Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Das III. Capitel
so klugen Römer richten wollen, was würden sie vor elendes
Zeug haben schreiben müssen? Sie suchten also vielmehr mit
ihren Wercken wieder den gemeinen Strom zu schwimmen,
und waren zufrieden, daß sie wenigen Kennern gefielen.

Non ego ventosae plebis suffragia capto.

Jch mag den Beyfall des windigen Pöbels nicht haben;
schreibt Horatz an einem Orte. Noch viel ausführlicher hat
er solches in seiner X Satire des I Buchs zu verstehen gegeben.
Bemühe dich nicht, schreibt er, von dem großen Haufen
bewundert zu werden; und sey mit wenigen Lesern zufrieden.
Bist du so thöricht, zu wünschen, daß von deinen Versen in
den gemeinsten Spielgesellschafften geplaudert werde? Jch
nicht! Genug wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls
würdigen. - - Sollte ich mich um den schmutzigen Pantilius
bekümmern? oder sollte ich mich quälen daß mich Demetrius
hinterrücks durchzieht? oder daß der närrische Fannius, des
Hermogenis Tischgast mich schimpfet? Wenn nur Plotius
und Varius, Mäcenas und Virgilius Valgius und Octa-
vius der gnädigste Kayser nebst dem Fuscus, meine Schriff-
ten gut heissen, wenn nur beyde Visci mich loben. Ja ohne
Ruhm zu melden, kan ich dich noch nennen Pollio, dich Mes-
salla mit deinem Bruder, und euch Bibulos und Servos,
nebst dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andre die ich
als gelehrte Leute und gute Freunde mit Fleiß vorbey gehe:
denen ich aber mit diesen meinen geringen Sachen zu gefallen
wünsche; und mich betrüben würde, wenn sie ihnen nicht so
wohl, als ich wünsche, gefallen sollten. Dich aber Deme-
trius und dich, du guter Tigellius, lasse ich unter den Schul-
bäncken des Frauenzimmers, denen ihr als euren Schülerin-
nen gefallet, euer Unglück beweinen.

Neque te vt miretur turba labores;
Contentus paucis lectoribus. An tua, demens,
Nilibus in ludis dictari carmina malis?
Non ego. Nam satis est equitem mihi plaudere
Men, moueat cimex Pantilius? aut crucies, quod
Vellicet absentem Demetrius? aut quod ineptus
Fannius, Hermogenis laedat conuiua Tigelli?
Plotius & Varius, Maecenas, Virgiliusque,
Val-

Das III. Capitel
ſo klugen Roͤmer richten wollen, was wuͤrden ſie vor elendes
Zeug haben ſchreiben muͤſſen? Sie ſuchten alſo vielmehr mit
ihren Wercken wieder den gemeinen Strom zu ſchwimmen,
und waren zufrieden, daß ſie wenigen Kennern gefielen.

Non ego ventoſae plebis ſuffragia capto.

Jch mag den Beyfall des windigen Poͤbels nicht haben;
ſchreibt Horatz an einem Orte. Noch viel ausfuͤhrlicher hat
er ſolches in ſeiner X Satire des I Buchs zu verſtehen gegeben.
Bemuͤhe dich nicht, ſchreibt er, von dem großen Haufen
bewundert zu werden; und ſey mit wenigen Leſern zufrieden.
Biſt du ſo thoͤricht, zu wuͤnſchen, daß von deinen Verſen in
den gemeinſten Spielgeſellſchafften geplaudert werde? Jch
nicht! Genug wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls
wuͤrdigen. ‒ ‒ Sollte ich mich um den ſchmutzigen Pantilius
bekuͤmmern? oder ſollte ich mich quaͤlen daß mich Demetrius
hinterruͤcks durchzieht? oder daß der naͤrriſche Fannius, des
Hermogenis Tiſchgaſt mich ſchimpfet? Wenn nur Plotius
und Varius, Maͤcenas und Virgilius Valgius und Octa-
vius der gnaͤdigſte Kayſer nebſt dem Fuſcus, meine Schriff-
ten gut heiſſen, wenn nur beyde Viſci mich loben. Ja ohne
Ruhm zu melden, kan ich dich noch nennen Pollio, dich Meſ-
ſalla mit deinem Bruder, und euch Bibulos und Servos,
nebſt dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andre die ich
als gelehrte Leute und gute Freunde mit Fleiß vorbey gehe:
denen ich aber mit dieſen meinen geringen Sachen zu gefallen
wuͤnſche; und mich betruͤben wuͤrde, wenn ſie ihnen nicht ſo
wohl, als ich wuͤnſche, gefallen ſollten. Dich aber Deme-
trius und dich, du guter Tigellius, laſſe ich unter den Schul-
baͤncken des Frauenzimmers, denen ihr als euren Schuͤlerin-
nen gefallet, euer Ungluͤck beweinen.

Neque te vt miretur turba labores;
Contentus paucis lectoribus. An tua, demens,
Nilibus in ludis dictari carmina malis?
Non ego. Nam ſatis eſt equitem mihi plaudere
Men, moueat cimex Pantilius? aut crucies, quod
Vellicet abſentem Demetrius? aut quod ineptus
Fannius, Hermogenis laedat conuiua Tigelli?
Plotius & Varius, Maecenas, Virgiliusque,
Val-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="114"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">III.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
&#x017F;o klugen Ro&#x0364;mer richten wollen, was wu&#x0364;rden &#x017F;ie vor elendes<lb/>
Zeug haben &#x017F;chreiben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en? Sie &#x017F;uchten al&#x017F;o vielmehr mit<lb/>
ihren Wercken wieder den gemeinen Strom zu &#x017F;chwimmen,<lb/>
und waren zufrieden, daß &#x017F;ie wenigen Kennern gefielen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#aq">Non ego vento&#x017F;ae plebis &#x017F;uffragia capto.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Jch mag den Beyfall des windigen Po&#x0364;bels nicht haben;<lb/>
&#x017F;chreibt Horatz an einem Orte. Noch viel ausfu&#x0364;hrlicher hat<lb/>
er &#x017F;olches in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">X</hi> Satire des <hi rendition="#aq">I</hi> Buchs zu ver&#x017F;tehen gegeben.<lb/>
Bemu&#x0364;he dich nicht, &#x017F;chreibt er, von dem großen Haufen<lb/>
bewundert zu werden; und &#x017F;ey mit wenigen Le&#x017F;ern zufrieden.<lb/>
Bi&#x017F;t du &#x017F;o tho&#x0364;richt, zu wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß von deinen Ver&#x017F;en in<lb/>
den gemein&#x017F;ten Spielge&#x017F;ell&#x017F;chafften geplaudert werde? Jch<lb/>
nicht! Genug wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls<lb/>
wu&#x0364;rdigen. &#x2012; &#x2012; Sollte ich mich um den &#x017F;chmutzigen Pantilius<lb/>
beku&#x0364;mmern? oder &#x017F;ollte ich mich qua&#x0364;len daß mich Demetrius<lb/>
hinterru&#x0364;cks durchzieht? oder daß der na&#x0364;rri&#x017F;che Fannius, des<lb/>
Hermogenis Ti&#x017F;chga&#x017F;t mich &#x017F;chimpfet? Wenn nur Plotius<lb/>
und Varius, Ma&#x0364;cenas und Virgilius Valgius und Octa-<lb/>
vius der gna&#x0364;dig&#x017F;te Kay&#x017F;er neb&#x017F;t dem Fu&#x017F;cus, meine Schriff-<lb/>
ten gut hei&#x017F;&#x017F;en, wenn nur beyde Vi&#x017F;ci mich loben. Ja ohne<lb/>
Ruhm zu melden, kan ich dich noch nennen Pollio, dich Me&#x017F;-<lb/>
&#x017F;alla mit deinem Bruder, und euch Bibulos und Servos,<lb/>
neb&#x017F;t dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andre die ich<lb/>
als gelehrte Leute und gute Freunde mit Fleiß vorbey gehe:<lb/>
denen ich aber mit die&#x017F;en meinen geringen Sachen zu gefallen<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;che; und mich betru&#x0364;ben wu&#x0364;rde, wenn &#x017F;ie ihnen nicht &#x017F;o<lb/>
wohl, als ich wu&#x0364;n&#x017F;che, gefallen &#x017F;ollten. Dich aber Deme-<lb/>
trius und dich, du guter Tigellius, la&#x017F;&#x017F;e ich unter den Schul-<lb/>
ba&#x0364;ncken des Frauenzimmers, denen ihr als euren Schu&#x0364;lerin-<lb/>
nen gefallet, euer Unglu&#x0364;ck beweinen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et">Neque te vt miretur turba labores;</hi> </hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Contentus paucis lectoribus. An tua, demens,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Nilibus in ludis dictari carmina malis?</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Non ego. Nam &#x017F;atis e&#x017F;t equitem mihi plaudere</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Men, moueat cimex Pantilius? aut crucies, quod</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Vellicet ab&#x017F;entem Demetrius? aut quod ineptus</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Fannius, Hermogenis laedat conuiua Tigelli?</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Plotius &amp; Varius, Maecenas, Virgiliusque,</hi> </l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Val-</hi> </fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0142] Das III. Capitel ſo klugen Roͤmer richten wollen, was wuͤrden ſie vor elendes Zeug haben ſchreiben muͤſſen? Sie ſuchten alſo vielmehr mit ihren Wercken wieder den gemeinen Strom zu ſchwimmen, und waren zufrieden, daß ſie wenigen Kennern gefielen. Non ego ventoſae plebis ſuffragia capto. Jch mag den Beyfall des windigen Poͤbels nicht haben; ſchreibt Horatz an einem Orte. Noch viel ausfuͤhrlicher hat er ſolches in ſeiner X Satire des I Buchs zu verſtehen gegeben. Bemuͤhe dich nicht, ſchreibt er, von dem großen Haufen bewundert zu werden; und ſey mit wenigen Leſern zufrieden. Biſt du ſo thoͤricht, zu wuͤnſchen, daß von deinen Verſen in den gemeinſten Spielgeſellſchafften geplaudert werde? Jch nicht! Genug wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls wuͤrdigen. ‒ ‒ Sollte ich mich um den ſchmutzigen Pantilius bekuͤmmern? oder ſollte ich mich quaͤlen daß mich Demetrius hinterruͤcks durchzieht? oder daß der naͤrriſche Fannius, des Hermogenis Tiſchgaſt mich ſchimpfet? Wenn nur Plotius und Varius, Maͤcenas und Virgilius Valgius und Octa- vius der gnaͤdigſte Kayſer nebſt dem Fuſcus, meine Schriff- ten gut heiſſen, wenn nur beyde Viſci mich loben. Ja ohne Ruhm zu melden, kan ich dich noch nennen Pollio, dich Meſ- ſalla mit deinem Bruder, und euch Bibulos und Servos, nebſt dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andre die ich als gelehrte Leute und gute Freunde mit Fleiß vorbey gehe: denen ich aber mit dieſen meinen geringen Sachen zu gefallen wuͤnſche; und mich betruͤben wuͤrde, wenn ſie ihnen nicht ſo wohl, als ich wuͤnſche, gefallen ſollten. Dich aber Deme- trius und dich, du guter Tigellius, laſſe ich unter den Schul- baͤncken des Frauenzimmers, denen ihr als euren Schuͤlerin- nen gefallet, euer Ungluͤck beweinen. Neque te vt miretur turba labores; Contentus paucis lectoribus. An tua, demens, Nilibus in ludis dictari carmina malis? Non ego. Nam ſatis eſt equitem mihi plaudere Men, moueat cimex Pantilius? aut crucies, quod Vellicet abſentem Demetrius? aut quod ineptus Fannius, Hermogenis laedat conuiua Tigelli? Plotius & Varius, Maecenas, Virgiliusque, Val-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/142
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/142>, abgerufen am 24.11.2024.