Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_052.001 pgo_052.008 pgo_052.027 *) pgo_052.032 Richard Wagner, Oper und Drama. Bd. 3. S. 208. **) pgo_052.033
Richard Wagner, das Kunstwerk der Zukunft (1850); Oper und Drama. pgo_052.034 3 Bde. (1852.) pgo_052.001 pgo_052.008 pgo_052.027 *) pgo_052.032 Richard Wagner, Oper und Drama. Bd. 3. S. 208. **) pgo_052.033
Richard Wagner, das Kunstwerk der Zukunft (1850); Oper und Drama. pgo_052.034 3 Bde. (1852.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0074" n="52"/><lb n="pgo_052.001"/> im vorigen Abschnitt erläutert, inwieweit die dichterische Schilderung <lb n="pgo_052.002"/> berechtigt ist. Die Musik ist ganz <hi rendition="#g">Empfindung;</hi> in der Dichtkunst ist <lb n="pgo_052.003"/> die <hi rendition="#g">Empfindung</hi> nur der <hi rendition="#g">Duft,</hi> der über den entrollten Bildern der <lb n="pgo_052.004"/> <hi rendition="#g">Vorstellung</hi> zittert. Die Dichtkunst hat ebensoviel Verwandtschaft <lb n="pgo_052.005"/> mit der Malerei, wie mit der Musik. Nur die vollkommenste Unkenntniß <lb n="pgo_052.006"/> ihres Wesens konnte das Wagner'sche Paradoxon hervorrufen: „Was <lb n="pgo_052.007"/> nicht <hi rendition="#g">werth</hi> ist gesungen zu werden, ist auch nicht der Dichtung werth<note xml:id="PGO_052_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_052.032"/><hi rendition="#g">Richard Wagner,</hi> Oper und Drama. Bd. 3. S. 208.</note>.“</p> <p><lb n="pgo_052.008"/> Wie verhält es sich nun mit der dramatischen Poesie? Hier sehn wir <lb n="pgo_052.009"/> täglich in der <hi rendition="#g">Oper</hi> ihre conventionelle Ehe, neben welcher freilich <lb n="pgo_052.010"/> sowohl Drama, als auch Musik selbstständig fortbestehn. Auf der andern <lb n="pgo_052.011"/> Seite wird uns das „Kunstwerk der Zukunft<note xml:id="PGO_052_2" place="foot" n="**)"><lb n="pgo_052.033"/><hi rendition="#g">Richard Wagner,</hi> das Kunstwerk der Zukunft (1850); <hi rendition="#g">Oper und Drama.</hi> <lb n="pgo_052.034"/> 3 Bde. (1852.)</note>“ offenbart, in welchem <lb n="pgo_052.012"/> diese Ehe nicht nur als eine unauflösliche dargestellt, sondern überhaupt <lb n="pgo_052.013"/> jeder von beiden Künsten die Berechtigung einer selbstständigen Existenz <lb n="pgo_052.014"/> abgesprochen wird. Wenn wir das Verdienst dieser reformatorischen <lb n="pgo_052.015"/> That darauf beschränken, für die Vereinigung beider Künste eine neue, <lb n="pgo_052.016"/> aber keineswegs ausschließliche Form gefunden zu haben, und die Regeln, <lb n="pgo_052.017"/> welche für die reformirte <hi rendition="#g">Dichtkunst</hi> gelten sollen, nur auf die reformirten <lb n="pgo_052.018"/> <hi rendition="#g">Operntexte</hi> beziehn: so erscheinen viele Behauptungen des <lb n="pgo_052.019"/> ebenso schwerfälligen wie paradoxen Denkers, den man einen auf den <lb n="pgo_052.020"/> Kopf gestellten <hi rendition="#g">Lessing</hi> nennen könnte, weil er mit demselben Eifer, <lb n="pgo_052.021"/> wie jener auf die <hi rendition="#g">Sonderung</hi> der Künste und Kunstgattungen, auf <lb n="pgo_052.022"/> ihre <hi rendition="#g">Vereinigung</hi> bedacht ist, in einem günstigeren Lichte und können <lb n="pgo_052.023"/> um so heilsamer wirken, als keine Gefahr von der Verwirklichung jenes <lb n="pgo_052.024"/> janusköpfigen Jdeals, jenes Kunstwerkes der Zukunft zu befürchten steht, <lb n="pgo_052.025"/> außer in irgend einem Utopien, das zu seinen nothwendigen Voraussetzungen <lb n="pgo_052.026"/> gehört.</p> <p><lb n="pgo_052.027"/><hi rendition="#g">Richard Wagner</hi> wird scheinbar von einem <hi rendition="#g">sittlich</hi> reformatorischen <lb n="pgo_052.028"/> Drange getrieben, er ist ein ästhetischer Jean Jacques Rousseau. <lb n="pgo_052.029"/> Unser ganzer Kulturzustand mit der Fülle seiner Beziehungen ist ihm <lb n="pgo_052.030"/> lästig und unbehaglich; er geißelt ihn, wo er kann, mit ätzender Schärfe. <lb n="pgo_052.031"/> Er will den Menschen aus allen seinen Hüllen herausschälen — was </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0074]
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im vorigen Abschnitt erläutert, inwieweit die dichterische Schilderung pgo_052.002
berechtigt ist. Die Musik ist ganz Empfindung; in der Dichtkunst ist pgo_052.003
die Empfindung nur der Duft, der über den entrollten Bildern der pgo_052.004
Vorstellung zittert. Die Dichtkunst hat ebensoviel Verwandtschaft pgo_052.005
mit der Malerei, wie mit der Musik. Nur die vollkommenste Unkenntniß pgo_052.006
ihres Wesens konnte das Wagner'sche Paradoxon hervorrufen: „Was pgo_052.007
nicht werth ist gesungen zu werden, ist auch nicht der Dichtung werth *).“
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Wie verhält es sich nun mit der dramatischen Poesie? Hier sehn wir pgo_052.009
täglich in der Oper ihre conventionelle Ehe, neben welcher freilich pgo_052.010
sowohl Drama, als auch Musik selbstständig fortbestehn. Auf der andern pgo_052.011
Seite wird uns das „Kunstwerk der Zukunft **)“ offenbart, in welchem pgo_052.012
diese Ehe nicht nur als eine unauflösliche dargestellt, sondern überhaupt pgo_052.013
jeder von beiden Künsten die Berechtigung einer selbstständigen Existenz pgo_052.014
abgesprochen wird. Wenn wir das Verdienst dieser reformatorischen pgo_052.015
That darauf beschränken, für die Vereinigung beider Künste eine neue, pgo_052.016
aber keineswegs ausschließliche Form gefunden zu haben, und die Regeln, pgo_052.017
welche für die reformirte Dichtkunst gelten sollen, nur auf die reformirten pgo_052.018
Operntexte beziehn: so erscheinen viele Behauptungen des pgo_052.019
ebenso schwerfälligen wie paradoxen Denkers, den man einen auf den pgo_052.020
Kopf gestellten Lessing nennen könnte, weil er mit demselben Eifer, pgo_052.021
wie jener auf die Sonderung der Künste und Kunstgattungen, auf pgo_052.022
ihre Vereinigung bedacht ist, in einem günstigeren Lichte und können pgo_052.023
um so heilsamer wirken, als keine Gefahr von der Verwirklichung jenes pgo_052.024
janusköpfigen Jdeals, jenes Kunstwerkes der Zukunft zu befürchten steht, pgo_052.025
außer in irgend einem Utopien, das zu seinen nothwendigen Voraussetzungen pgo_052.026
gehört.
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Richard Wagner wird scheinbar von einem sittlich reformatorischen pgo_052.028
Drange getrieben, er ist ein ästhetischer Jean Jacques Rousseau. pgo_052.029
Unser ganzer Kulturzustand mit der Fülle seiner Beziehungen ist ihm pgo_052.030
lästig und unbehaglich; er geißelt ihn, wo er kann, mit ätzender Schärfe. pgo_052.031
Er will den Menschen aus allen seinen Hüllen herausschälen — was
*) pgo_052.032
Richard Wagner, Oper und Drama. Bd. 3. S. 208.
**) pgo_052.033
Richard Wagner, das Kunstwerk der Zukunft (1850); Oper und Drama. pgo_052.034
3 Bde. (1852.)
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