Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_068.001 Zweites Hauptstück. pgo_068.002Der Geist der Dichtkunst. pgo_068.003 Erster Abschnitt. pgo_068.004Die dichterische Stoffwelt. pgo_068.005 pgo_068.012 pgo_068.001 Zweites Hauptstück. pgo_068.002Der Geist der Dichtkunst. pgo_068.003 Erster Abschnitt. pgo_068.004Die dichterische Stoffwelt. pgo_068.005 pgo_068.012 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0090" n="E68"/> <lb n="pgo_068.001"/> <head> <hi rendition="#c">Zweites Hauptstück.</hi> </head> <lb n="pgo_068.002"/> <head> <hi rendition="#c">Der Geist der Dichtkunst. </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="4"> <lb n="pgo_068.003"/> <head> <hi rendition="#c">Erster Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_068.004"/> <head> <hi rendition="#c">Die dichterische Stoffwelt.</hi> </head> <p><lb n="pgo_068.005"/> Die Jdee des Schönen ist <hi rendition="#g">Erscheinung.</hi> Jhre vollkommene <lb n="pgo_068.006"/> Erscheinung ist das vom Geiste hervorgebrachte Kunstwerk; aber auch in <lb n="pgo_068.007"/> der Natur, zu welcher wir hier die Geschichte mitrechnen müssen, erscheint <lb n="pgo_068.008"/> diese Jdee, wenn auch in einer vom Zufall getrübten und gestörten Weise. <lb n="pgo_068.009"/> Die Kunst läutert das Naturschöne durch ihre geistige Reproduction <lb n="pgo_068.010"/> und wählt aus seinem weiten Reiche den Stoff, der ihr am meisten entgegenkommt.</p> <lb n="pgo_068.011"/> <p><lb n="pgo_068.012"/> Von allen Künsten hat die Dichtkunst, die sich im freien Reiche der <lb n="pgo_068.013"/> Phantasie bewegt, die reichste Stoffwelt vor sich; ja sie vereinigt nicht <lb n="pgo_068.014"/> nur die Stoffwelten aller anderen Künste, sondern diese selbst in der ihrigen. <lb n="pgo_068.015"/> Das Werk des Architekten, des Bildhauers, des Malers kann die <lb n="pgo_068.016"/> Muse des Dichters selbst zu Ergüssen begeistern, welche jene Schöpfungen <lb n="pgo_068.017"/> durch das bewegte Wort <hi rendition="#g">ergänzen;</hi> ja der Dichter kann das wortlose <lb n="pgo_068.018"/> Werk des Musikers in bestimmte Anschauungen und Empfindungen übersetzen. <lb n="pgo_068.019"/> Zunächst bietet sich dem Dichter die physikalische und landschaftliche <lb n="pgo_068.020"/> Natur dar, die er aber, wie wir bereits oben gesehen, nicht selbstständig <lb n="pgo_068.021"/> behandeln kann, ohne in die unpoetische Beschreibung zu verfallen. <lb n="pgo_068.022"/> Wir besitzen zwar derartige schildernde Gedichte nicht blos in Bezug auf <lb n="pgo_068.023"/> die Jahreszeiten, sondern sogar auf die Gesundbrunnen mit medicinischdoctrinairem <lb n="pgo_068.024"/> Beigeschmack; doch können wir sie nur für Verirrungen <lb n="pgo_068.025"/> erklären. Dagegen bietet gerade die landschaftliche Natur die reichsten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E68/0090]
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Zweites Hauptstück. pgo_068.002
Der Geist der Dichtkunst.
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Erster Abschnitt. pgo_068.004
Die dichterische Stoffwelt. pgo_068.005
Die Jdee des Schönen ist Erscheinung. Jhre vollkommene pgo_068.006
Erscheinung ist das vom Geiste hervorgebrachte Kunstwerk; aber auch in pgo_068.007
der Natur, zu welcher wir hier die Geschichte mitrechnen müssen, erscheint pgo_068.008
diese Jdee, wenn auch in einer vom Zufall getrübten und gestörten Weise. pgo_068.009
Die Kunst läutert das Naturschöne durch ihre geistige Reproduction pgo_068.010
und wählt aus seinem weiten Reiche den Stoff, der ihr am meisten entgegenkommt.
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Von allen Künsten hat die Dichtkunst, die sich im freien Reiche der pgo_068.013
Phantasie bewegt, die reichste Stoffwelt vor sich; ja sie vereinigt nicht pgo_068.014
nur die Stoffwelten aller anderen Künste, sondern diese selbst in der ihrigen. pgo_068.015
Das Werk des Architekten, des Bildhauers, des Malers kann die pgo_068.016
Muse des Dichters selbst zu Ergüssen begeistern, welche jene Schöpfungen pgo_068.017
durch das bewegte Wort ergänzen; ja der Dichter kann das wortlose pgo_068.018
Werk des Musikers in bestimmte Anschauungen und Empfindungen übersetzen. pgo_068.019
Zunächst bietet sich dem Dichter die physikalische und landschaftliche pgo_068.020
Natur dar, die er aber, wie wir bereits oben gesehen, nicht selbstständig pgo_068.021
behandeln kann, ohne in die unpoetische Beschreibung zu verfallen. pgo_068.022
Wir besitzen zwar derartige schildernde Gedichte nicht blos in Bezug auf pgo_068.023
die Jahreszeiten, sondern sogar auf die Gesundbrunnen mit medicinischdoctrinairem pgo_068.024
Beigeschmack; doch können wir sie nur für Verirrungen pgo_068.025
erklären. Dagegen bietet gerade die landschaftliche Natur die reichsten
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