pgo_383.001 vornehme Gaunerthum, die Schmuggler u. dgl. setzt. Vortheilhaft für pgo_383.002 die Romantik des Romans sind alle größeren Krisen der Gesellschaft, pgo_383.003 Revolutionen, Kriege, in denen die stagnirende Fluth stereotyper Zustände pgo_383.004 aus ihrer trüben Ruhe emporgerüttelt wird. Hierher gehört seit der pgo_383.005 Odyssee der Zauber der Ferne, der Reiz des Unbekannten, Unentdeckten, pgo_383.006 der fernen Länder und Meere und ihrer Abenteuer, ein Zauber, den sich pgo_383.007 der See- und exotische Roman, ein Marryat und Sealsfield, zu Nutze pgo_383.008 machen. Doch auch der Prosa unserer Kultur wird ein begabtes Talent pgo_383.009 ihre Poesie abgewinnen -- wir erinnern nur an Dickens, Hackländer u. A.
pgo_383.010 Die Komposition des Romans muß, um diese Romantik unserer pgo_383.011 Zustände auszubeuten und die epische Spannung unserer Zustände durchzuführen, pgo_383.012 bestimmte Gesetze der Technik beobachten. Der Anfang des pgo_383.013 Romans führt uns gleich in das bewegte Leben; wir orientiren uns in pgo_383.014 unbekannten Physiognomieen und Verhältnissen, bis unser Jnteresse an pgo_383.015 ihnen lebendig, diese Lebendigkeit durch die Verschleierung einzelner Zustände pgo_383.016 und Charaktere gesteigert wird. Lange Beschreibungen von Gegenden, pgo_383.017 Verhältnissen, Charakteren sind besonders am Anfange des Romans pgo_383.018 von ertödtender Wirkung; der Faden einer fortgehenden Begebenheit muß pgo_383.019 uns diese Entwickelungen bieten. Die allmählich wachsende Klarheit soll pgo_383.020 mehr durch die Handlung, durch Gespräch und Brief, durch eine selbstständige pgo_383.021 Entwickelung der Helden von innen heraus hervorgerufen werden, pgo_383.022 als durch die Beschreibung des Dichters. Der Anfang des Romans ist pgo_383.023 gewiß am glücklichsten entworfen, wo wir gleich in irgend eine fesselnde pgo_383.024 Situation, einen Knotenpunkt der Handlung versetzt werden, dessen Fäden pgo_383.025 zugleich nach rückwärts und vorwärts weisen.
pgo_383.026 Die Mitte des Romans führt nun diese Fäden weiter zu immer pgo_383.027 neuen Knotenpunkten der Entwickelung. Das Drama hat nur eine pgo_383.028 Kollision; der Roman verträgt deren mehrere neben- und nacheinander. pgo_383.029 Hier wird die eine gelöst, dort eine andere neuangeknüpft. Doch das pgo_383.030 vollkommene Austönen derselben in der Mitte muß von dem Romandichter pgo_383.031 vermieden werden. Ganz neue Anfänge sind hier gefährlich! pgo_383.032 Es muß alles ineinandergreifen, mindestens an einem Punkte der pgo_383.033 Bewegung. Wir haben schon früher gesehn, daß der Epiker spannt,pgo_383.034 indem er an einer fesselnden Stelle der Handlung abbricht und den Leser pgo_383.035 mit einer künstlich erzeugten Unbefriedigung entläßt. Dies Geheimniß
pgo_383.001 vornehme Gaunerthum, die Schmuggler u. dgl. setzt. Vortheilhaft für pgo_383.002 die Romantik des Romans sind alle größeren Krisen der Gesellschaft, pgo_383.003 Revolutionen, Kriege, in denen die stagnirende Fluth stereotyper Zustände pgo_383.004 aus ihrer trüben Ruhe emporgerüttelt wird. Hierher gehört seit der pgo_383.005 Odyssee der Zauber der Ferne, der Reiz des Unbekannten, Unentdeckten, pgo_383.006 der fernen Länder und Meere und ihrer Abenteuer, ein Zauber, den sich pgo_383.007 der See- und exotische Roman, ein Marryat und Sealsfield, zu Nutze pgo_383.008 machen. Doch auch der Prosa unserer Kultur wird ein begabtes Talent pgo_383.009 ihre Poesie abgewinnen — wir erinnern nur an Dickens, Hackländer u. A.
pgo_383.010 Die Komposition des Romans muß, um diese Romantik unserer pgo_383.011 Zustände auszubeuten und die epische Spannung unserer Zustände durchzuführen, pgo_383.012 bestimmte Gesetze der Technik beobachten. Der Anfang des pgo_383.013 Romans führt uns gleich in das bewegte Leben; wir orientiren uns in pgo_383.014 unbekannten Physiognomieen und Verhältnissen, bis unser Jnteresse an pgo_383.015 ihnen lebendig, diese Lebendigkeit durch die Verschleierung einzelner Zustände pgo_383.016 und Charaktere gesteigert wird. Lange Beschreibungen von Gegenden, pgo_383.017 Verhältnissen, Charakteren sind besonders am Anfange des Romans pgo_383.018 von ertödtender Wirkung; der Faden einer fortgehenden Begebenheit muß pgo_383.019 uns diese Entwickelungen bieten. Die allmählich wachsende Klarheit soll pgo_383.020 mehr durch die Handlung, durch Gespräch und Brief, durch eine selbstständige pgo_383.021 Entwickelung der Helden von innen heraus hervorgerufen werden, pgo_383.022 als durch die Beschreibung des Dichters. Der Anfang des Romans ist pgo_383.023 gewiß am glücklichsten entworfen, wo wir gleich in irgend eine fesselnde pgo_383.024 Situation, einen Knotenpunkt der Handlung versetzt werden, dessen Fäden pgo_383.025 zugleich nach rückwärts und vorwärts weisen.
pgo_383.026 Die Mitte des Romans führt nun diese Fäden weiter zu immer pgo_383.027 neuen Knotenpunkten der Entwickelung. Das Drama hat nur eine pgo_383.028 Kollision; der Roman verträgt deren mehrere neben- und nacheinander. pgo_383.029 Hier wird die eine gelöst, dort eine andere neuangeknüpft. Doch das pgo_383.030 vollkommene Austönen derselben in der Mitte muß von dem Romandichter pgo_383.031 vermieden werden. Ganz neue Anfänge sind hier gefährlich! pgo_383.032 Es muß alles ineinandergreifen, mindestens an einem Punkte der pgo_383.033 Bewegung. Wir haben schon früher gesehn, daß der Epiker spannt,pgo_383.034 indem er an einer fesselnden Stelle der Handlung abbricht und den Leser pgo_383.035 mit einer künstlich erzeugten Unbefriedigung entläßt. Dies Geheimniß
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vornehme Gaunerthum, die Schmuggler u. dgl. setzt. Vortheilhaft für pgo_383.002
die Romantik des Romans sind alle größeren Krisen der Gesellschaft, pgo_383.003
Revolutionen, Kriege, in denen die stagnirende Fluth stereotyper Zustände pgo_383.004
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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