pgo_464.001 an, insofern es die theatralische Wirklichkeit als Grundbedingung pgo_464.002 seiner Lebensfähigkeit festhält; es benutze den Reichthum der Dekorationen pgo_464.003 und Maschinerieen, über den die heutige Bühne gebietet, für seine pgo_464.004 phantasievolle Beweglichkeit, für seine mythische Erfindung; denn hier pgo_464.005 ist gerade der Ort, wo das Mythische noch eine Stätte findet. An die pgo_464.006 Stelle des Gesanges in der Zauberposse setze es eine kunstvolle Lyrik mit pgo_464.007 rhythmischem Farbenreichthum, wie Platen und Prutz, aber mit einer pgo_464.008 allgemeinverständlichen, schlagenden Komik. Für den antiken Chor pgo_464.009 irgend einen Ersatz zu finden, wird die Aufgabe dieser humoristischen pgo_464.010 Talente sein. Die Erfindung einer spannenden Fabel wird, im Unterschiede pgo_464.011 von Aristophanes und Tieck, diesem Lustspiele nicht erlassen werden pgo_464.012 können; von Shakespeare mag es das sinnvolle Verweben des menschlichen pgo_464.013 und elementarischen Geschickes lernen! Die Sprache selbst sei mit pgo_464.014 dem ganzen Zauber der Jdealität ausgestattet. An Stoff aber dürfte es pgo_464.015 einem solchen Lustspieldichter in unserer Zeit nicht fehlen; denn abgesehen pgo_464.016 von der literarischen und politischen Satyre -- welche Fundgrube wäre pgo_464.017 für Aristophanes der Geldschwindel und der Materialismus unserer Zeit, pgo_464.018 dessen Vertreter er zwar nicht wie Sokrates in der Luft schweben, aber pgo_464.019 vielleicht in irgend einer sichtbaren Phase des Stoffwechsels dem Publikum pgo_464.020 vorführen würde!
pgo_464.021 2. Das realistische Lustspiel.
pgo_464.022 Aus der allgemeinen Sphäre der Weltthorheit und ihrer symbolischgrotesken pgo_464.023 Gestaltung, aus diesem Reich der phantastischen Laune zieht pgo_464.024 sich die Lustspielmuse in das Privatleben zurück, um in einem engeren pgo_464.025 dramatischen Rahmen die Komik am Faden einer bestimmten Handlung pgo_464.026 und durch die Ausmalung bestimmter Charaktere zu entwickeln. Die pgo_464.027 Thorheit wird eine individuelle, die Maske wird zum Portrait, die pgo_464.028 Komödie das Abbild der Wirklichkeit. Was sie dadurch verliert, indem pgo_464.029 die erhabene Seite des Komischen, der Welt verspottende Humor, die pgo_464.030 großartige Dithyrambik geopfert werden muß: das gewinnt sie wieder pgo_464.031 durch die schärfere Betonung des Dramatischen, den spannenden Fortgang pgo_464.032 der Handlung, den Reichthum individueller Charakteristik, die pgo_464.033 Verwicklung und Lösung der Jntrigue. Diesen Schritt that bekanntlich pgo_464.034 schon die mittlere attische Komödie, die neuere führte die neue Form zur
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pgo_464.021 2. Das realistische Lustspiel.
pgo_464.022 Aus der allgemeinen Sphäre der Weltthorheit und ihrer symbolischgrotesken pgo_464.023 Gestaltung, aus diesem Reich der phantastischen Laune zieht pgo_464.024 sich die Lustspielmuse in das Privatleben zurück, um in einem engeren pgo_464.025 dramatischen Rahmen die Komik am Faden einer bestimmten Handlung pgo_464.026 und durch die Ausmalung bestimmter Charaktere zu entwickeln. Die pgo_464.027 Thorheit wird eine individuelle, die Maske wird zum Portrait, die pgo_464.028 Komödie das Abbild der Wirklichkeit. Was sie dadurch verliert, indem pgo_464.029 die erhabene Seite des Komischen, der Welt verspottende Humor, die pgo_464.030 großartige Dithyrambik geopfert werden muß: das gewinnt sie wieder pgo_464.031 durch die schärfere Betonung des Dramatischen, den spannenden Fortgang pgo_464.032 der Handlung, den Reichthum individueller Charakteristik, die pgo_464.033 Verwicklung und Lösung der Jntrigue. Diesen Schritt that bekanntlich pgo_464.034 schon die mittlere attische Komödie, die neuere führte die neue Form zur
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an, insofern es die theatralische Wirklichkeit als Grundbedingung pgo_464.002
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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