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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das II. Capitel
schäfftigung. Vor alles was gut ist, und eine wahre Ehre
bringen kan, eine Hochachtung zu bezeigen; das ist einem
wahren Dichter niemahls verwehrt. Vielmehr erfordert
es seine Pflicht, die ihm als einem redlichen Bürger obliegt,
die Tugendhafften auf eine vernünftige Art zu loben, ihr
Gedächtniß zu verewigen, und durch die Beschreibung ihrer
rühmwürdigen Exempel, theils die zu ihrer Zeit Lebenden,
theils auch die Nachkommen zu löblichen Thaten aufzumun-
tern. Eine wahre Ehrliebe ist eine gantz unschuldige Neigung,
und giebt einen Sporn zu vielem Guten ab, wie in der Sit-
tenlehre gewiesen wird. Diese aber wird durch nichts besser
erwecket, als durch ein billiges Lob welches denen wiederfährt,
die sich wohl verhalten, ihrem Vaterlande dienen, gerecht,
freygebig, bescheiden, mäßig, sparsam, wohlthätig, leut-
seelig, standhafft, dienstfertig und gedultig sind. Hier mahlet
ein rechtschaffener Poet das an sich selbst schöne Wesen der
Tugend, in der Person eines tugendhafften Mannes so lie-
bens-würdig ab, daß es alle die es sehen, in sich verliebt macht.
So hat z. E. unser grosser Opitz in den Büchern von Wieder-
wärtigkeit des Krieges, die Fürtrefflichkeit eines im Unglücke
gelassenen und standhafften Mannes, unter dem Bilde des
unüberwindlichen Ulysses abgeschildert. Wie aber dieser
grosse Mann, gleich darauf die falsche Standhafftigkeit des
berühmten Römers Cato, der sich selbst ums Leben gebracht,
entblößet, und den nichtigen Schein seiner so gepriesenen
Unerschrockenheit entdecket: Also hat er durch sein Exempel
gewiesen, daß ein rechtschaffener Dichter sich durch das äus-
serliche Ansehen gleissender Laster nicht müsse blenden lassen.
Das thun aber die Schmeichler theils aus Unverstand, theils
aus Bosheit, und stifften eben durch dieß unvernünftige Lob
viel Schaden.

Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held besungen,
Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen,
Und eine Redensart, die göttlich sollte seyn,
Die ward zu solcher Zeit den Sclaven nie gemein.
Wo lebt itzt der Poet, der dieß Geheimniß schonet?
So bald er einen merckt, der ihm die Arbeit lohnet,
Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt,
Der

Das II. Capitel
ſchaͤfftigung. Vor alles was gut iſt, und eine wahre Ehre
bringen kan, eine Hochachtung zu bezeigen; das iſt einem
wahren Dichter niemahls verwehrt. Vielmehr erfordert
es ſeine Pflicht, die ihm als einem redlichen Buͤrger obliegt,
die Tugendhafften auf eine vernuͤnftige Art zu loben, ihr
Gedaͤchtniß zu verewigen, und durch die Beſchreibung ihrer
ruͤhmwuͤrdigen Exempel, theils die zu ihrer Zeit Lebenden,
theils auch die Nachkommen zu loͤblichen Thaten aufzumun-
tern. Eine wahre Ehrliebe iſt eine gantz unſchuldige Neigung,
und giebt einen Sporn zu vielem Guten ab, wie in der Sit-
tenlehre gewieſen wird. Dieſe aber wird durch nichts beſſer
erwecket, als durch ein billiges Lob welches denen wiederfaͤhrt,
die ſich wohl verhalten, ihrem Vaterlande dienen, gerecht,
freygebig, beſcheiden, maͤßig, ſparſam, wohlthaͤtig, leut-
ſeelig, ſtandhafft, dienſtfertig und gedultig ſind. Hier mahlet
ein rechtſchaffener Poet das an ſich ſelbſt ſchoͤne Weſen der
Tugend, in der Perſon eines tugendhafften Mannes ſo lie-
bens-wuͤrdig ab, daß es alle die es ſehen, in ſich verliebt macht.
So hat z. E. unſer groſſer Opitz in den Buͤchern von Wieder-
waͤrtigkeit des Krieges, die Fuͤrtrefflichkeit eines im Ungluͤcke
gelaſſenen und ſtandhafften Mannes, unter dem Bilde des
unuͤberwindlichen Ulyſſes abgeſchildert. Wie aber dieſer
groſſe Mann, gleich darauf die falſche Standhafftigkeit des
beruͤhmten Roͤmers Cato, der ſich ſelbſt ums Leben gebracht,
entbloͤßet, und den nichtigen Schein ſeiner ſo geprieſenen
Unerſchrockenheit entdecket: Alſo hat er durch ſein Exempel
gewieſen, daß ein rechtſchaffener Dichter ſich durch das aͤuſ-
ſerliche Anſehen gleiſſender Laſter nicht muͤſſe blenden laſſen.
Das thun aber die Schmeichler theils aus Unverſtand, theils
aus Bosheit, und ſtifften eben durch dieß unvernuͤnftige Lob
viel Schaden.

Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held beſungen,
Wenn er nicht durch Verdienſt ſich in die Hoͤh geſchwungen,
Und eine Redensart, die goͤttlich ſollte ſeyn,
Die ward zu ſolcher Zeit den Sclaven nie gemein.
Wo lebt itzt der Poet, der dieß Geheimniß ſchonet?
So bald er einen merckt, der ihm die Arbeit lohnet,
Wird ſeinem Pegaſus der Sattel aufgelegt,
Der
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[96/0124] Das II. Capitel ſchaͤfftigung. Vor alles was gut iſt, und eine wahre Ehre bringen kan, eine Hochachtung zu bezeigen; das iſt einem wahren Dichter niemahls verwehrt. Vielmehr erfordert es ſeine Pflicht, die ihm als einem redlichen Buͤrger obliegt, die Tugendhafften auf eine vernuͤnftige Art zu loben, ihr Gedaͤchtniß zu verewigen, und durch die Beſchreibung ihrer ruͤhmwuͤrdigen Exempel, theils die zu ihrer Zeit Lebenden, theils auch die Nachkommen zu loͤblichen Thaten aufzumun- tern. Eine wahre Ehrliebe iſt eine gantz unſchuldige Neigung, und giebt einen Sporn zu vielem Guten ab, wie in der Sit- tenlehre gewieſen wird. Dieſe aber wird durch nichts beſſer erwecket, als durch ein billiges Lob welches denen wiederfaͤhrt, die ſich wohl verhalten, ihrem Vaterlande dienen, gerecht, freygebig, beſcheiden, maͤßig, ſparſam, wohlthaͤtig, leut- ſeelig, ſtandhafft, dienſtfertig und gedultig ſind. Hier mahlet ein rechtſchaffener Poet das an ſich ſelbſt ſchoͤne Weſen der Tugend, in der Perſon eines tugendhafften Mannes ſo lie- bens-wuͤrdig ab, daß es alle die es ſehen, in ſich verliebt macht. So hat z. E. unſer groſſer Opitz in den Buͤchern von Wieder- waͤrtigkeit des Krieges, die Fuͤrtrefflichkeit eines im Ungluͤcke gelaſſenen und ſtandhafften Mannes, unter dem Bilde des unuͤberwindlichen Ulyſſes abgeſchildert. Wie aber dieſer groſſe Mann, gleich darauf die falſche Standhafftigkeit des beruͤhmten Roͤmers Cato, der ſich ſelbſt ums Leben gebracht, entbloͤßet, und den nichtigen Schein ſeiner ſo geprieſenen Unerſchrockenheit entdecket: Alſo hat er durch ſein Exempel gewieſen, daß ein rechtſchaffener Dichter ſich durch das aͤuſ- ſerliche Anſehen gleiſſender Laſter nicht muͤſſe blenden laſſen. Das thun aber die Schmeichler theils aus Unverſtand, theils aus Bosheit, und ſtifften eben durch dieß unvernuͤnftige Lob viel Schaden. Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held beſungen, Wenn er nicht durch Verdienſt ſich in die Hoͤh geſchwungen, Und eine Redensart, die goͤttlich ſollte ſeyn, Die ward zu ſolcher Zeit den Sclaven nie gemein. Wo lebt itzt der Poet, der dieß Geheimniß ſchonet? So bald er einen merckt, der ihm die Arbeit lohnet, Wird ſeinem Pegaſus der Sattel aufgelegt, Der

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/124>, abgerufen am 24.11.2024.