Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von verblümten Redens-Arten.

Die Metaphore ist also eine verblümte Redensart, wo
man anstatt eines Wortes, so sich in eigentlichem Verstande
zu der Sache schicket, ein anderes nimmt, welches eine gewis-
se Aehnlichkeit damit hat, und also ein kurtzes Gleichniß in
sich schließet. Zum Exempel Flemming schreibt in einer Ode
p. 363. die demantenen Gewässer, und bald hernach ge-
denckt er der buhlerischen Sterne. Wir haben schon oben
die verwachte Rose, die taumelnden Cypressen, die gesun-
den Schatten
und schlummernden Gewächse aus eben
diesem Poeten angeführet. Dieses sind lauter metaphori-
sche Ausdrückungen. Jm eigentlichen Verstande hätte
man sagen müssen: Die klaren Gewässer, die blinckenden
Sterne, die verwelckte Rose, die hin und her wanckenden
Cypressen; die kühlen Schatten; und die ruhigen Gewäch-
se. Aber der Poet führet uns durch seine geistreiche Bey-
wörter auf gantz andre Begriffe. Die allernechsten Wör-
ter sind ihm zu schlecht; er holet sich von weitem gantz unge-
meine Gedancken her, die sich aber zur Sache schicken, und
dem Verstande sehr angenehme Bilder machen, wenn er die
Aehnlichkeit derselben einsieht.

Eben dergleichen Metaphoren können auch in Nenn-
wörtern und Hauptwörtern, ja fast in allen andern vorkom-
men, z. E. Canitz schreibt:

Jsts ihm nicht mehr vergönnt zu küssen eine Docke,
Die ihre freche Stirn mit Thürmen überhäuft etc.

Da ist das Wort Thürme, vor den hohen Kopfputz ge-
braucht, der vor zwanzig oder dreyßig Jahren Mode gewe-
sen. Eben so hat Heräus die großen Perrücken beschrieben:
p. 248.

Der weisbestäubte Busch, der gantze Leiber deckt.

Jmgleichen Opitz, nennt ein Frauenzimmer ein Bild; wegen
der Schönheit, die man in Bildern am vollkommensten fin-
den kan. p. 165. der Poet. Wäld.

Hier geht ein schönes Bild,
Wo nichts zu spüren war, als ungezähmtes Wild.

Von Hauptwörtern mögen folgende Exempel dienen. He-
räus sagt, ein Fleißiger habe Minuten zu zehlen:

Wie
Von verbluͤmten Redens-Arten.

Die Metaphore iſt alſo eine verbluͤmte Redensart, wo
man anſtatt eines Wortes, ſo ſich in eigentlichem Verſtande
zu der Sache ſchicket, ein anderes nimmt, welches eine gewiſ-
ſe Aehnlichkeit damit hat, und alſo ein kurtzes Gleichniß in
ſich ſchließet. Zum Exempel Flemming ſchreibt in einer Ode
p. 363. die demantenen Gewaͤſſer, und bald hernach ge-
denckt er der buhleriſchen Sterne. Wir haben ſchon oben
die verwachte Roſe, die taumelnden Cypreſſen, die geſun-
den Schatten
und ſchlummernden Gewaͤchſe aus eben
dieſem Poeten angefuͤhret. Dieſes ſind lauter metaphori-
ſche Ausdruͤckungen. Jm eigentlichen Verſtande haͤtte
man ſagen muͤſſen: Die klaren Gewaͤſſer, die blinckenden
Sterne, die verwelckte Roſe, die hin und her wanckenden
Cypreſſen; die kuͤhlen Schatten; und die ruhigen Gewaͤch-
ſe. Aber der Poet fuͤhret uns durch ſeine geiſtreiche Bey-
woͤrter auf gantz andre Begriffe. Die allernechſten Woͤr-
ter ſind ihm zu ſchlecht; er holet ſich von weitem gantz unge-
meine Gedancken her, die ſich aber zur Sache ſchicken, und
dem Verſtande ſehr angenehme Bilder machen, wenn er die
Aehnlichkeit derſelben einſieht.

Eben dergleichen Metaphoren koͤnnen auch in Nenn-
woͤrtern und Hauptwoͤrtern, ja faſt in allen andern vorkom-
men, z. E. Canitz ſchreibt:

Jſts ihm nicht mehr vergoͤnnt zu kuͤſſen eine Docke,
Die ihre freche Stirn mit Thuͤrmen uͤberhaͤuft ꝛc.

Da iſt das Wort Thuͤrme, vor den hohen Kopfputz ge-
braucht, der vor zwanzig oder dreyßig Jahren Mode gewe-
ſen. Eben ſo hat Heraͤus die großen Perruͤcken beſchrieben:
p. 248.

Der weisbeſtaͤubte Buſch, der gantze Leiber deckt.

Jmgleichen Opitz, nennt ein Frauenzimmer ein Bild; wegen
der Schoͤnheit, die man in Bildern am vollkommenſten fin-
den kan. p. 165. der Poet. Waͤld.

Hier geht ein ſchoͤnes Bild,
Wo nichts zu ſpuͤren war, als ungezaͤhmtes Wild.

Von Hauptwoͤrtern moͤgen folgende Exempel dienen. He-
raͤus ſagt, ein Fleißiger habe Minuten zu zehlen:

Wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0247" n="219"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von verblu&#x0364;mten Redens-Arten.</hi> </fw><lb/>
          <p>Die Metaphore i&#x017F;t al&#x017F;o eine verblu&#x0364;mte Redensart, wo<lb/>
man an&#x017F;tatt eines Wortes, &#x017F;o &#x017F;ich in eigentlichem Ver&#x017F;tande<lb/>
zu der Sache &#x017F;chicket, ein anderes nimmt, welches eine gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e Aehnlichkeit damit hat, und al&#x017F;o ein kurtzes Gleichniß in<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chließet. Zum Exempel Flemming &#x017F;chreibt in einer Ode<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 363. <hi rendition="#fr">die demantenen Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er,</hi> und bald hernach ge-<lb/>
denckt er <hi rendition="#fr">der buhleri&#x017F;chen Sterne.</hi> Wir haben &#x017F;chon oben<lb/>
die <hi rendition="#fr">verwachte Ro&#x017F;e,</hi> die <hi rendition="#fr">taumelnden Cypre&#x017F;&#x017F;en,</hi> die <hi rendition="#fr">ge&#x017F;un-<lb/>
den Schatten</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;chlummernden Gewa&#x0364;ch&#x017F;e</hi> aus eben<lb/>
die&#x017F;em Poeten angefu&#x0364;hret. Die&#x017F;es &#x017F;ind lauter metaphori-<lb/>
&#x017F;che Ausdru&#x0364;ckungen. Jm eigentlichen Ver&#x017F;tande ha&#x0364;tte<lb/>
man &#x017F;agen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: Die klaren Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, die blinckenden<lb/>
Sterne, die verwelckte Ro&#x017F;e, die hin und her wanckenden<lb/>
Cypre&#x017F;&#x017F;en; die ku&#x0364;hlen Schatten; und die ruhigen Gewa&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;e. Aber der Poet fu&#x0364;hret uns durch &#x017F;eine gei&#x017F;treiche Bey-<lb/>
wo&#x0364;rter auf gantz andre Begriffe. Die allernech&#x017F;ten Wo&#x0364;r-<lb/>
ter &#x017F;ind ihm zu &#x017F;chlecht; er holet &#x017F;ich von weitem gantz unge-<lb/>
meine Gedancken her, die &#x017F;ich aber zur Sache &#x017F;chicken, und<lb/>
dem Ver&#x017F;tande &#x017F;ehr angenehme Bilder machen, wenn er die<lb/>
Aehnlichkeit der&#x017F;elben ein&#x017F;ieht.</p><lb/>
          <p>Eben dergleichen Metaphoren ko&#x0364;nnen auch in Nenn-<lb/>
wo&#x0364;rtern und Hauptwo&#x0364;rtern, ja fa&#x017F;t in allen andern vorkom-<lb/>
men, z. E. Canitz &#x017F;chreibt:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>J&#x017F;ts ihm nicht mehr vergo&#x0364;nnt zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en eine Docke,<lb/>
Die ihre freche Stirn mit Thu&#x0364;rmen u&#x0364;berha&#x0364;uft &#xA75B;c.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Da i&#x017F;t das Wort <hi rendition="#fr">Thu&#x0364;rme,</hi> vor den hohen Kopfputz ge-<lb/>
braucht, der vor zwanzig oder dreyßig Jahren Mode gewe-<lb/>
&#x017F;en. Eben &#x017F;o hat Hera&#x0364;us die großen Perru&#x0364;cken be&#x017F;chrieben:<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 248.</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Der weisbe&#x017F;ta&#x0364;ubte Bu&#x017F;ch, der gantze Leiber deckt.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Jmgleichen Opitz, nennt ein Frauenzimmer ein Bild; wegen<lb/>
der Scho&#x0364;nheit, die man in Bildern am vollkommen&#x017F;ten fin-<lb/>
den kan. <hi rendition="#aq">p.</hi> 165. der Poet. Wa&#x0364;ld.</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Hier geht ein &#x017F;cho&#x0364;nes Bild,<lb/>
Wo nichts zu &#x017F;pu&#x0364;ren war, als ungeza&#x0364;hmtes Wild.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Von Hauptwo&#x0364;rtern mo&#x0364;gen folgende Exempel dienen. He-<lb/>
ra&#x0364;us &#x017F;agt, ein Fleißiger habe Minuten zu zehlen:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0247] Von verbluͤmten Redens-Arten. Die Metaphore iſt alſo eine verbluͤmte Redensart, wo man anſtatt eines Wortes, ſo ſich in eigentlichem Verſtande zu der Sache ſchicket, ein anderes nimmt, welches eine gewiſ- ſe Aehnlichkeit damit hat, und alſo ein kurtzes Gleichniß in ſich ſchließet. Zum Exempel Flemming ſchreibt in einer Ode p. 363. die demantenen Gewaͤſſer, und bald hernach ge- denckt er der buhleriſchen Sterne. Wir haben ſchon oben die verwachte Roſe, die taumelnden Cypreſſen, die geſun- den Schatten und ſchlummernden Gewaͤchſe aus eben dieſem Poeten angefuͤhret. Dieſes ſind lauter metaphori- ſche Ausdruͤckungen. Jm eigentlichen Verſtande haͤtte man ſagen muͤſſen: Die klaren Gewaͤſſer, die blinckenden Sterne, die verwelckte Roſe, die hin und her wanckenden Cypreſſen; die kuͤhlen Schatten; und die ruhigen Gewaͤch- ſe. Aber der Poet fuͤhret uns durch ſeine geiſtreiche Bey- woͤrter auf gantz andre Begriffe. Die allernechſten Woͤr- ter ſind ihm zu ſchlecht; er holet ſich von weitem gantz unge- meine Gedancken her, die ſich aber zur Sache ſchicken, und dem Verſtande ſehr angenehme Bilder machen, wenn er die Aehnlichkeit derſelben einſieht. Eben dergleichen Metaphoren koͤnnen auch in Nenn- woͤrtern und Hauptwoͤrtern, ja faſt in allen andern vorkom- men, z. E. Canitz ſchreibt: Jſts ihm nicht mehr vergoͤnnt zu kuͤſſen eine Docke, Die ihre freche Stirn mit Thuͤrmen uͤberhaͤuft ꝛc. Da iſt das Wort Thuͤrme, vor den hohen Kopfputz ge- braucht, der vor zwanzig oder dreyßig Jahren Mode gewe- ſen. Eben ſo hat Heraͤus die großen Perruͤcken beſchrieben: p. 248. Der weisbeſtaͤubte Buſch, der gantze Leiber deckt. Jmgleichen Opitz, nennt ein Frauenzimmer ein Bild; wegen der Schoͤnheit, die man in Bildern am vollkommenſten fin- den kan. p. 165. der Poet. Waͤld. Hier geht ein ſchoͤnes Bild, Wo nichts zu ſpuͤren war, als ungezaͤhmtes Wild. Von Hauptwoͤrtern moͤgen folgende Exempel dienen. He- raͤus ſagt, ein Fleißiger habe Minuten zu zehlen: Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/247
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/247>, abgerufen am 20.04.2024.