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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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der Finsterniß. Ossian's "Fingal" und "Temora" schildern den Krieg zwischen pgo_333.002
irischen und schottischen Heldenstämmen; Tasso's "befreites Jerusalem" pgo_333.003
den Kampf zwischen den christlichen Kreuzfahrern und den Saracenen.

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Wenn das Epos indeß aus den großen Völkerkämpfen hervorgegangen, pgo_333.005
so wäre doch eine Beschränkung der epischen Dichtung auf Nationalkriege pgo_333.006
nur eine einseitige und engherzige Auffassung. Wir müssen sie pgo_333.007
dahin erweitern, daß die Handlung des Epos immer einen in's Breite pgo_333.008
gehenden, einen auf die dramatische Spitze gestellten Kampf darstellt, pgo_333.009
mag dieser Kampf nun äußerlich, mit den Waffen in der Hand, in der pgo_333.010
Ausdauer bei steter Mühsal, oder innerlich im Reiche der Bildung durchgefochten pgo_333.011
werden. Die Jrrfahrten eines Odysseus, eines Aeneas und pgo_333.012
ihrer Genossen, die Abenteuer der Ritterdichtungen und des Ariosto pgo_333.013
entfalten uns ebenfalls eine Welt von Kämpfen; es sind die Götter, die pgo_333.014
Riesen, die elementarischen Mächte des Meeres und des Sturmes, mit pgo_333.015
denen die Helden in rastloser Arbeit ringen. Diese Kämpfe sind episch, pgo_333.016
ungeeignet für den Dramatiker. Eine alte und neue Epoche kämpfen pgo_333.017
miteinander -- der Epiker kann uns diesen Kampf ironisch schildern, wie pgo_333.018
Cervantes in seinem "Don Quixote;" er kann ihn uns in großartiger pgo_333.019
Entwickelung vorführen, wie Gutzkow in "den Rittern vom Geiste;" pgo_333.020
aber niemals darf dieser Kampf zu letzter Entscheidung, zu radikalem pgo_333.021
Bruche im Geiste eines Einzelnen gelangen -- die Sokrates, Mahomet pgo_333.022
und Luther sind dramatische Helden. Auch die Bildungsgeschichte eines pgo_333.023
Einzelnen, wie z. B. des Wilhelm Meister, kann den Mittelpunkt einer pgo_333.024
epischen Dichtung bilden -- dann kämpft aber dieser Held gegen Verhältnisse, pgo_333.025
Zustände, Geschicke, die ihm theils gegeben sind, die er theils pgo_333.026
sich kämpfend schafft, die aber eben die Elemente seiner Entwickelung pgo_333.027
bilden. Jmmer gehorcht der epische Kampf den Entscheidungen eines pgo_333.028
Schicksals, das, wie wir später sehen werden, nicht einer dramatischen pgo_333.029
Schuld auf dem Fuße folgt, nicht aus einem dramatischen Konflikt herausgeboren pgo_333.030
wird, sondern nach Vischer's vortrefflicher Bezeichnung das tragische pgo_333.031
Gesetz des Universums
ist.

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Jm Zusammenhang damit steht die Art und Weise der epischen pgo_333.033
Charakteristik, die an ihrem Helden eine Fülle von Eigenschaften entwickeln pgo_333.034
kann, da sie ihn in zahlreichen Beziehungen zu einer vielgegliederten pgo_333.035
Welt zeigt. Einen Haupthelden hat das Epos so gut wie das

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der Finsterniß. Ossian's „Fingal“ und „Temora“ schildern den Krieg zwischen pgo_333.002
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den Kampf zwischen den christlichen Kreuzfahrern und den Saracenen.

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Wenn das Epos indeß aus den großen Völkerkämpfen hervorgegangen, pgo_333.005
so wäre doch eine Beschränkung der epischen Dichtung auf Nationalkriege pgo_333.006
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Cervantes in seinem „Don Quixote;“ er kann ihn uns in großartiger pgo_333.019
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Bruche im Geiste eines Einzelnen gelangen — die Sokrates, Mahomet pgo_333.022
und Luther sind dramatische Helden. Auch die Bildungsgeschichte eines pgo_333.023
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Charakteristik, die an ihrem Helden eine Fülle von Eigenschaften entwickeln pgo_333.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/355>, abgerufen am 22.11.2024.