Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_036.001 Dritter Abschnitt. pgo_036.002Die Dichtkunst und die Malerei. pgo_036.003 pgo_036.018 *) pgo_036.025
Vorschule der Aesthetik. S. 18 spricht er von den verschiedenen Wegen pgo_036.026 der neuen Aesthetiker, Nichts zu sagen: "der erste ist der des Parallelismus, auf welchem pgo_036.027 Reinhold, Schiller und Andere ebenso oft auch Systeme darstellen; man hält pgo_036.028 nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu construiren, an irgend einen zweiten pgo_036.029 (in unserem Falle Dichtkunst etwa an Philosophie oder an bildende und zeichnende pgo_036.030 Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her, als es z. B. sein pgo_036.031 würde, wenn man von der Tanzkunst durch die Vergleichung mit der Fechtkunst einige pgo_036.032 Begriffe beibringen wollte und deswegen bemerkte, die eine rege mehr die Füße, die pgo_036.033 andere mehr die Arme, jene bewege sich mehr in krummen, diese in geraden Linien, pgo_036.034 jene für, diese gegen einen Menschen." pgo_036.001 Dritter Abschnitt. pgo_036.002Die Dichtkunst und die Malerei. pgo_036.003 pgo_036.018 *) pgo_036.025
Vorschule der Aesthetik. S. 18 spricht er von den verschiedenen Wegen pgo_036.026 der neuen Aesthetiker, Nichts zu sagen: „der erste ist der des Parallelismus, auf welchem pgo_036.027 Reinhold, Schiller und Andere ebenso oft auch Systeme darstellen; man hält pgo_036.028 nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu construiren, an irgend einen zweiten pgo_036.029 (in unserem Falle Dichtkunst etwa an Philosophie oder an bildende und zeichnende pgo_036.030 Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her, als es z. B. sein pgo_036.031 würde, wenn man von der Tanzkunst durch die Vergleichung mit der Fechtkunst einige pgo_036.032 Begriffe beibringen wollte und deswegen bemerkte, die eine rege mehr die Füße, die pgo_036.033 andere mehr die Arme, jene bewege sich mehr in krummen, diese in geraden Linien, pgo_036.034 jene für, diese gegen einen Menschen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0058" n="36"/> <lb n="pgo_036.001"/> <head> <hi rendition="#c">Dritter Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_036.002"/> <head> <hi rendition="#c">Die Dichtkunst und die Malerei.</hi> </head> <p><lb n="pgo_036.003"/> Als Kunst erscheint die Poesie neben den anderen Künsten, und es gilt <lb n="pgo_036.004"/> zu bestimmen, was sie von jenen aufnimmt, und wie sie sich von ihnen <lb n="pgo_036.005"/> sondert. Jean Paul erklärt sich zwar gegen den Parallelismus der <lb n="pgo_036.006"/> Darstellung, aus welchem man Nichts lernen könne<note xml:id="PGO_036_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_036.025"/><hi rendition="#g">Vorschule der Aesthetik.</hi> S. 18 spricht er von den verschiedenen Wegen <lb n="pgo_036.026"/> der neuen Aesthetiker, Nichts zu sagen: „der erste ist der des Parallelismus, auf welchem <lb n="pgo_036.027"/> Reinhold, Schiller und Andere ebenso oft auch Systeme darstellen; man hält <lb n="pgo_036.028"/> nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu construiren, an irgend einen zweiten <lb n="pgo_036.029"/> (in unserem Falle Dichtkunst etwa an Philosophie oder an bildende und zeichnende <lb n="pgo_036.030"/> Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her, als es z. B. sein <lb n="pgo_036.031"/> würde, wenn man von der Tanzkunst durch die Vergleichung mit der Fechtkunst einige <lb n="pgo_036.032"/> Begriffe beibringen wollte und deswegen bemerkte, die eine rege mehr die Füße, die <lb n="pgo_036.033"/> andere mehr die Arme, jene bewege sich mehr in krummen, diese in geraden Linien, <lb n="pgo_036.034"/> jene <hi rendition="#g">für,</hi> diese <hi rendition="#g">gegen</hi> einen Menschen.“</note>; doch er faßt dies <lb n="pgo_036.007"/> zu äußerlich. Jede Bestimmung ist nach Spinoza eine Negation; aber <lb n="pgo_036.008"/> auch umgekehrt jede Negation eine Bestimmung. Das Reich existirt <lb n="pgo_036.009"/> nur durch seine Grenze, und der Nachweis der Schranke gehört zum <lb n="pgo_036.010"/> Nachweis des Wesens. Außerdem spielen in die Poesie als die vollkommenste <lb n="pgo_036.011"/> Kunst die anderen so hinein, daß ihr eigenes Wesen am meisten <lb n="pgo_036.012"/> durch die Erkenntniß aufgehellt wird, was ihr mit ihnen gemeinsam ist, <lb n="pgo_036.013"/> und wodurch sie sich von ihnen unterscheidet. Daß hier der analytische <lb n="pgo_036.014"/> Gang die schlagendsten positiven Resultate ergiebt, hat wohl am klarsten <lb n="pgo_036.015"/> <hi rendition="#g">Lessing</hi> in seinem „<hi rendition="#g">Laokoon</hi>“ bewiesen, dessen Grundsätze für das <lb n="pgo_036.016"/> Verhältniß der Poesie und Malerei noch für den heutigen Tag maßgebend <lb n="pgo_036.017"/> erscheinen müssen.</p> <p><lb n="pgo_036.018"/> Die <hi rendition="#g">Malerei</hi> mag hier die anderen bildenden Künste überhaupt <lb n="pgo_036.019"/> vertreten, da sie gerade in den wesentlichen Vergleichungspunkten mit <lb n="pgo_036.020"/> ihnen übereinstimmt und für sie gesetzt werden kann. Der <hi rendition="#g">Maler</hi> giebt <lb n="pgo_036.021"/> dem geistigen Bild durch <hi rendition="#g">Linien</hi> und <hi rendition="#g">Farben</hi> eine sinnliche Wirklichkeit <lb n="pgo_036.022"/> auf der <hi rendition="#g">Fläche,</hi> im <hi rendition="#g">Raume;</hi> der <hi rendition="#g">Dichter</hi> verwirklicht das seine in der <lb n="pgo_036.023"/> Vorstellung, und zwar durch die <hi rendition="#g">Sprache,</hi> also in der <hi rendition="#g">Zeit.</hi> Der <lb n="pgo_036.024"/> Maler schafft sein Bild durch das <hi rendition="#g">Nebeneinander</hi> der Linien und </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0058]
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Dritter Abschnitt. pgo_036.002
Die Dichtkunst und die Malerei. pgo_036.003
Als Kunst erscheint die Poesie neben den anderen Künsten, und es gilt pgo_036.004
zu bestimmen, was sie von jenen aufnimmt, und wie sie sich von ihnen pgo_036.005
sondert. Jean Paul erklärt sich zwar gegen den Parallelismus der pgo_036.006
Darstellung, aus welchem man Nichts lernen könne *); doch er faßt dies pgo_036.007
zu äußerlich. Jede Bestimmung ist nach Spinoza eine Negation; aber pgo_036.008
auch umgekehrt jede Negation eine Bestimmung. Das Reich existirt pgo_036.009
nur durch seine Grenze, und der Nachweis der Schranke gehört zum pgo_036.010
Nachweis des Wesens. Außerdem spielen in die Poesie als die vollkommenste pgo_036.011
Kunst die anderen so hinein, daß ihr eigenes Wesen am meisten pgo_036.012
durch die Erkenntniß aufgehellt wird, was ihr mit ihnen gemeinsam ist, pgo_036.013
und wodurch sie sich von ihnen unterscheidet. Daß hier der analytische pgo_036.014
Gang die schlagendsten positiven Resultate ergiebt, hat wohl am klarsten pgo_036.015
Lessing in seinem „Laokoon“ bewiesen, dessen Grundsätze für das pgo_036.016
Verhältniß der Poesie und Malerei noch für den heutigen Tag maßgebend pgo_036.017
erscheinen müssen.
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Die Malerei mag hier die anderen bildenden Künste überhaupt pgo_036.019
vertreten, da sie gerade in den wesentlichen Vergleichungspunkten mit pgo_036.020
ihnen übereinstimmt und für sie gesetzt werden kann. Der Maler giebt pgo_036.021
dem geistigen Bild durch Linien und Farben eine sinnliche Wirklichkeit pgo_036.022
auf der Fläche, im Raume; der Dichter verwirklicht das seine in der pgo_036.023
Vorstellung, und zwar durch die Sprache, also in der Zeit. Der pgo_036.024
Maler schafft sein Bild durch das Nebeneinander der Linien und
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Vorschule der Aesthetik. S. 18 spricht er von den verschiedenen Wegen pgo_036.026
der neuen Aesthetiker, Nichts zu sagen: „der erste ist der des Parallelismus, auf welchem pgo_036.027
Reinhold, Schiller und Andere ebenso oft auch Systeme darstellen; man hält pgo_036.028
nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu construiren, an irgend einen zweiten pgo_036.029
(in unserem Falle Dichtkunst etwa an Philosophie oder an bildende und zeichnende pgo_036.030
Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her, als es z. B. sein pgo_036.031
würde, wenn man von der Tanzkunst durch die Vergleichung mit der Fechtkunst einige pgo_036.032
Begriffe beibringen wollte und deswegen bemerkte, die eine rege mehr die Füße, die pgo_036.033
andere mehr die Arme, jene bewege sich mehr in krummen, diese in geraden Linien, pgo_036.034
jene für, diese gegen einen Menschen.“
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