ständlich geworden wäre. So gehts auch in allen Fällen, wo das haben ein Hülfs-Wort. Z. E. Opitz:
Was kan ein Herr, ein Fürst, ein König bessers lesen, Als was für uns und ihm geschehen und gewesen, Wie manches stoltze Reich entsprungen und verkehrt, Wie Völcker itzt geblüht, und wieder durch das Schwerdt Den Untergang geschaut.
Hier ist zuletzt bey geblüht, und beschaut das haben ohne Fehler ausgelassen; so wie in der andern Zeile bey gesche- hen und gewesen das ist. Nur bey der dritten kan ichs nicht gut heißen, daß zwey ungleiche Wörter, entsprun- gen und verkehrt verbunden worden, da sie doch nicht ei- nerley Hülfs-Wort haben können, weil das erste ist, das andre aber worden hätte haben sollen. Und dieses wor- den hätte gar nicht ausbleiben müssen, um den Verstand recht auszudrücken. Verkehrt kan auch wircksam, und nicht nur leidend erkläret werden: nachdem entweder hat oder worden darunter verstanden wird; und diese Zwey- deutigkeit kommt hier vor.
Wenn aber die Wörter haben und seyn an und vor sich was bedeuten und rechte Haupt-Wörter abgeben: als- dann ist es sehr ungeschickt, dieselben auszulassen. Z. E. Opitz im Vesuvius schreibt
Verzeihe mir mit Gnade, Daß ich unangesagt mit Schrifften dich belade, Die gar zu schlecht für dich. Jch weiß etc.
Und bald hernach in demselben Gedichte:
Alsdann kan erst ein Mensch sich einen Menschen nennen, Wenn seine Lust ihn trägt, was über uns, zu kennen.
Hier ist in der ersten Stelle das Wort sind, und in der andern das ist ausgelassen. Gleichwohl sind dieselben hier als rechte Haupt-Wörter anzusehen; ohne die man den Satz unmöglich verstehen kan. Solchen Stellen unsrer ehrlichen Alten, die doch unrein sind, folgen viele neuere nach, und verderben dadurch die Sprache aufs äusserste: zumahl wenn sie gar das hat und haben in dergleichen Fäl- len ersparen wollen. Was ich aber an Opitzen entschul-
digen
Q 4
Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtaͤndlich geworden waͤre. So gehts auch in allen Faͤllen, wo das haben ein Huͤlfs-Wort. Z. E. Opitz:
Was kan ein Herr, ein Fuͤrſt, ein Koͤnig beſſers leſen, Als was fuͤr uns und ihm geſchehen und geweſen, Wie manches ſtoltze Reich entſprungen und verkehrt, Wie Voͤlcker itzt gebluͤht, und wieder durch das Schwerdt Den Untergang geſchaut.
Hier iſt zuletzt bey gebluͤht, und beſchaut das haben ohne Fehler ausgelaſſen; ſo wie in der andern Zeile bey geſche- hen und geweſen das iſt. Nur bey der dritten kan ichs nicht gut heißen, daß zwey ungleiche Woͤrter, entſprun- gen und verkehrt verbunden worden, da ſie doch nicht ei- nerley Huͤlfs-Wort haben koͤnnen, weil das erſte iſt, das andre aber worden haͤtte haben ſollen. Und dieſes wor- den haͤtte gar nicht ausbleiben muͤſſen, um den Verſtand recht auszudruͤcken. Verkehrt kan auch wirckſam, und nicht nur leidend erklaͤret werden: nachdem entweder hat oder worden darunter verſtanden wird; und dieſe Zwey- deutigkeit kommt hier vor.
Wenn aber die Woͤrter haben und ſeyn an und vor ſich was bedeuten und rechte Haupt-Woͤrter abgeben: als- dann iſt es ſehr ungeſchickt, dieſelben auszulaſſen. Z. E. Opitz im Veſuvius ſchreibt
Verzeihe mir mit Gnade, Daß ich unangeſagt mit Schrifften dich belade, Die gar zu ſchlecht fuͤr dich. Jch weiß ꝛc.
Und bald hernach in demſelben Gedichte:
Alsdann kan erſt ein Menſch ſich einen Menſchen nennen, Wenn ſeine Luſt ihn traͤgt, was uͤber uns, zu kennen.
Hier iſt in der erſten Stelle das Wort ſind, und in der andern das iſt ausgelaſſen. Gleichwohl ſind dieſelben hier als rechte Haupt-Woͤrter anzuſehen; ohne die man den Satz unmoͤglich verſtehen kan. Solchen Stellen unſrer ehrlichen Alten, die doch unrein ſind, folgen viele neuere nach, und verderben dadurch die Sprache aufs aͤuſſerſte: zumahl wenn ſie gar das hat und haben in dergleichen Faͤl- len erſparen wollen. Was ich aber an Opitzen entſchul-
digen
Q 4
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[247/0275]
Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtaͤndlich geworden waͤre. So gehts auch in allen Faͤllen,
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Was kan ein Herr, ein Fuͤrſt, ein Koͤnig beſſers leſen,
Als was fuͤr uns und ihm geſchehen und geweſen,
Wie manches ſtoltze Reich entſprungen und verkehrt,
Wie Voͤlcker itzt gebluͤht, und wieder durch das Schwerdt
Den Untergang geſchaut.
Hier iſt zuletzt bey gebluͤht, und beſchaut das haben ohne
Fehler ausgelaſſen; ſo wie in der andern Zeile bey geſche-
hen und geweſen das iſt. Nur bey der dritten kan ichs
nicht gut heißen, daß zwey ungleiche Woͤrter, entſprun-
gen und verkehrt verbunden worden, da ſie doch nicht ei-
nerley Huͤlfs-Wort haben koͤnnen, weil das erſte iſt, das
andre aber worden haͤtte haben ſollen. Und dieſes wor-
den haͤtte gar nicht ausbleiben muͤſſen, um den Verſtand
recht auszudruͤcken. Verkehrt kan auch wirckſam, und
nicht nur leidend erklaͤret werden: nachdem entweder hat
oder worden darunter verſtanden wird; und dieſe Zwey-
deutigkeit kommt hier vor.
Wenn aber die Woͤrter haben und ſeyn an und vor
ſich was bedeuten und rechte Haupt-Woͤrter abgeben: als-
dann iſt es ſehr ungeſchickt, dieſelben auszulaſſen. Z. E.
Opitz im Veſuvius ſchreibt
Verzeihe mir mit Gnade,
Daß ich unangeſagt mit Schrifften dich belade,
Die gar zu ſchlecht fuͤr dich. Jch weiß ꝛc.
Und bald hernach in demſelben Gedichte:
Alsdann kan erſt ein Menſch ſich einen Menſchen nennen,
Wenn ſeine Luſt ihn traͤgt, was uͤber uns, zu kennen.
Hier iſt in der erſten Stelle das Wort ſind, und in der
andern das iſt ausgelaſſen. Gleichwohl ſind dieſelben hier
als rechte Haupt-Woͤrter anzuſehen; ohne die man den
Satz unmoͤglich verſtehen kan. Solchen Stellen unſrer
ehrlichen Alten, die doch unrein ſind, folgen viele neuere
nach, und verderben dadurch die Sprache aufs aͤuſſerſte:
zumahl wenn ſie gar das hat und haben in dergleichen Faͤl-
len erſparen wollen. Was ich aber an Opitzen entſchul-
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Q 4
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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