Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_051.001 pgo_051.004 *) pgo_051_034
Richard Wagner, Oper und Drama Bd. 1. pag. 21. pgo_051.001 pgo_051.004 *) pgo_051_034
Richard Wagner, Oper und Drama Bd. 1. pag. 21. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0073" n="51"/><lb n="pgo_051.001"/> aber die Musik, wenn sie zu einem Mittel des Ausdrucks herabgesetzt <lb n="pgo_051.002"/> wird <note xml:id="PGO_051_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_051_034"/><hi rendition="#g">Richard Wagner,</hi> Oper und Drama Bd. 1. pag. 21.</note>, gewinnt: das ist eine Frage, deren Beantwortung nicht in eine <lb n="pgo_051.003"/> Poetik gehört.</p> <p><lb n="pgo_051.004"/> Wir haben gesehn, wie alt der Bund zwischen beiden Künsten ist; <lb n="pgo_051.005"/> doch gerade ihre weitere selbstständige Entwickelung löste ihn mit Nothwendigkeit <lb n="pgo_051.006"/> auf. Der Dialog trat im Drama selbstständig hervor; die <lb n="pgo_051.007"/> Musik begleitete nur die Reflexionen des Chors und konnte in dieser <lb n="pgo_051.008"/> Begleitung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Volkslied freilich <lb n="pgo_051.009"/> erzeugte sich stets zusammen mit der Melodie! Das naturwüchsige <lb n="pgo_051.010"/> einfache Empfinden, das sich nur halb für die Vorstellung erschloß, <lb n="pgo_051.011"/> bewegte sich auf demselben Boden mit der Musik; das Wort deutete nur <lb n="pgo_051.012"/> die Schwingungen der Seele an, welche erst in den Schwingungen des <lb n="pgo_051.013"/> Tones ihren vollständigen Ausdruck fanden. Das einfache <hi rendition="#g">Lied,</hi> nicht <lb n="pgo_051.014"/> einmal die ganze Lyrik, das <hi rendition="#g">Lied,</hi> in welchem <hi rendition="#g">das Bild</hi> nur wie ein <lb n="pgo_051.015"/> flüchtiger Schein aus dem wogenden Aether der <hi rendition="#g">Empfindung</hi> aufzuckt, <lb n="pgo_051.016"/> konnte daher bei der weiteren Entfaltung der beiden Künste allein ihrem <lb n="pgo_051.017"/> alten Bunde treu bleiben. Jene zarten hingehauchten Weisen Goethe's, <lb n="pgo_051.018"/> Uhland's, Heine's, Geibel's forderten ähnlich wie die Lieder der Minnesänger <lb n="pgo_051.019"/> die Musik heraus, der Empfindung einen volleren und wärmeren <lb n="pgo_051.020"/> Ausdruck zu geben. Doch waren diese Lieder deshalb keine Undinen, <lb n="pgo_051.021"/> keine Sprachnixen, denen nur die Musik eine Seele geben konnte. Man <lb n="pgo_051.022"/> lese diese Lieder; sie sind auf ihren eigenen Füßen ruhende Kunstwerke. <lb n="pgo_051.023"/> Sie haben in Bild und Wort, Rhythmus und Reim ihre eigene <hi rendition="#g">Musik</hi> <lb n="pgo_051.024"/> und wirken stimmungsvoll und die Empfindung weckend auf das Gemüth. <lb n="pgo_051.025"/> Die Musik kann diesen Ausdruck <hi rendition="#g">verstärken,</hi> aber sie ist für die künstlerische <lb n="pgo_051.026"/> Wirkung keineswegs unentbehrlich. Die Ode, die Elegie aber, alle <lb n="pgo_051.027"/> höheren Gattungen der Lyrik, in denen die Empfindung nicht mehr kindlich <lb n="pgo_051.028"/> an der Eischaale pickt, sondern mit freiem Fluge in das erschlossene Reich <lb n="pgo_051.029"/> der Phantasie sich erhebt, zeigen die charakteristischen Vorzüge der Poesie <lb n="pgo_051.030"/> in so glänzendem Lichte, daß die Musik mit ihren Mitteln nicht mehr folgen <lb n="pgo_051.031"/> kann oder die eigenen Vorzüge opfern müßte. Ebenso verhält es sich <lb n="pgo_051.032"/> mit der epischen, mit der objectiv-darstellenden Poesie, gegen die auch <lb n="pgo_051.033"/> Richard Wagner eine leichterklärliche Abneigung hat. Wir haben bereits </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0073]
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aber die Musik, wenn sie zu einem Mittel des Ausdrucks herabgesetzt pgo_051.002
wird *), gewinnt: das ist eine Frage, deren Beantwortung nicht in eine pgo_051.003
Poetik gehört.
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Wir haben gesehn, wie alt der Bund zwischen beiden Künsten ist; pgo_051.005
doch gerade ihre weitere selbstständige Entwickelung löste ihn mit Nothwendigkeit pgo_051.006
auf. Der Dialog trat im Drama selbstständig hervor; die pgo_051.007
Musik begleitete nur die Reflexionen des Chors und konnte in dieser pgo_051.008
Begleitung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Volkslied freilich pgo_051.009
erzeugte sich stets zusammen mit der Melodie! Das naturwüchsige pgo_051.010
einfache Empfinden, das sich nur halb für die Vorstellung erschloß, pgo_051.011
bewegte sich auf demselben Boden mit der Musik; das Wort deutete nur pgo_051.012
die Schwingungen der Seele an, welche erst in den Schwingungen des pgo_051.013
Tones ihren vollständigen Ausdruck fanden. Das einfache Lied, nicht pgo_051.014
einmal die ganze Lyrik, das Lied, in welchem das Bild nur wie ein pgo_051.015
flüchtiger Schein aus dem wogenden Aether der Empfindung aufzuckt, pgo_051.016
konnte daher bei der weiteren Entfaltung der beiden Künste allein ihrem pgo_051.017
alten Bunde treu bleiben. Jene zarten hingehauchten Weisen Goethe's, pgo_051.018
Uhland's, Heine's, Geibel's forderten ähnlich wie die Lieder der Minnesänger pgo_051.019
die Musik heraus, der Empfindung einen volleren und wärmeren pgo_051.020
Ausdruck zu geben. Doch waren diese Lieder deshalb keine Undinen, pgo_051.021
keine Sprachnixen, denen nur die Musik eine Seele geben konnte. Man pgo_051.022
lese diese Lieder; sie sind auf ihren eigenen Füßen ruhende Kunstwerke. pgo_051.023
Sie haben in Bild und Wort, Rhythmus und Reim ihre eigene Musik pgo_051.024
und wirken stimmungsvoll und die Empfindung weckend auf das Gemüth. pgo_051.025
Die Musik kann diesen Ausdruck verstärken, aber sie ist für die künstlerische pgo_051.026
Wirkung keineswegs unentbehrlich. Die Ode, die Elegie aber, alle pgo_051.027
höheren Gattungen der Lyrik, in denen die Empfindung nicht mehr kindlich pgo_051.028
an der Eischaale pickt, sondern mit freiem Fluge in das erschlossene Reich pgo_051.029
der Phantasie sich erhebt, zeigen die charakteristischen Vorzüge der Poesie pgo_051.030
in so glänzendem Lichte, daß die Musik mit ihren Mitteln nicht mehr folgen pgo_051.031
kann oder die eigenen Vorzüge opfern müßte. Ebenso verhält es sich pgo_051.032
mit der epischen, mit der objectiv-darstellenden Poesie, gegen die auch pgo_051.033
Richard Wagner eine leichterklärliche Abneigung hat. Wir haben bereits
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Richard Wagner, Oper und Drama Bd. 1. pag. 21.
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