Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_071.001 Maaßliebchen hält das klare Auge offen, pgo_071.010 Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich, pgo_071.011 Erschrocken, daß im Bade sie betroffen; pgo_071.012 Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage! pgo_071.013 Die kleine Winde pudert sich geschwind pgo_071.014 Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind. pgo_071.015 Daß zu der Hoheit Händen er es trage! pgo_071.016 Die Blumen neigen sich in bösem Grollen, pgo_071.025 Wie Geister des verlassenen Altars! pgo_071.026 Der Mohn mit schwerem Haupt im Mönchsgewand pgo_071.027 Scheint schläfrig noch ein Anathem zu lallen. pgo_071.028 Der Rittersporn erhebt zum Fluch die Hand, pgo_071.029 Ein Lehnsherr, zürnend flüchtigen Vasallen. pgo_071.030 Die Nachtviole schließt die Kelche zu, pgo_071.031 Der Blick der Frevler soll sie nicht entweihn. pgo_071.032 Die Lilie, aufgeschreckt aus bleicher Ruh, pgo_071.033 Bebt schattenhafter noch im Mondenschein u. s. f. pgo_071.034 pgo_071.001 Maaßliebchen hält das klare Auge offen, pgo_071.010 Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich, pgo_071.011 Erschrocken, daß im Bade sie betroffen; pgo_071.012 Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage! pgo_071.013 Die kleine Winde pudert sich geschwind pgo_071.014 Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind. pgo_071.015 Daß zu der Hoheit Händen er es trage! pgo_071.016 Die Blumen neigen sich in bösem Grollen, pgo_071.025 Wie Geister des verlassenen Altars! pgo_071.026 Der Mohn mit schwerem Haupt im Mönchsgewand pgo_071.027 Scheint schläfrig noch ein Anathem zu lallen. pgo_071.028 Der Rittersporn erhebt zum Fluch die Hand, pgo_071.029 Ein Lehnsherr, zürnend flüchtigen Vasallen. pgo_071.030 Die Nachtviole schließt die Kelche zu, pgo_071.031 Der Blick der Frevler soll sie nicht entweihn. pgo_071.032 Die Lilie, aufgeschreckt aus bleicher Ruh, pgo_071.033 Bebt schattenhafter noch im Mondenschein u. s. f. pgo_071.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0093" n="71"/><lb n="pgo_071.001"/> Blumen Rache,“ das leider! viel dazu beigetragen, den Blumenspuk der <lb n="pgo_071.002"/> Modelyrik zu entbinden! Dort ist alles Handlung; die Gestalten sind <lb n="pgo_071.003"/> ihre Träger und ebenso reizend wie angemessen geschildert. Auch in dem <lb n="pgo_071.004"/> Gedichte „<hi rendition="#g">die Lerche</hi>“ von Annette <hi rendition="#g">Droste-Hülshoff,</hi> in welchem <lb n="pgo_071.005"/> allegorisch das Nahen der Sonne als einer Fürstin und der ehrfurchtsvolle <lb n="pgo_071.006"/> Gruß der huldigenden Natur geschildert wird, läßt man sich die <lb n="pgo_071.007"/> kühne Blumensymbolik gefallen, da sie gleichsam im Geiste der Situation <lb n="pgo_071.008"/> gehalten ist:</p> <lb n="pgo_071.009"/> <lg> <l>Maaßliebchen hält das klare Auge offen,</l> <lb n="pgo_071.010"/> <l>Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich,</l> <lb n="pgo_071.011"/> <l>Erschrocken, daß im Bade sie betroffen;</l> <lb n="pgo_071.012"/> <l>Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage!</l> <lb n="pgo_071.013"/> <l>Die kleine Winde pudert sich geschwind</l> <lb n="pgo_071.014"/> <l>Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind.</l> <lb n="pgo_071.015"/> <l>Daß zu der Hoheit Händen er es trage!</l> </lg> <p><lb n="pgo_071.016"/> Noch berechtigter ist diese Beseelung der Blumen, wo sie nur ein Wiederschein <lb n="pgo_071.017"/> des <hi rendition="#g">menschlichen Gemüthes</hi> in einer bestimmten Situation <lb n="pgo_071.018"/> ist, wo der Dichter nur mittelbar durch seinen Helden oder seine Heldin <lb n="pgo_071.019"/> diese Seele in die Blumenwelt hineinschaut. Wenn in meiner „<hi rendition="#g">Göttin</hi>“ <lb n="pgo_071.020"/> Marie, vom Geliebten entführt, auf ihrer Flucht durch den Klostergarten <lb n="pgo_071.021"/> eilt, so mag die folgende Stelle wohl nicht als müßige Malerei erscheinen, <lb n="pgo_071.022"/> sondern als lebendiger Ausdruck der Situation und der angstvoll <lb n="pgo_071.023"/> erregten Empfindung der Heldin:</p> <lb n="pgo_071.024"/> <lg> <l>Die Blumen neigen sich in bösem Grollen,</l> <lb n="pgo_071.025"/> <l>Wie Geister des verlassenen Altars!</l> <lb n="pgo_071.026"/> <l>Der Mohn mit schwerem Haupt im Mönchsgewand</l> <lb n="pgo_071.027"/> <l>Scheint schläfrig noch ein Anathem zu lallen.</l> <lb n="pgo_071.028"/> <l>Der Rittersporn erhebt zum Fluch die Hand,</l> <lb n="pgo_071.029"/> <l>Ein Lehnsherr, zürnend flüchtigen Vasallen.</l> <lb n="pgo_071.030"/> <l>Die Nachtviole schließt die Kelche zu,</l> <lb n="pgo_071.031"/> <l>Der Blick der Frevler soll sie nicht entweihn.</l> <lb n="pgo_071.032"/> <l>Die Lilie, aufgeschreckt aus bleicher Ruh,</l> <lb n="pgo_071.033"/> <l>Bebt schattenhafter noch im Mondenschein u. s. f.</l> </lg> <p><lb n="pgo_071.034"/> Ein meisterhaftes Stimmungsbild aus dem Gebiete der Pflanzenwelt <lb n="pgo_071.035"/> hat uns <hi rendition="#g">Heine</hi> in seinem Liede vom „Fichtenbaum und der Palme“ <lb n="pgo_071.036"/> gegeben. Auch zu Trägern eines Gedankenbildes eignet sich die Blume, <lb n="pgo_071.037"/> wie <hi rendition="#g">Uhland</hi> im „Mohn“ die träumerische Weltanschauung des Dichters, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0093]
pgo_071.001
Blumen Rache,“ das leider! viel dazu beigetragen, den Blumenspuk der pgo_071.002
Modelyrik zu entbinden! Dort ist alles Handlung; die Gestalten sind pgo_071.003
ihre Träger und ebenso reizend wie angemessen geschildert. Auch in dem pgo_071.004
Gedichte „die Lerche“ von Annette Droste-Hülshoff, in welchem pgo_071.005
allegorisch das Nahen der Sonne als einer Fürstin und der ehrfurchtsvolle pgo_071.006
Gruß der huldigenden Natur geschildert wird, läßt man sich die pgo_071.007
kühne Blumensymbolik gefallen, da sie gleichsam im Geiste der Situation pgo_071.008
gehalten ist:
pgo_071.009
Maaßliebchen hält das klare Auge offen, pgo_071.010
Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich, pgo_071.011
Erschrocken, daß im Bade sie betroffen; pgo_071.012
Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage! pgo_071.013
Die kleine Winde pudert sich geschwind pgo_071.014
Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind. pgo_071.015
Daß zu der Hoheit Händen er es trage!
pgo_071.016
Noch berechtigter ist diese Beseelung der Blumen, wo sie nur ein Wiederschein pgo_071.017
des menschlichen Gemüthes in einer bestimmten Situation pgo_071.018
ist, wo der Dichter nur mittelbar durch seinen Helden oder seine Heldin pgo_071.019
diese Seele in die Blumenwelt hineinschaut. Wenn in meiner „Göttin“ pgo_071.020
Marie, vom Geliebten entführt, auf ihrer Flucht durch den Klostergarten pgo_071.021
eilt, so mag die folgende Stelle wohl nicht als müßige Malerei erscheinen, pgo_071.022
sondern als lebendiger Ausdruck der Situation und der angstvoll pgo_071.023
erregten Empfindung der Heldin:
pgo_071.024
Die Blumen neigen sich in bösem Grollen, pgo_071.025
Wie Geister des verlassenen Altars! pgo_071.026
Der Mohn mit schwerem Haupt im Mönchsgewand pgo_071.027
Scheint schläfrig noch ein Anathem zu lallen. pgo_071.028
Der Rittersporn erhebt zum Fluch die Hand, pgo_071.029
Ein Lehnsherr, zürnend flüchtigen Vasallen. pgo_071.030
Die Nachtviole schließt die Kelche zu, pgo_071.031
Der Blick der Frevler soll sie nicht entweihn. pgo_071.032
Die Lilie, aufgeschreckt aus bleicher Ruh, pgo_071.033
Bebt schattenhafter noch im Mondenschein u. s. f.
pgo_071.034
Ein meisterhaftes Stimmungsbild aus dem Gebiete der Pflanzenwelt pgo_071.035
hat uns Heine in seinem Liede vom „Fichtenbaum und der Palme“ pgo_071.036
gegeben. Auch zu Trägern eines Gedankenbildes eignet sich die Blume, pgo_071.037
wie Uhland im „Mohn“ die träumerische Weltanschauung des Dichters,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |