Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Das VII. Capitel
sehen meynet, dem kan man seinen Geschmack wohl lassen;
aber wer was wahres und gründliches dem scheinbaren vor-
ziehen will und kan, der wird besser thun, wenn er alle diese
Klapperwercke sorgfältig vermeidet. Die Exempel großer
Leute, so sich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht
aus. Man hat freylich in Virgils Schäfergedichten der-
gleichen eins gefunden:

Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo,
Tres pateat cacli spatium non amplius vlnas?

Dieses Rätzel besteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts
caeli, welches entweder von Cälius herkommt, und also das
Grab eines gewissen Caelii zu verstehen giebt: oder von Cae-
lum
ein Abfall ist, und also die Breite des Himmels andeu-
tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres,
ein Gesetze, so dieses geitzigen Mannes Nahmen führete,
weil es unter seinem Bürgermeisteramte gegeben war, Jus
Verrinum
genennet, und also vermittelst einer Zweydeutigkeit
es eine Schweinsbrühe nennen wollen. Allein der Poet kan
leicht damit entschuldiget werden, daß er sein Rätzel in den
Mund eines einfältigen Schäfers leget, der auf dem Dorfe
leicht etwas vor schön halten konnte, was doch Virgil selbst
vor was schlechtes hielte. Der Redner aber ist seines Wort-
spieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critisiret wor-
den, wie aus dem Gespräche von den Ursachen der verfalle-
nen Beredsamkeit erhellet. Siehe die Uebersetzung dessel-
ben vor meiner Rede-Kunst p. 40. Von Opitzen und andern
Poeten unsers Vaterlandes darf man mir also bestoweniger
einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß sie sich zuwei-
len von dem verderbten Geschmacke ihrer Zeiten, gleichsam
wieder ihren Willen hinreißen lassen. Jhr Exempel aber
muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten
Gründen unterstützet ist. Wir folgen vielmehr der Für-
schrifft des Boileau, der in seiner Dichtkunst ausdrücklich
die Wortspiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an-
fänglich die Spitzfündigkeiten und zweydeutigen Worte aus
Jtalien gekommen, und erstlich in die Sinngedichte, her-
nach, da der Pöbel dadurch verblendet wurde, in Madriga-

len,

Das VII. Capitel
ſehen meynet, dem kan man ſeinen Geſchmack wohl laſſen;
aber wer was wahres und gruͤndliches dem ſcheinbaren vor-
ziehen will und kan, der wird beſſer thun, wenn er alle dieſe
Klapperwercke ſorgfaͤltig vermeidet. Die Exempel großer
Leute, ſo ſich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht
aus. Man hat freylich in Virgils Schaͤfergedichten der-
gleichen eins gefunden:

Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo,
Tres pateat cacli ſpatium non amplius vlnas?

Dieſes Raͤtzel beſteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts
caeli, welches entweder von Caͤlius herkommt, und alſo das
Grab eines gewiſſen Caelii zu verſtehen giebt: oder von Cae-
lum
ein Abfall iſt, und alſo die Breite des Himmels andeu-
tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres,
ein Geſetze, ſo dieſes geitzigen Mannes Nahmen fuͤhrete,
weil es unter ſeinem Buͤrgermeiſteramte gegeben war, Jus
Verrinum
genennet, und alſo vermittelſt einer Zweydeutigkeit
es eine Schweinsbruͤhe nennen wollen. Allein der Poet kan
leicht damit entſchuldiget werden, daß er ſein Raͤtzel in den
Mund eines einfaͤltigen Schaͤfers leget, der auf dem Dorfe
leicht etwas vor ſchoͤn halten konnte, was doch Virgil ſelbſt
vor was ſchlechtes hielte. Der Redner aber iſt ſeines Wort-
ſpieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critiſiret wor-
den, wie aus dem Geſpraͤche von den Urſachen der verfalle-
nen Beredſamkeit erhellet. Siehe die Ueberſetzung deſſel-
ben vor meiner Rede-Kunſt p. 40. Von Opitzen und andern
Poeten unſers Vaterlandes darf man mir alſo beſtoweniger
einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß ſie ſich zuwei-
len von dem verderbten Geſchmacke ihrer Zeiten, gleichſam
wieder ihren Willen hinreißen laſſen. Jhr Exempel aber
muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten
Gruͤnden unterſtuͤtzet iſt. Wir folgen vielmehr der Fuͤr-
ſchrifft des Boileau, der in ſeiner Dichtkunſt ausdruͤcklich
die Wortſpiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an-
faͤnglich die Spitzfuͤndigkeiten und zweydeutigen Worte aus
Jtalien gekommen, und erſtlich in die Sinngedichte, her-
nach, da der Poͤbel dadurch verblendet wurde, in Madriga-

len,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0238" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">VII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
&#x017F;ehen meynet, dem kan man &#x017F;einen Ge&#x017F;chmack wohl la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
aber wer was wahres und gru&#x0364;ndliches dem &#x017F;cheinbaren vor-<lb/>
ziehen will und kan, der wird be&#x017F;&#x017F;er thun, wenn er alle die&#x017F;e<lb/>
Klapperwercke &#x017F;orgfa&#x0364;ltig vermeidet. Die Exempel großer<lb/>
Leute, &#x017F;o &#x017F;ich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht<lb/>
aus. Man hat freylich in Virgils Scha&#x0364;fergedichten der-<lb/>
gleichen eins gefunden:</p><lb/>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#aq">Dic quibus in terris, &amp; eris mihi magnus Apollo,<lb/>
Tres pateat cacli &#x017F;patium non amplius vlnas?</hi> </quote>
            </cit><lb/>
            <p>Die&#x017F;es Ra&#x0364;tzel be&#x017F;teht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts<lb/><hi rendition="#aq">caeli,</hi> welches entweder von Ca&#x0364;lius herkommt, und al&#x017F;o das<lb/>
Grab eines gewi&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">Caelii</hi> zu ver&#x017F;tehen giebt: oder von <hi rendition="#aq">Cae-<lb/>
lum</hi> ein Abfall i&#x017F;t, und al&#x017F;o die Breite des Himmels andeu-<lb/>
tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres,<lb/>
ein Ge&#x017F;etze, &#x017F;o die&#x017F;es geitzigen Mannes Nahmen fu&#x0364;hrete,<lb/>
weil es unter &#x017F;einem Bu&#x0364;rgermei&#x017F;teramte gegeben war, <hi rendition="#aq">Jus<lb/>
Verrinum</hi> genennet, und al&#x017F;o vermittel&#x017F;t einer Zweydeutigkeit<lb/>
es eine Schweinsbru&#x0364;he nennen wollen. Allein der Poet kan<lb/>
leicht damit ent&#x017F;chuldiget werden, daß er &#x017F;ein Ra&#x0364;tzel in den<lb/>
Mund eines einfa&#x0364;ltigen Scha&#x0364;fers leget, der auf dem Dorfe<lb/>
leicht etwas vor &#x017F;cho&#x0364;n halten konnte, was doch Virgil &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
vor was &#x017F;chlechtes hielte. Der Redner aber i&#x017F;t &#x017F;eines Wort-<lb/>
&#x017F;pieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten criti&#x017F;iret wor-<lb/>
den, wie aus dem Ge&#x017F;pra&#x0364;che von den Ur&#x017F;achen der verfalle-<lb/>
nen Bered&#x017F;amkeit erhellet. Siehe die Ueber&#x017F;etzung de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben vor meiner Rede-Kun&#x017F;t <hi rendition="#aq">p.</hi> 40. Von Opitzen und andern<lb/>
Poeten un&#x017F;ers Vaterlandes darf man mir al&#x017F;o be&#x017F;toweniger<lb/>
einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß &#x017F;ie &#x017F;ich zuwei-<lb/>
len von dem verderbten Ge&#x017F;chmacke ihrer Zeiten, gleich&#x017F;am<lb/>
wieder ihren Willen hinreißen la&#x017F;&#x017F;en. Jhr Exempel aber<lb/>
muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten<lb/>
Gru&#x0364;nden unter&#x017F;tu&#x0364;tzet i&#x017F;t. Wir folgen vielmehr der Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;chrifft des Boileau, der in &#x017F;einer Dichtkun&#x017F;t ausdru&#x0364;cklich<lb/>
die Wort&#x017F;piele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an-<lb/>
fa&#x0364;nglich die Spitzfu&#x0364;ndigkeiten und zweydeutigen Worte aus<lb/>
Jtalien gekommen, und er&#x017F;tlich in die Sinngedichte, her-<lb/>
nach, da der Po&#x0364;bel dadurch verblendet wurde, in Madriga-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">len,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0238] Das VII. Capitel ſehen meynet, dem kan man ſeinen Geſchmack wohl laſſen; aber wer was wahres und gruͤndliches dem ſcheinbaren vor- ziehen will und kan, der wird beſſer thun, wenn er alle dieſe Klapperwercke ſorgfaͤltig vermeidet. Die Exempel großer Leute, ſo ſich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht aus. Man hat freylich in Virgils Schaͤfergedichten der- gleichen eins gefunden: Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo, Tres pateat cacli ſpatium non amplius vlnas? Dieſes Raͤtzel beſteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts caeli, welches entweder von Caͤlius herkommt, und alſo das Grab eines gewiſſen Caelii zu verſtehen giebt: oder von Cae- lum ein Abfall iſt, und alſo die Breite des Himmels andeu- tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres, ein Geſetze, ſo dieſes geitzigen Mannes Nahmen fuͤhrete, weil es unter ſeinem Buͤrgermeiſteramte gegeben war, Jus Verrinum genennet, und alſo vermittelſt einer Zweydeutigkeit es eine Schweinsbruͤhe nennen wollen. Allein der Poet kan leicht damit entſchuldiget werden, daß er ſein Raͤtzel in den Mund eines einfaͤltigen Schaͤfers leget, der auf dem Dorfe leicht etwas vor ſchoͤn halten konnte, was doch Virgil ſelbſt vor was ſchlechtes hielte. Der Redner aber iſt ſeines Wort- ſpieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critiſiret wor- den, wie aus dem Geſpraͤche von den Urſachen der verfalle- nen Beredſamkeit erhellet. Siehe die Ueberſetzung deſſel- ben vor meiner Rede-Kunſt p. 40. Von Opitzen und andern Poeten unſers Vaterlandes darf man mir alſo beſtoweniger einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß ſie ſich zuwei- len von dem verderbten Geſchmacke ihrer Zeiten, gleichſam wieder ihren Willen hinreißen laſſen. Jhr Exempel aber muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten Gruͤnden unterſtuͤtzet iſt. Wir folgen vielmehr der Fuͤr- ſchrifft des Boileau, der in ſeiner Dichtkunſt ausdruͤcklich die Wortſpiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an- faͤnglich die Spitzfuͤndigkeiten und zweydeutigen Worte aus Jtalien gekommen, und erſtlich in die Sinngedichte, her- nach, da der Poͤbel dadurch verblendet wurde, in Madriga- len,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/238
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/238>, abgerufen am 25.04.2024.