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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Vom guten Geschmacke eines Poeten.
Valgius, & probat haec Octa vius optimus, atque
Fuscus & haec vtinam Viscorum laudet vterque.
Ambitione relegata te dicere possum
Pollio: te Messalla tuo cum fratre, simulque
Vos Bibuli & Serui, & simul his te candide Furni.
Complures alios, doctos ego quos & amicos
Prudens praetereo, quibus haec sint qualiacunque
Arridere velim: doliturus si placeant spe
Deterius nostra. Demetri teque Tigello
Discipularum inter iubeo plorare cathedras.

Eben das hat Boileau allezeit geklaget, wenn er den
verderbten Geschmack seiner Pariser, die auch das elendeste
Zeug vielmahls schön nenneten und bewunderten, herunter
gemacht. Er versichert, daß seine Zeiten sowohl an närri-
schen Scribenten als an närrischen Bewunderern fruchtbar
gewesen; und setzt hinzu, daß Land und Stadt und Hof kei-
nen Mangel daran gehabt. Das niederträchtigste Werck
habe seine eifrige Verfechter, und ein jeder Narr einen noch
größern gefunden, der ihn bewundert hätte.

Ainsi qu'en sots auteurs,
Notre siecle est fertile en sots a dmirateurs,
Et sans ceux, que fournit la Ville & la Province,
Il en est chez le Duc, il en est chez le Prince.
L'Ouvrage le plus plat a chez les Courtisans,
De tout temps rencontre de zelez Partisans.
Et pour finir enfir par un trait de Satire,
Un Sot trouve toujours un plus Sot, qui l'admire.
Art. Poet. Ch. I.

Von unserm Opitz kan man ein gleiches erweisen. Er
hätte lauter Hans Sachsen-Verse machen müssen, wenn er
der Mode seiner Zeiten hätte folgen wollen. Er muß auch
wohl nicht bey allen so viel Beyfall gefunden haben, als er
verdienete; denn er klagt ausdrücklich darüber, wenn er sich
in dem Briefe an Zinckgräfen, den er in Paris geschrieben,
über die Menge der elenden Poeten beschweret; und sich auf
das Urtheil der Nachwelt beruffet:

Mein rechter Eifer brennet
Nur wieder dieses Volck, das Die Poeten nennet,
Bey dir und auch bey uns, an welchen um und an
Ja nichts Poetisch ist, als daß es lügen kan.
Doch
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Vom guten Geſchmacke eines Poeten.
Valgius, & probat haec Octa vius optimus, atque
Fuſcus & haec vtinam Viſcorum laudet vterque.
Ambitione relegata te dicere poſſum
Pollio: te Meſſalla tuo cum fratre, ſimulque
Vos Bibuli & Serui, & ſimul his te candide Furni.
Complures alios, doctos ego quos & amicos
Prudens praetereo, quibus haec ſint qualiacunque
Arridere velim: doliturus ſi placeant ſpe
Deterius noſtra. Demetri teque Tigello
Diſcipularum inter iubeo plorare cathedras.

Eben das hat Boileau allezeit geklaget, wenn er den
verderbten Geſchmack ſeiner Pariſer, die auch das elendeſte
Zeug vielmahls ſchoͤn nenneten und bewunderten, herunter
gemacht. Er verſichert, daß ſeine Zeiten ſowohl an naͤrri-
ſchen Scribenten als an naͤrriſchen Bewunderern fruchtbar
geweſen; und ſetzt hinzu, daß Land und Stadt und Hof kei-
nen Mangel daran gehabt. Das niedertraͤchtigſte Werck
habe ſeine eifrige Verfechter, und ein jeder Narr einen noch
groͤßern gefunden, der ihn bewundert haͤtte.

Ainſi qu’en ſots auteurs,
Notre ſiecle eſt fertile en ſots a dmirateurs,
Et ſans ceux, que fournit la Ville & la Province,
Il en eſt chez le Duc, il en eſt chez le Prince.
L’Ouvrage le plus plat à chez les Courtiſans,
De tout temps rencontré de zelez Partiſans.
Et pour finir enfir par un trait de Satire,
Un Sot trouve toujours un plus Sot, qui l’admire.
Art. Poet. Ch. I.

Von unſerm Opitz kan man ein gleiches erweiſen. Er
haͤtte lauter Hans Sachſen-Verſe machen muͤſſen, wenn er
der Mode ſeiner Zeiten haͤtte folgen wollen. Er muß auch
wohl nicht bey allen ſo viel Beyfall gefunden haben, als er
verdienete; denn er klagt ausdruͤcklich daruͤber, wenn er ſich
in dem Briefe an Zinckgraͤfen, den er in Paris geſchrieben,
uͤber die Menge der elenden Poeten beſchweret; und ſich auf
das Urtheil der Nachwelt beruffet:

Mein rechter Eifer brennet
Nur wieder dieſes Volck, das Die Poeten nennet,
Bey dir und auch bey uns, an welchen um und an
Ja nichts Poetiſch iſt, als daß es luͤgen kan.
Doch
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[115/0143] Vom guten Geſchmacke eines Poeten. Valgius, & probat haec Octa vius optimus, atque Fuſcus & haec vtinam Viſcorum laudet vterque. Ambitione relegata te dicere poſſum Pollio: te Meſſalla tuo cum fratre, ſimulque Vos Bibuli & Serui, & ſimul his te candide Furni. Complures alios, doctos ego quos & amicos Prudens praetereo, quibus haec ſint qualiacunque Arridere velim: doliturus ſi placeant ſpe Deterius noſtra. Demetri teque Tigello Diſcipularum inter iubeo plorare cathedras. Eben das hat Boileau allezeit geklaget, wenn er den verderbten Geſchmack ſeiner Pariſer, die auch das elendeſte Zeug vielmahls ſchoͤn nenneten und bewunderten, herunter gemacht. Er verſichert, daß ſeine Zeiten ſowohl an naͤrri- ſchen Scribenten als an naͤrriſchen Bewunderern fruchtbar geweſen; und ſetzt hinzu, daß Land und Stadt und Hof kei- nen Mangel daran gehabt. Das niedertraͤchtigſte Werck habe ſeine eifrige Verfechter, und ein jeder Narr einen noch groͤßern gefunden, der ihn bewundert haͤtte. Ainſi qu’en ſots auteurs, Notre ſiecle eſt fertile en ſots a dmirateurs, Et ſans ceux, que fournit la Ville & la Province, Il en eſt chez le Duc, il en eſt chez le Prince. L’Ouvrage le plus plat à chez les Courtiſans, De tout temps rencontré de zelez Partiſans. Et pour finir enfir par un trait de Satire, Un Sot trouve toujours un plus Sot, qui l’admire. Art. Poet. Ch. I. Von unſerm Opitz kan man ein gleiches erweiſen. Er haͤtte lauter Hans Sachſen-Verſe machen muͤſſen, wenn er der Mode ſeiner Zeiten haͤtte folgen wollen. Er muß auch wohl nicht bey allen ſo viel Beyfall gefunden haben, als er verdienete; denn er klagt ausdruͤcklich daruͤber, wenn er ſich in dem Briefe an Zinckgraͤfen, den er in Paris geſchrieben, uͤber die Menge der elenden Poeten beſchweret; und ſich auf das Urtheil der Nachwelt beruffet: Mein rechter Eifer brennet Nur wieder dieſes Volck, das Die Poeten nennet, Bey dir und auch bey uns, an welchen um und an Ja nichts Poetiſch iſt, als daß es luͤgen kan. Doch H 2

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/143>, abgerufen am 20.04.2024.