeiget, daraus dieſe ſo merck- liche Veraͤnderung ſeines Geſchmacks in der Poeſie her- gefloſſen. Es heißt:
O grauſamer Horatz! was hat dich doch bewegt, Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten auferlegt? So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernſt geleſen, So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen. Vor kamen Wort und Reim; jetzt lauf ich ihnen nach: Vor flog ich Himmel an; jetzt thu ich gantz gemach. Jch ſchleiche wie ein Dachs aus dem Poeten-Orden, Und bin mit groſſer Muͤh noch kaum dein Schuͤler worden.
Wieviel Schuͤler wuͤrde nicht Horatz noch bekommen, wenn alle Deutſche Poeten, die deſſen beduͤrftig waͤren, dem Exempel dieſes wackern Mannes folgen wollten!
Die kleinen Anmerckungen, ſo ich unter den Text geſe- tzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen ſeyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. Jn Verßen laſſen ſich nicht alle Alterthuͤmer ſo erklaͤren, daß man ſie ſattſam verſtehen koͤnnte, wenn man von der Zeit des Scribenten faſt ein paar tauſend Jahre entfernet iſt. Gelehrtere Leſer, die derſelben nicht noͤthig haben, koͤnnen ſie nach Belieben ungeleſen laſſen; wie mans mit den Lateiniſchen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn ſchon geuͤbt iſt. Jch habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfaͤnger daraus meinen Poe- ten verſtehen lernen.
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Vorbericht.
und ihm ſelbſt viel Ruhm gebracht haͤtten. Man habe ihn
gar dem groſſen Opitz vorgezogen, den er doch nie errei-
chen koͤnnen. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck
aus; der uns die Quelle anzeiget, daraus dieſe ſo merck-
liche Veraͤnderung ſeines Geſchmacks in der Poeſie her-
gefloſſen. Es heißt:
O grauſamer Horatz! was hat dich doch bewegt,
Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten auferlegt?
So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernſt geleſen,
So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen.
Vor kamen Wort und Reim; jetzt lauf ich ihnen nach:
Vor flog ich Himmel an; jetzt thu ich gantz gemach.
Jch ſchleiche wie ein Dachs aus dem Poeten-Orden,
Und bin mit groſſer Muͤh noch kaum dein Schuͤler worden.
Wieviel Schuͤler wuͤrde nicht Horatz noch bekommen,
wenn alle Deutſche Poeten, die deſſen beduͤrftig waͤren,
dem Exempel dieſes wackern Mannes folgen wollten!
Die kleinen Anmerckungen, ſo ich unter den Text geſe-
tzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen ſeyn, und in
mancher Sache ein gutes Licht geben. Jn Verßen laſſen
ſich nicht alle Alterthuͤmer ſo erklaͤren, daß man ſie ſattſam
verſtehen koͤnnte, wenn man von der Zeit des Scribenten
faſt ein paar tauſend Jahre entfernet iſt. Gelehrtere Leſer,
die derſelben nicht noͤthig haben, koͤnnen ſie nach Belieben
ungeleſen laſſen; wie mans mit den Lateiniſchen Noten
bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn
ſchon geuͤbt iſt. Jch habe meinen Zweck erreicht,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/37>, abgerufen am 18.12.2024.
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