pgo_043.001 unversehrt wieder herauszog. Er hat Löwen, Schlangen und Wallfische pgo_043.002 dichterisch courfähig gemacht. Jm Ganzen ist er von der Anklage, die pgo_043.003 Grenzen der Dichtkunst und Malerei verwischt zu haben, freizusprechen.
pgo_043.004 Was die tausend Gegenstände des menschlichen Bedürfnisses und pgo_043.005 Verkehrs betrifft, so darf der Dichter sie gewiß auch schildern, aber er pgo_043.006 muß sich dabei von einer niederländischen Kleinmalerei frei halten. Denn pgo_043.007 diese Objecte haben nur Werth für den Dichter, insoweit der Mensch seine pgo_043.008 Seele, oder die Kultur ihre Bedeutung in sie hineingelegt. Hiergegen pgo_043.009 wird von den neuen Romanschriftstellern fast durchgängig gesündigt. pgo_043.010 Wenn Jmmermann schildert, wie der Hofschulze einen Wagen anspannt: pgo_043.011 so ist dies zwar eine Reihenfolge von Momenten, von denen der Maler pgo_043.012 nur eins herausheben könnte -- aber er verfällt dabei in eine Prosa pgo_043.013 der Technik, die dem Maler nicht erspart bleiben kann, die aber jede pgo_043.014 Dichtung verunstaltet. Die Farbe leiht Allem, auch dem Geringfügigsten, pgo_043.015 einen schönen sinnlichen Schein. Ueberdies hat der Maler die pgo_043.016 Mittel, das Geringfügige geringfügig darzustellen. Das Kleine erscheint pgo_043.017 klein im Raume, das Unbedeutende kann in Schatten gestellt werden. pgo_043.018 Dagegen wird das Wort, das Vehikel des Dichters, in dessen Klang kein pgo_043.019 Maß liegt für das Große und Kleine, gemißbraucht, wenn es das Kleinliche pgo_043.020 und Nichtssagende ausführlich malt. Am weitesten gehn hierin pgo_043.021 unsere Dorfgeschichtenschreiber, welche den Grundriß jeder Scheuer mit pgo_043.022 der Genauigkeit eines Architekten entwerfen und an jedem Düngerhaufen pgo_043.023 ihre malerische Kunst versuchen. Doch nicht blos die niederländische, pgo_043.024 auch die italienische Schule des neuen Romans verfällt in denselben Fehler. pgo_043.025 Laube z. B. in seiner sonst vortrefflichen "Gräfin Chateaubriand" pgo_043.026 ist der Gropius der französischen Lustschlösser und ergeht sich pgo_043.027 dabei in einer Decorationsmalerei, welche die Grenzen des dichterisch pgo_043.028 Erlaubten überschreitet. Jm Allgemeinen ist anzuerkennen, daß die pgo_043.029 französischen Romanschriftsteller in dieser Beziehung die englischen bei pgo_043.030 Weitem übertreffen, die durch das Muster Walter Scott's sich zu dieser pgo_043.031 verkehrten, breiten Ausmalung des bedeutungslos Aeußerlichen verleiten pgo_043.032 lassen.
pgo_043.033 Wenn nun auch der Dichter in seinen Schilderungen nicht in das pgo_043.034 Gebiet des Malers übergreift: so ist er immer noch zu tadeln, wenn er pgo_043.035 den Vorsprung, den seine Kunst vor der des Malers hat, nicht geltend
pgo_043.001 unversehrt wieder herauszog. Er hat Löwen, Schlangen und Wallfische pgo_043.002 dichterisch courfähig gemacht. Jm Ganzen ist er von der Anklage, die pgo_043.003 Grenzen der Dichtkunst und Malerei verwischt zu haben, freizusprechen.
pgo_043.004 Was die tausend Gegenstände des menschlichen Bedürfnisses und pgo_043.005 Verkehrs betrifft, so darf der Dichter sie gewiß auch schildern, aber er pgo_043.006 muß sich dabei von einer niederländischen Kleinmalerei frei halten. Denn pgo_043.007 diese Objecte haben nur Werth für den Dichter, insoweit der Mensch seine pgo_043.008 Seele, oder die Kultur ihre Bedeutung in sie hineingelegt. Hiergegen pgo_043.009 wird von den neuen Romanschriftstellern fast durchgängig gesündigt. pgo_043.010 Wenn Jmmermann schildert, wie der Hofschulze einen Wagen anspannt: pgo_043.011 so ist dies zwar eine Reihenfolge von Momenten, von denen der Maler pgo_043.012 nur eins herausheben könnte — aber er verfällt dabei in eine Prosa pgo_043.013 der Technik, die dem Maler nicht erspart bleiben kann, die aber jede pgo_043.014 Dichtung verunstaltet. Die Farbe leiht Allem, auch dem Geringfügigsten, pgo_043.015 einen schönen sinnlichen Schein. Ueberdies hat der Maler die pgo_043.016 Mittel, das Geringfügige geringfügig darzustellen. Das Kleine erscheint pgo_043.017 klein im Raume, das Unbedeutende kann in Schatten gestellt werden. pgo_043.018 Dagegen wird das Wort, das Vehikel des Dichters, in dessen Klang kein pgo_043.019 Maß liegt für das Große und Kleine, gemißbraucht, wenn es das Kleinliche pgo_043.020 und Nichtssagende ausführlich malt. Am weitesten gehn hierin pgo_043.021 unsere Dorfgeschichtenschreiber, welche den Grundriß jeder Scheuer mit pgo_043.022 der Genauigkeit eines Architekten entwerfen und an jedem Düngerhaufen pgo_043.023 ihre malerische Kunst versuchen. Doch nicht blos die niederländische, pgo_043.024 auch die italienische Schule des neuen Romans verfällt in denselben Fehler. pgo_043.025 Laube z. B. in seiner sonst vortrefflichen „Gräfin Chateaubriand“ pgo_043.026 ist der Gropius der französischen Lustschlösser und ergeht sich pgo_043.027 dabei in einer Decorationsmalerei, welche die Grenzen des dichterisch pgo_043.028 Erlaubten überschreitet. Jm Allgemeinen ist anzuerkennen, daß die pgo_043.029 französischen Romanschriftsteller in dieser Beziehung die englischen bei pgo_043.030 Weitem übertreffen, die durch das Muster Walter Scott's sich zu dieser pgo_043.031 verkehrten, breiten Ausmalung des bedeutungslos Aeußerlichen verleiten pgo_043.032 lassen.
pgo_043.033 Wenn nun auch der Dichter in seinen Schilderungen nicht in das pgo_043.034 Gebiet des Malers übergreift: so ist er immer noch zu tadeln, wenn er pgo_043.035 den Vorsprung, den seine Kunst vor der des Malers hat, nicht geltend
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unversehrt wieder herauszog. Er hat Löwen, Schlangen und Wallfische pgo_043.002
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Wenn nun auch der Dichter in seinen Schilderungen nicht in das pgo_043.034
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/65>, abgerufen am 30.11.2024.
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