Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel trägt, Den wir durch solche Pest so offt zum Zorne reitzen, Und öffter noch vielleicht als sich die Sterne schneutzen. Daß mehrentheils die Welt in träger Lust verdirbt, Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt, Jst der Poeten Schuld. Der Weyhrauch wird verschwendet, Und manchem Leib und Seel, um die Gebühr, verpfändet, Daß die Unsterblichkeit ihm gar nicht fehlen kan, Der als ein Erdenschwamm sich kaum hervorgethan, Und den sonst anders nichts vom Pöbel unterscheidet, Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet, Da er für jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt, Ein Pfund des eiteln Glücks und schnöden Goldes zehlt. Canitz Sat. von der Poesie.
So groß nun die Niederträchtigkeit der Schmeichler ist; eben so groß ist die Bosheit der Lästerer. Jene wollen das Laster zur Tugend; wie diese die Tugend zum Laster machen. Sie folgen nicht der Billigkeit und Vernunft in Beurtheilung der menschlichen Eigenschafften: sondern ihrem Neide, ihrer Rachgier, oder wohl gar eigennützigen Absichten; wenn sie nehmlich ihre Feder zum Dienste neidischer oder rachgieriger Leute mißbrauchen. Sie werden dadurch Tagelöhner der Bosheit, und Feinde der Tugend: wiewohl sie selten im Stande sind, derselben wircklich zu schaden. Es ist ein gantz an- der Werck mit der satirischen Poesie. Diese ist die Frucht einer gründlichen Sittenlehre, und hat ordentlich die Liebe der Tu- gend zur Mutter, und den Haß der Laster zum Vater. Die wahre Satire greift also nicht unschuldige, sondern schuldige Leute an: ja sie strafet das Böse an sich, ohne die Personen so es an sich haben zu nennen, oder auf eine anzügliche Art zu beschimpfen. Eben der Homerus, der ein so herrlich Talent zum Loben gehabt, hat auch, nach dem Berichte Aristotelis, auf einen gewissen Margites eine Satire gemacht, der weder ein Ackersmann noch ein Wintzer noch ein Schäfer, das ist, gar kein nützliches Glied der menschlichen Gesellschafft war. Denn auf die drey Lebensarten legte sich bey der damahligen Einfalt der Welt alles, was sein Brodt ehrlich erwerben wollte. Ein Mensch also, der keines von allen trieb, war ein Müßiggänger, und verdiente freylich wohl eine Satire. Daß
ein
G
Vom Charactere eines Poeten.
Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel traͤgt, Den wir durch ſolche Peſt ſo offt zum Zorne reitzen, Und oͤffter noch vielleicht als ſich die Sterne ſchneutzen. Daß mehrentheils die Welt in traͤger Luſt verdirbt, Und ſich um wahren Ruhm ſo ſelten mehr bewirbt, Jſt der Poeten Schuld. Der Weyhrauch wird verſchwendet, Und manchem Leib und Seel, um die Gebuͤhr, verpfaͤndet, Daß die Unſterblichkeit ihm gar nicht fehlen kan, Der als ein Erdenſchwamm ſich kaum hervorgethan, Und den ſonſt anders nichts vom Poͤbel unterſcheidet, Als daß ein bloͤder Fuͤrſt ihn an der Seite leidet, Da er fuͤr jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt, Ein Pfund des eiteln Gluͤcks und ſchnoͤden Goldes zehlt. Canitz Sat. von der Poeſie.
So groß nun die Niedertraͤchtigkeit der Schmeichler iſt; eben ſo groß iſt die Bosheit der Laͤſterer. Jene wollen das Laſter zur Tugend; wie dieſe die Tugend zum Laſter machen. Sie folgen nicht der Billigkeit und Vernunft in Beurtheilung der menſchlichen Eigenſchafften: ſondern ihrem Neide, ihrer Rachgier, oder wohl gar eigennuͤtzigen Abſichten; wenn ſie nehmlich ihre Feder zum Dienſte neidiſcher oder rachgieriger Leute mißbrauchen. Sie werden dadurch Tageloͤhner der Bosheit, und Feinde der Tugend: wiewohl ſie ſelten im Stande ſind, derſelben wircklich zu ſchaden. Es iſt ein gantz an- der Werck mit der ſatiriſchen Poeſie. Dieſe iſt die Frucht einer gruͤndlichen Sittenlehre, und hat ordentlich die Liebe der Tu- gend zur Mutter, und den Haß der Laſter zum Vater. Die wahre Satire greift alſo nicht unſchuldige, ſondern ſchuldige Leute an: ja ſie ſtrafet das Boͤſe an ſich, ohne die Perſonen ſo es an ſich haben zu nennen, oder auf eine anzuͤgliche Art zu beſchimpfen. Eben der Homerus, der ein ſo herrlich Talent zum Loben gehabt, hat auch, nach dem Berichte Ariſtotelis, auf einen gewiſſen Margites eine Satire gemacht, der weder ein Ackersmann noch ein Wintzer noch ein Schaͤfer, das iſt, gar kein nuͤtzliches Glied der menſchlichen Geſellſchafft war. Denn auf die drey Lebensarten legte ſich bey der damahligen Einfalt der Welt alles, was ſein Brodt ehrlich erwerben wollte. Ein Menſch alſo, der keines von allen trieb, war ein Muͤßiggaͤnger, und verdiente freylich wohl eine Satire. Daß
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Vom Charactere eines Poeten.
Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel traͤgt,
Den wir durch ſolche Peſt ſo offt zum Zorne reitzen,
Und oͤffter noch vielleicht als ſich die Sterne ſchneutzen.
Daß mehrentheils die Welt in traͤger Luſt verdirbt,
Und ſich um wahren Ruhm ſo ſelten mehr bewirbt,
Jſt der Poeten Schuld. Der Weyhrauch wird verſchwendet,
Und manchem Leib und Seel, um die Gebuͤhr, verpfaͤndet,
Daß die Unſterblichkeit ihm gar nicht fehlen kan,
Der als ein Erdenſchwamm ſich kaum hervorgethan,
Und den ſonſt anders nichts vom Poͤbel unterſcheidet,
Als daß ein bloͤder Fuͤrſt ihn an der Seite leidet,
Da er fuͤr jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt,
Ein Pfund des eiteln Gluͤcks und ſchnoͤden Goldes zehlt.
Canitz Sat. von der Poeſie.
So groß nun die Niedertraͤchtigkeit der Schmeichler iſt; eben
ſo groß iſt die Bosheit der Laͤſterer. Jene wollen das Laſter
zur Tugend; wie dieſe die Tugend zum Laſter machen. Sie
folgen nicht der Billigkeit und Vernunft in Beurtheilung
der menſchlichen Eigenſchafften: ſondern ihrem Neide, ihrer
Rachgier, oder wohl gar eigennuͤtzigen Abſichten; wenn ſie
nehmlich ihre Feder zum Dienſte neidiſcher oder rachgieriger
Leute mißbrauchen. Sie werden dadurch Tageloͤhner der
Bosheit, und Feinde der Tugend: wiewohl ſie ſelten im
Stande ſind, derſelben wircklich zu ſchaden. Es iſt ein gantz an-
der Werck mit der ſatiriſchen Poeſie. Dieſe iſt die Frucht einer
gruͤndlichen Sittenlehre, und hat ordentlich die Liebe der Tu-
gend zur Mutter, und den Haß der Laſter zum Vater. Die
wahre Satire greift alſo nicht unſchuldige, ſondern ſchuldige
Leute an: ja ſie ſtrafet das Boͤſe an ſich, ohne die Perſonen
ſo es an ſich haben zu nennen, oder auf eine anzuͤgliche Art zu
beſchimpfen. Eben der Homerus, der ein ſo herrlich Talent
zum Loben gehabt, hat auch, nach dem Berichte Ariſtotelis,
auf einen gewiſſen Margites eine Satire gemacht, der weder
ein Ackersmann noch ein Wintzer noch ein Schaͤfer, das iſt,
gar kein nuͤtzliches Glied der menſchlichen Geſellſchafft war.
Denn auf die drey Lebensarten legte ſich bey der damahligen
Einfalt der Welt alles, was ſein Brodt ehrlich erwerben
wollte. Ein Menſch alſo, der keines von allen trieb, war ein
Muͤßiggaͤnger, und verdiente freylich wohl eine Satire. Daß
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/125>, abgerufen am 27.11.2024.
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